An die klugen Ratgeber von Johann Christian Friedrich Hölderlin

Ich sollte nicht im Lebensfelde ringen,
Solang mein Herz nach höchster Schöne strebt,
Ich soll mein Schwanenlied am Grabe singen,
Wo ihr so gern lebendig uns begräbt?
O! schonet mein und laßt das rege Streben,
Bis seine Flut ins fernste Meer sich stürzt,
Laßt immerhin, ihr Ärzte, laßt mich leben,
Solang die Parze nicht die Bahn verkürzt.
 
Des Weins Gewächs verschmäht die kühlen Tale,
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Hesperiens beglückter Garten bringt
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Die goldnen Früchte nur im heißen Strahle,
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Der, wie ein Pfeil, ins Herz der Erde dringt;
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Was warnt ihr dann, wenn stolz und ungeschändet
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Des Menschen Herz von kühnem Zorn entbrennt,
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Was nimmt ihr ihm, der nur im Kampf vollendet,
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Ihr Weichlinge, sein glühend Element?
 
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Er hat das Schwert zum Spiele nicht genommen,
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Der Richter, der die alte Nacht verdammt,
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Er ist zum Schlafe nicht herabgekommen,
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Der reine Geist, der aus dem Aether stammt;
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Er strahlt heran, er schröckt, wie Meteore,
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Befreit und bändigt, ohne Ruh und Sold,
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Bis, wiederkehrend durch des Himmels Tore,
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Sein Kämpferwagen im Triumphe rollt.
 
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Und ihr, ihr wollt des Rächers Arme lähmen,
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Dem Geiste, der mit Götterrecht gebeut,
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Bedeutet ihr, sich knechtisch zu bequemen,
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Nach eures Pöbels Unerbittlichkeit?
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Das Irrhaus wählt ihr euch zum Tribunale,
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Dem soll der Herrliche sich unterziehn,
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Den Gott in uns, den macht ihr zum Skandale,
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Und setzt den Wurm zum König über ihn.
 
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Sonst ward der Schwärmer doch ans Kreuz
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geschlagen,
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Und oft in edlem Löwengrimme rang
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Der Mensch an donnernden Entscheidungstagen,
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Bis Glück und Wut das kühne Recht bezwang;
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Ach! wie die Sonne, sank zur Ruhe nieder,
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Wer unter Kampf ein herrlich Werk begann,
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Er sank und morgenrötlich hub er wieder
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In seinen Lieblingen zu leuchten an.
 
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Jetzt blüht die neue Kunst, das Herz zu morden,
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Zum Todesdolch in meuchlerischer Hand
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Ist nun der Rat des klugen Manns geworden,
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Und furchtbar, wie ein Scherge, der Verstand;
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Bekehrt von euch zu feiger Ruhe, findet
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Der Geist der Jünglinge sein schmählich Grab,
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Ach! ruhmlos in die Nebelnächte schwindet
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Aus heitrer Luft manch schöner Stern hinab.
 
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Umsonst, wenn auch der Geister Erste fallen,
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Die starken Tugenden, wie Wachs, vergehn,
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Das Schöne muß aus diesen Kämpfen allen,
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Aus dieser Nacht der Tage Tag entstehn;
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Begräbt sie nur, ihr Toten, eure Toten!
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Indes ihr noch die Leichenfackel hält,
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Geschiehet schon, wie unser Herz geboten,
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Bricht schon herein die neue beßre Welt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.1 KB)

Details zum Gedicht „An die klugen Ratgeber“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
57
Anzahl Wörter
385
Entstehungsjahr
1770 - 1843
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts ist Johann Christian Friedrich Hölderlin, ein deutscher Dichter aus der Zeit der Romantik und des frühen 19. Jahrhunderts.

Auf den ersten Blick macht das Gedicht „An die klugen Ratgeber“ einen kämpferischen und trotzig-provokante Eindruck. Das lyrische Ich verwehrt sich gegen Belehrungen und vermeintlich kluge Ratschläge, die ihm versuchen, seine Lebens- und Ausdrucksweise zu begrenzen. Im Zentrum steht das Bild des Künstlers oder Dichters, der nach höchster Schönheit strebt und sich dabei in einem fortwährenden Ringen und Kampf befindet. Dieser wird als ein Ringen und Streben nach schöpferischer, künstlerischer Erfüllung und Vollendung dargestellt, welches das lyrische Ich selbst bestimmen will und nicht durch die Ratschläge und Belehrungen anderer beschnitten oder begrenzt sehen will.

Formal besteht das Gedicht aus sieben Strophen zu acht bzw. neun Versen. Die Reimstruktur ist abwechslungsreich, was den dynamischen, lebendigen Ausdruck des Gedichts unterstreicht. Die Sprache Hölderlins ist kraftvoll, wortreich und metaphorisch. Bilder wie die des Schwanenlieds, der Flut, des Schwertes, der Meteore und des Kämpferwagens vermitteln das leidenschaftliche Ringen des Künstlers.

Insgesamt lässt sich das Gedicht als Plädoyer für die Freiheit des künstlerischen Schaffens und die Autonomie des Individuums lesen, das sich gegen gesellschaftliche Normen und Konventionen zur Wehr setzt. Es ist eine Kritik an der Gesellschaft, die den Einzelnen in seiner Kreativität und seinem Streben nach höchster Schönheit zu domestizieren versucht. Darüber hinaus kann es auch als eine Art Selbstaussage Hölderlins gelesen werden, der sich trotz oder gerade wegen aller Widerstände in seinem künstlerischen Schaffen unbeirrbar zeigte.

Weitere Informationen

Das Gedicht „An die klugen Ratgeber“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Christian Friedrich Hölderlin. Im Jahr 1770 wurde Hölderlin in Lauffen am Neckar geboren. In der Zeit von 1786 bis 1843 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zu. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 385 Wörter. Es baut sich aus 7 Strophen auf und besteht aus 57 Versen. Weitere Werke des Dichters Johann Christian Friedrich Hölderlin sind „Das Schicksal“, „Das Unverzeihliche“ und „Dem Genius der Kühnheit“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „An die klugen Ratgeber“ weitere 181 Gedichte vor.

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