An die Unerkannte von Johann Christian Friedrich Hölderlin
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Kennst du sie, die selig, wie die Sterne, |
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Von des Lebens dunkler Woge ferne |
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Wandellos in stiller Schöne lebt, |
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Die des Herzens löwenkühne Siege, |
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Des Gedankens fesselfreie Flüge, |
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Wie der Tag den Adler, überschwebt? |
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Die uns trifft mit ihren Mittagsstrahlen, |
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Uns entflammt mit ihren Idealen, |
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Wie vom Himmel, uns Gebote schickt, |
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Die die Weisen nach dem Wege fragen, |
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Stumm und ernst, wie von dem Sturm verschlagen |
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Nach dem Orient der Schiffer blickt? |
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Die das Beste gibt aus schöner Fülle, |
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Wenn aus ihr die Riesenkraft der Wille |
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Und der Geist sein stilles Urteil nimmt, |
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Die dem Lebensliede seine Weise, |
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Die das Maß der Ruhe, wie dem Fleiße |
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Durch den Mittler, unsern Geist, bestimmt? |
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Die, wenn uns des Lebens Leere tötet, |
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Magisch uns die welken Schläfe rötet, |
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Uns mit Hoffnungen das Herz verjüngt, |
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Die den Dulder, den der Sturm zertrümmert, |
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Den sein fernes Ithaka bekümmert, |
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In Alcinous Gefilde bringt? |
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Kennst du sie, die uns mit Lorbeerkronen, |
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Mit der Freude beßrer Regionen, |
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Ehe wir zu Grabe gehn, vergilt, |
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Die der Liebe göttlichstes Verlangen, |
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Die das Schönste, was wir angefangen, |
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Mühelos im Augenblick erfüllt? |
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Die der Kindheit Wiederkehr beschleunigt, |
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Die den Halbgott, unsern Geist, vereinigt |
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Mit den Göttern, die er kühn verstößt, |
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Die des Schicksals ehrne Schlüsse mildert, |
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Und im Kampfe, wenn das Herz verwildert, |
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Uns besänftigend den Harnisch löst? |
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Die das Eine, das im Raum der Sterne, |
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Das du suchst in aller Zeiten Ferne |
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Unter Stürmen, auf verwegner Fahrt, |
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Das kein sterblicher Verstand ersonnen, |
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Keine, keine Tugend noch gewonnen, |
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Die des Friedens goldne Frucht bewahrt? |
Details zum Gedicht „An die Unerkannte“
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1770 - 1843
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang
Gedicht-Analyse
Der Autor des Gedichts ist Johann Christian Friedrich Hölderlin (1770-1843). Hölderlin zählt zu den bedeutendsten lyrischen Dichtern Deutschlands und seine Werke entstanden während der Zeiten des Sturm und Drang sowie der Romantik.
Auf den ersten Blick erweckt das Gedicht einen harmonischen und ehrfurchtsvollen Eindruck. Das lyrische Ich spricht mit Respekt und Bewunderung, sogar mit einer Art Verehrung, von der „Unerkannten“.
Inhaltlich ist das Gedicht eine Reihe von Fragen, in denen eine unbekannte weibliche Figur beschrieben wird. Dieser „Unerkannten“ werden mächtige, geradezu göttliche Fähigkeiten zugeschrieben. Sie ist eine unveränderliche Schönheit, die den wilden Siegen des Herzens und den freien Flügen des Gedankens überlegen ist. Sie inspiriert mit ihren Idealen, sendet uns Befehle wie vom Himmel selbst. Sie ist eine mächtige Quelle, sowohl von Willenskraft als auch von Weisheit. Sie ist eine Trösterin und Erneuerin für den Leidenden, spendet Hoffnung und bringt einen zurück in die Heimat. Sie ist großzügig und erfüllt unsere tiefsten Verlangen. Sie mildert das Schicksal und besänftigt wilde Herzen. Kurz gesagt, sie ist ein mächtiges, weibliches Wesen von großer und universeller Macht und Schönheit.
Die Frage bleibt jedoch offen, wer diese „Unerkannte“ ist. Möglicherweise repräsentiert sie das Ideal der Weisheit oder Erkenntnis, oder das Göttliche, oder vielleicht einfach die Höhe menschlicher Fähigkeiten. Hölderlin lässt dies offen für die eigene Interpretation des Lesers.
Das Gedicht besteht aus sieben sechszeiligen Strophen. Formell folgt es keiner klassischen Gedichtsform, sondern Hölderlin verwendet freie Verse. Die Sprache ist gehoben und formal, passend zur geheimnisvollen und Ehrfurcht einflößenden Darstellung der „Unerkannten“. Diese Sprachwahl unterstreicht die Idee, dass das lyrische Ich diese unbekannte Größe nicht vollständig versteht, sie aber dennoch respektiert und bewundert.
Weitere Informationen
Das Gedicht „An die Unerkannte“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Christian Friedrich Hölderlin. Hölderlin wurde im Jahr 1770 in Lauffen am Neckar geboren. Im Zeitraum zwischen 1786 und 1843 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 252 Wörter. Es baut sich aus 7 Strophen auf und besteht aus 42 Versen. Weitere Werke des Dichters Johann Christian Friedrich Hölderlin sind „An die jungen Dichter“, „An unsre Dichter“ und „Das Schicksal“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „An die Unerkannte“ weitere 181 Gedichte vor.
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- An die Parzen
- An die jungen Dichter
- An unsre Dichter
- Das Schicksal
- Das Unverzeihliche
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Zum Autor Johann Christian Friedrich Hölderlin sind auf abi-pur.de 181 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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