Die Weisheit des Traurers von Johann Christian Friedrich Hölderlin
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Hinweg, ihr Wünsche! Quäler des Unverstands! |
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Hinweg von dieser Stätte, Vergänglichkeit! |
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Ernst, wie das Grab, sei meine Seele! |
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Heilig mein Sang, wie die Totenglocke! |
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Du, stille Weisheit! öffne dein Heiligtum. |
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Laß, wie den Greis am Grabe Cecilias, |
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Mich lauschen deinen Göttersprüchen, |
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Ehe der Toten Gericht sie donnert. |
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Da, unbestochne Richterin, richtest du |
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Tyrannenfeste, wo sich der Höflinge |
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Entmanntes Heer zu Trug begeistert, |
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Wo des geschändeten Römers Kehle |
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Die schweißerrungne Habe des Pflügers stiehlt, |
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Wo tolle Lust in güldnen Pokalen schäumt, |
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Und ha! des Greuels! an getürmten |
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Silbergefäßen des Landes Mark klebt. |
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Halt ein! Tyrann! Es fähret des Würgers Pfeil |
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Daher. Halt ein! es nahet der Rache Tag, |
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Daß er, wie Blitz die giftge Staude, |
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Nieder den taumelnden Schädel schmettre. |
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Doch ach! am grimmen richtenden Saitenspiel |
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Hinunter wankt die zitternde Rechte mir. |
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In lichtre Hallen, gute Göttin! |
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Wandle der Sturm sich in Haingeflüster! |
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Da schlingst du liebevoll um die Jammernde |
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Am Grabe des Erwählten den Mutterarm, |
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Vor Menschentrost dein Kind zu schützen, |
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Schenkest ihr Tränen, und lispelst leise |
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Vom Wiedersehn, vom seligen Einst ins Herz |
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Da schläft in deiner Halle der Jammermann, |
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Dem Priesterhaß das Herz zerfleischet, |
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Den ihr Gericht im Gewahrsam foltert, |
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Der bleiche Jüngling, der in des Herzens Durst |
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Nach Ehre rastlos klomm auf der Felsenbahn |
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Und ach umsonst! wie wandelt er so |
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Ruhig umher in der stillen Halle. |
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Mit Brudersinn zu heitern den Kummerblick, |
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Der Kleinen Herz zu leiten am Gängelband, |
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Sein Haus zu baun, sein Feld zu pflügen, |
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Wird ihm Beruf! und die Wünsche schweigen. |
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Verzeih der bangen Träne, du Göttliche! |
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Auch ich vielleicht! - zwar glühet im Busen mir |
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Die Flamme rein und kühn, und ewig |
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Aber zurück aus den Lorbeerhainen |
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Stieß unerweicht die Ehre den Traurenden, |
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So lang, entflohn dem lachenden Knabenspiel, |
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Verhöhnend all die Taumelfreuden, |
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Treu und È-È mein Herz ihr huldigt. |
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Drum öffne du die Arme dem Traurenden, |
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Laß deines Labebechers mich oft und viel |
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Und einzig kosten, nenne Sohn mich! |
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Gürte mit Stolz mich, und Kraft und Wahrheit! |
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Denn viel der Stürme harren des Jünglings noch, |
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Der falschen Gruben viele des Wanderers, |
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Sie alle wird dein Sohn besiegen, |
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So du mit stützendem Arm ihn leitest. |
Details zum Gedicht „Die Weisheit des Traurers“
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56
353
1770 - 1843
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht „Die Weisheit des Traurers“ wurde von Johann Christian Friedrich Hölderlin verfasst, einem prominenten Vertreter der deutschen Romantik, der von 1770 bis 1843 lebte.
Das Gedicht vermittelt auf den ersten Blick eine gewisse Schwere und Ernsthaftigkeit. Es scheint, als ob das lyrische Ich von zu erfüllenden Wünschen und der Vergänglichkeit des Lebens überwältigt wird und deswegen nach Weisheit und geistiger Ruhe sucht.
Das Gedicht beginnt mit einer klaren Ablehnung von Wünschen und Vergänglichkeit. Das lyrische Ich sehnt sich nach Ernst und Heiligkeit, die für ihn in diesem Kontext offenbar etwas Erhabenes und Tröstendes an sich haben. Daraufhin wendet sich das lyrische Ich in einer Anrufung an eine 'stille Weisheit', die als Göttin angesehen werden könnte und deren 'Göttersprüche' es erahnen möchte.
In den folgenden Strophen versucht das lyrische Ich verstärkt zu erklären, warum es diese Weisheit benötigt. Es spricht von Tyrannei, Trug, Diebstahl, maßloser Gier und Lust, gravierenden Ungerechtigkeiten also, gegen die es sich offenbar nicht zur Wehr setzen kann.
Das lyrische Ich scheint verzweifelt angesichts dieser Ungerechtigkeiten und sehnt sich nach Rache, und doch fühlt es sich zu schwach, um diese in Angriff zu nehmen. Es verlangt deshalb nach Eintritt in 'lichte Hallen', womöglich eine Metapher für einen Ort der inneren Ruhe oder Weisheit.
In den folgenden Strophen wird die Rolle der 'stillen Weisheit', der angesprochenen Göttin, weiter erläutert. Sie wird als tröstend und liebevoll dargestellt, als eine Figur, die den Leidenden Hoffnung und Aussicht auf Gerechtigkeit und Wiedervereinigung gibt. Das lyrische Ich sehnt sich wohl nach dieser Art von Trost und Weisheit. Gleichzeitig gesteht es eine Art Schuld oder Scham ein, scheint sich aber dennoch Hoffnungen auf Erkenntnis, Kraft und Geführt-Werden zu machen.
Formal besteht das Gedicht aus 13 Strophen, jede mit 4 Versen bis auf die letzte Strophe, die aus 8 Versen besteht. Die Verse werden im Kreuzreim verfasst. Die Sprache ist recht komplex und von einer gewissen Schwere geprägt, auch durch die vielen Anrufungen und Ausrufe. Doch gerade durch die reife und komplizierte Sprache wirkt es gesellschaftskritisch und appellierend.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Die Weisheit des Traurers“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Christian Friedrich Hölderlin. Hölderlin wurde im Jahr 1770 in Lauffen am Neckar geboren. Zwischen den Jahren 1786 und 1843 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das Gedicht besteht aus 56 Versen mit insgesamt 13 Strophen und umfasst dabei 353 Worte. Weitere Werke des Dichters Johann Christian Friedrich Hölderlin sind „An die jungen Dichter“, „An unsre Dichter“ und „Das Schicksal“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Weisheit des Traurers“ weitere 181 Gedichte vor.
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- An die Parzen
- An die jungen Dichter
- An unsre Dichter
- Das Schicksal
- Das Unverzeihliche
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Zum Autor Johann Christian Friedrich Hölderlin sind auf abi-pur.de 181 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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