Hymne an die Freiheit von Johann Christian Friedrich Hölderlin
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Wie den Aar im grauen Felsenhange |
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Wildes Sehnen zu der Sterne Bahn, |
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Flammt zu majestätischem Gesange |
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Meiner Freuden Ungestüm mich an; |
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Ha! das neue niegenoßne Leben |
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Schaffet neuen glühenden Entschluß! |
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Über Wahn und Stolz emporzuschweben, |
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Süßer, unaussprechlicher Genuß! |
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Sint dem Staube mich ihr Arm entrissen, |
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Schlägt das Herz so kühn und selig ihr; |
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Angeflammt von ihren Götterküssen |
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Glühet noch die heiße Wange mir; |
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Jeder Laut von ihrem Zaubermunde |
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Adelt noch den neugeschaffnen Sinn |
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Hört, o Geister! meiner Göttin Kunde, |
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Hört, und huldiget der Herrscherin! |
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»Als die Liebe noch im Schäferkleide |
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Mit der Unschuld unter Blumen ging, |
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Und der Erdensohn in Ruh und Freude |
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Der Natur am Mutterbusen hing, |
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Nicht der Übermut auf Richterstühlen |
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Blind und fürchterlich das Band zerriß, |
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Tauscht ich gerne mit der Götter Spielen |
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Meiner Kinder stilles Paradies. |
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Liebe rief die jugendlichen Triebe |
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Schöpferisch zu hoher stiller Tat, |
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Jeden Keim entfaltete der Liebe |
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Wärm und Licht zu schwelgerischer Saat; |
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Deine Flügel, hohe Liebe! trugen |
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Lächelnd nieder die Olympier; |
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Jubeltöne klangen - Herzen schlugen |
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An der Götter Busen göttlicher. |
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Freundlich bot der Freuden süße Fülle |
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Meinen Lieblingen die Unschuld dar; |
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Unverkennbar in der schönen Hülle |
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Wußte Tugend nicht, wie schön sie war; |
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Friedlich hausten in der Blumenhügel |
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Kühlem Schatten die Genügsamen |
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Ach! des Haders und der Sorge Flügel |
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Rauschte ferne von den Glücklichen. |
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Wehe nun! - mein Paradies erbebte! |
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Fluch verhieß der Elemente Wut! |
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Und der Nächte schwarzem Schoß entschwebte |
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Mit des Geiers Blick der Übermut; |
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Wehe! weinend floh ich mit der Liebe, |
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Mit der Unschuld in die Himmel hin |
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Welke, Blume! rief ich ernst und trübe, |
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Welke, nimmer, nimmer aufzublühn! |
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Keck erhub sich des Gesetzes Rute, |
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Nachzubilden, was die Liebe schuf; |
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Ach! gegeißelt von dem Übermute |
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Fühlte keiner göttlichen Beruf; |
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Vor dem Geist in schwarzen Ungewittern, |
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Vor dem Racheschwerte des Gerichts |
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Lernte so der blinde Sklave zittern, |
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Frönt' und starb im Schrecken seines Nichts. |
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Kehret nun zu Lieb und Treue wieder |
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Ach! es zieht zu langentbehrter Lust |
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Unbezwinglich mich die Liebe nieder |
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Kinder! kehret an die Mutterbrust! |
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Ewig sei vergessen und vernichtet, |
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Was ich zürnend vor den Göttern schwur; |
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Liebe hat den langen Zwist geschlichtet, |
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Herrschet wieder! Herrscher der Natur!« |
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Froh und göttlichgroß ist deine Kunde, |
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Königin! dich preise Kraft und Tat! |
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Schon beginnt die neue Schöpfungsstunde, |
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Schon entkeimt die segenschwangre Saat: |
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Majestätisch, wie die Wandelsterne, |
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Neuerwacht am offnen Ozean, |
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Strahlst du uns in königlicher Ferne, |
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Freies kommendes Jahrhundert! an. |
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Staunend kennt der große Stamm sich wieder, |
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Millionen knüpft der Liebe Band; |
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Glühend stehn, und stolz, die neuen Brüder, |
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Stehn und dulden für das Vaterland; |
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Wie der Efeu, treu und sanft umwunden, |
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Zu der Eiche stolzen Höhn hinauf, |
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Schwingen, ewig brüderlich verbunden, |
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Nun am Helden Tausende sich auf. |
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Nimmer beugt, vom Übermut belogen, |
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Sich die freie Seele grauem Wahn; |
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Von der Muse zarter Hand erzogen |
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Schmiegt sie kühn an Göttlichkeit sich an; |
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Götter führt in brüderlicher Hülle |
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Ihr die zauberische Muse zu, |
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Und gestärkt in reiner Freuden Fülle, |
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Kostet sie der Götter stolze Ruh! |
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Froh verhöhnt das königliche Leben |
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Deine Taumel, niedre feige Lust! |
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Der Vollendung Ahndungen erheben |
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Über Glück und Zeit die stolze Brust. |
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Ha! getilget ist die alte Schande! |
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Neuerkauft das angestammte Gut! |
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In dem Staube modern alle Bande, |
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Und zur Hölle flieht der Übermut! |
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Dann am süßen heißerrungnen Ziele, |
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Wenn der Ernte großer Tag beginnt, |
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Wenn verödet die Tyrannenstühle, |
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Die Tyrannenknechte Moder sind, |
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Wenn im Heldenbunde meiner Brüder |
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Deutsches Blut und deutsche Liebe glüht, |
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Dann, o Himmelstochter! sing ich wieder, |
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Singe sterbend dir das letzte Lied. |
Details zum Gedicht „Hymne an die Freiheit“
13
104
571
1770 - 1843
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht, „Hymne an die Freiheit“, stammt von Johann Christian Friedrich Hölderlin, einem deutschen Dichter, der in der Zeit der Romantik um 1800 wirkte. Das Gedicht ist ein ausgeprägter Ausdruck seiner Euphorie und Hoffnung auf die Verbreitung von Freiheit und Gleichheit in der Zeit der Französischen Revolution und darüber hinaus.
Das Gedicht erzählt die Geschichte der Freiheit, personifiziert als eine wohlwollende, aber mächtige Göttin. Das lyrische Ich berichtet über seine Sehnsucht nach Freiheit und seinen Ehrgeiz, über Standesdünkel und Vorurteile zu steigen. Die Geschichte beginnt zu einer Zeit, als die Menschen noch in Unschuld und in Harmonie mit der Natur lebten, dann aber vom Hochmut verderbt wurden. Es wird der Aufruf gemacht, zur Liebe und Treue zurückzukehren, und die Freiheit wird gefeiert als eine Kraft, die die Gesellschaft erneuern und die Menschen wieder zusammenbringen kann. Schließlich endet das Gedicht mit der Vision eines triumphierenden Zieles, in dem Tyrannei und Unterdrückung überwunden sind.
Die Sprache von Hölderlin ist reich an bildlichen Metaphern und gefühlsgeladenen Ausdrücken. Das Gedicht ist formal in zwölffüßigen Alexandrinern geschrieben und umfasst 13 Strophen mit jeweils 8 Versen. Die Strophen sind in einem abwechslungsreichen Reimschema verfasst, was dem Gedicht einen rhythmischen und melodischen Klang verleiht.
Zusammenfassend ist Hölderlins „Hymne an die Freiheit“ ein eindringliches Plädoyer für den Wert der Freiheit und des Bruderschaftsgefühls, getragen von der Hoffnung auf eine bessere, gerechtere Gesellschaft. Es spiegelt den Geist der Epoche und Hölderlins eigene tiefgründigen Überzeugungen wider. Insgesamt stellt das Gedicht eine tiefsinnige und leidenschaftliche Reflexion über das Wesen der Freiheit und ihre transformative Macht dar. Es ist sowohl ein Aufruf zur Aktion als auch eine Reflexion über die menschliche Natur und die Gesellschaft. Es zeigt das Bild eines idealisierten Paradieses, welches verloren ging, aber durch den starken Wunsch nach Freiheit wieder erreicht werden kann.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Hymne an die Freiheit“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Christian Friedrich Hölderlin. Der Autor Johann Christian Friedrich Hölderlin wurde 1770 in Lauffen am Neckar geboren. In der Zeit von 1786 bis 1843 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das Gedicht besteht aus 104 Versen mit insgesamt 13 Strophen und umfasst dabei 571 Worte. Weitere Werke des Dichters Johann Christian Friedrich Hölderlin sind „An Ihren Genius“, „An die Deutschen“ und „An die Parzen“. Zum Autor des Gedichtes „Hymne an die Freiheit“ haben wir auf abi-pur.de weitere 181 Gedichte veröffentlicht.
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- Abendphantasie
- An Ihren Genius
- An die Deutschen
- An die Parzen
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- Das Schicksal
- Das Unverzeihliche
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Zum Autor Johann Christian Friedrich Hölderlin sind auf abi-pur.de 181 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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