Friedensfeier von Johann Christian Friedrich Hölderlin

Ich bitte, dieses Blatt nur gutmütig zu lesen. So wird
es sicher nicht unfaßlich, noch weniger anstößig sein.
Sollten aber dennoch einige solche Sprache zu wenig
konventionell finden, so muß ich ihnen gestehen: ich
kann nicht anders. An einem schönen Tage läßt sich
ja fast jede Sangart hören, und die Natur, wovon es
her ist, nimmts auch wieder.
Der Verfasser gedenkt dem Publikum eine ganze
Sammlung von dergleichen Blättern vorzulegen, und
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dieses soll irgend eine Probe sein davon.
 
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Der himmlischen, still widerklingenden,
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Der ruhigwandelnden Töne voll,
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Und gelüftet ist der altgebaute,
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Seliggewohnte Saal; um grüne Teppiche duftet
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Die Freudenwolk und weithinglänzend stehn,
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Gereiftester Früchte voll und goldbekränzter Kelche,
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Wohlangeordnet, eine prächtige Reihe,
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Zur Seite da und dort aufsteigend über dem
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Geebneten Boden die Tische.
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Denn ferne kommend haben
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Hieher, zur Abendstunde,
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Sich liebende Gäste beschieden.
 
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Und dämmernden Auges denk ich schon,
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Vom ernsten Tagwerk lächelnd,
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Ihn selbst zu sehn, den Fürsten des Fests.
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Doch wenn du schon dein Ausland gern verleugnest,
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Und als vom langen Heldenzuge müd,
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Dein Auge senkst, vergessen, leichtbeschattet,
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Und Freundesgestalt annimmst, du Allbekannter,
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doch
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Beugt fast die Knie das Hohe. Nichts vor dir,
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Nur Eines weiß ich, Sterbliches bist du nicht.
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Ein Weister mag mir manches erhellen; wo aber
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Ein Gott noch auch erscheint,
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Da ist doch andere Klarheit.
 
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Von heute aber nicht, nicht unverkündet ist er;
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Und einer, der nicht Flut noch Flamme gescheuet,
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Erstaunet, da es stille worden, umsonst nicht, jetzt,
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Da Herrschaft nirgend ist zu sehn bei Geistern und
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Menschen.
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Das ist, sie hören das Werk,
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Längst vorbereitend, von Morgen nach Abend, jetzt
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erst,
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Denn unermeßlich braust, in der Tiefe verhallend,
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Des Donnerers Echo, das tausendjährige Wetter,
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Zu schlafen, übertönt von Friedenslauten, hinunter.
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Ihr aber, teuergewordne, o ihr Tage der Unschuld,
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Ihr bringt auch heute das Fest, ihr Lieben! und es
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blüht
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Rings abendlich der Geist in dieser Stille;
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Und raten muß ich, und wäre silbergrau
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Die Locke, o ihr Freunde!
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Für Kränze zu sorgen und Mahl, jetzt ewigen
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Jünglingen ähnlich.
 
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Und manchen möcht ich laden, aber o du,
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Der freundlichernst den Menschen zugetan,
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Dort unter syrischer Palme,
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Wo nahe lag die Stadt, am Brunnen gerne war;
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Das Kornfeld rauschte rings, still atmete die Kühlung
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Vom Schatten des geweiheten Gebirges,
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Und die lieben Freunde, das treue Gewölk,
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Umschatteten dich auch, damit der heiligkühne
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Durch Wildnis mild dein Strahl zu Menschen kam, o
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Jüngling!
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Ach! aber dunkler umschattete, mitten im Wort, dich
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Furchtbarentscheidend ein tödlich Verhängnis. So ist
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schnell
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Vergänglich alles Himmlische; aber umsonst nicht;
 
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Denn schonend rührt des Maßes allzeit kundig
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Nur einen Augenblick die Wohnungen der Menschen
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Ein Gott an, unversehn, und keiner weiß es, wenn?
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Auch darf alsdann das Freche drüber gehn,
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Und kommen muß zum heilgen Ort das Wilde
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Von Enden fern, übt rauhbetastend den Wahn,
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Und trifft daran ein Schicksal, aber Dank,
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Nie folgt der gleich hernach dem gottgegebnen
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Geschenke;
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Tiefprüfend ist es zu fassen.
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Auch wär uns, sparte der Gebende nicht,
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Schon längst vom Segen des Herds
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Uns Gipfel und Boden entzündet.
 
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Des Göttlichen aber empfingen wir
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Doch viel. Es ward die Flamm uns
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In die Hände gegeben, und Ufer und Meersflut.
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Viel mehr, denn menschlicher Weise
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Sind jene mit uns, die fremden Kräfte, vertrauet.
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Und es lehret Gestirn dich, das
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Vor Augen dir ist, doch nimmer kannst du ihm
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gleichen.
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Vom Allebendigen aber, von dem
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Viel Freuden sind und Gesänge,
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Ist einer ein Sohn, ein Ruhigmächtiger ist er,
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Und nun erkennen wir ihn,
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Nun, da wir kennen den Vater
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Und Feiertage zu halten
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Der hohe, der Geist
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Der Welt sich zu Menschen geneigt hat.
 
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Denn längst war der zum Herrn der Zeit zu groß
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Und weit aus reichte sein Feld, wann hats ihn aber
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erschöpfet?
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Einmal mag aber ein Gott auch Tagewerk erwählen,
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Gleich Sterblichen und teilen alles Schicksal.
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Schicksalgesetz ist dies, daß Alle sich erfahren,
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Daß, wenn die Stille kehrt, auch eine Sprache sei.
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Wo aber wirkt der Geist, sind wir auch mit, und
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streiten,
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Was wohl das Beste sei. So dünkt mir jetzt das Beste,
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Wenn nun vollendet sein Bild und fertig ist der
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Meister,
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Und selbst verklärt davon aus seiner Werkstatt tritt,
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Der stille Gott der Zeit und nur der Liebe Gesetz,
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Das schönausgleichende gilt von hier an bis zum
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Himmel.
 
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Viel hat von Morgen an,
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Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander,
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Erfahren der Mensch; bald sind wir aber Gesang.
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Und das Zeitbild, das der große Geist entfaltet,
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Ein Zeichen liegts vor uns, daß zwischen ihm und
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andern
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Ein Bündnis zwischen ihm und andern Mächten ist.
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Nicht er allein, die Unerzeugten, Ewgen
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Sind kennbar alle daran, gleichwie auch an den
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Pflanzen
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Die Mutter Erde sich und Licht und Luft sich kennet.
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Zuletzt ist aber doch, ihr heiligen Mächte, für euch
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Das Liebeszeichen, das Zeugnis
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Daß ihr noch seiet, der Festtag,
 
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Der Allversammelnde, wo Himmlische nicht
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Im Wunder offenbar, noch ungesehn im Wetter,
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Wo aber bei Gesang gastfreundlich untereinander
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In Chören gegenwärtig, eine heilige Zahl
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Die Seligen in jeglicher Weise
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Beisammen sind, und ihr Geliebtestes auch,
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An dem sie hängen, nicht fehlt; denn darum rief ich
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Zum Gastmahl, das bereitet ist,
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Dich, Unvergeßlicher, dich, zum Abend der Zeit,
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O Jüngling, dich zum Fürsten des Festes; und eher
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legt
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Sich schlafen unser Geschlecht nicht,
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Bis ihr Verheißenen all,
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All ihr Unsterblichen, uns
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Von eurem Himmel zu sagen,
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Da seid in unserem Hause.
 
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Leichtatmende Lüfte
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Verkünden euch schon,
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Euch kündet das rauchende Tal
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Und der Boden, der vom Wetter noch dröhnet,
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Doch Hoffnung rötet die Wangen,
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Und vor der Türe des Hauses
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Sitzt Mutter und Kind,
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Und schauet den Frieden
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Und wenige scheinen zu sterben,
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Es hält ein Ahnen die Seele,
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Vom goldnen Lichte gesendet,
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Hält ein Versprechen die Ältesten auf.
 
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Wohl sind die Würze des Lebens,
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Von oben bereitet und auch
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Hinausgeführet, die Mühen.
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Denn Alles gefällt jetzt,
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Einfältiges aber
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Am meisten, denn die langgesuchte,
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Die goldne Frucht,
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Uraltem Stamm
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In schütternden Stürmen entfallen,
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Dann aber, als liebstes Gut, vom heiligen Schicksal
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selbst,
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Mit zärtlichen Waffen umschützt,
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Die Gestalt der Himmlischen ist es.
 
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Wie die Löwin, hast du geklagt,
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O Mutter, da du sie,
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Natur, die Kinder verloren.
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Denn es stahl sie, Allzuliebende, dir
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Dein Feind, da du ihn fast
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Wie die eigenen Söhne genommen,
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Und Satyren die Götter gesellt hast.
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So hast du manches gebaut,
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Und manches begraben,
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Denn es haßt dich, was
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Du, vor der Zeit
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Allkräftige, zum Lichte gezogen.
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Nun kennest, nun lässest du dies;
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Denn gerne fühllos ruht,
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Bis daß es reift, furchtsamgeschäftiges drunten.

Details zum Gedicht „Friedensfeier“

Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
183
Anzahl Wörter
1064
Entstehungsjahr
1770 - 1843
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Friedensfeier“ wurde von Johann Christian Friedrich Hölderlin (* 20. März 1770, † 7. Juni 1843) verfasst und zählt zu den Werken der deutschen Frühromantik.

Beim ersten Eindruck fallen die zahlreichen und langen Strophen auf, die eine hohe Dichte an metaphysischen und religiösen Botschaften tragen.

Der Inhalt des Gedichtes scheint stark von Hölderlins Glauben und seiner Vision für die Welt geprägt zu sein. Hier ist nicht nur eine Feier des Friedens dargestellt, sondern eher eine spirituelle Erfahrung, die das lyrische Ich durchläuft. Es scheint sich an einen Gott oder an eine höhere Macht zu wenden, mit Versen wie „Sterbliches bist du nicht“ und „Ein Gott noch auch erscheint“. Das lyrische Ich tischt auf, lädt ein zu einem Fest, dass als Metapher gedeutet werden kann für das vereinte Zusammenkommen von Glauben, Gott und Menschlichkeit.

Viele Strophen enden mit einer Art moralischer oder spiritueller Aussage oder Erkenntnis, die zum Nachdenken anregt. Sprachlich zeichnet sich das Gedicht durch einen hohen Grad an Poetizität aus, da es sich durch reichhaltige Metaphern und Beschreibungen, Alliterationen und Wiederholungen auszeichnet.

In Relation zur Form fällt auf, dass die Strophenlänge stark variiert, was ein freier Vers ohne festes Metrum oder Reimschema suggeriert. Dies könnte ein Versuch von Hölderlin sein, die konzeptionelle Tiefe seiner Gedanken und das komplex-bezügliche Verhältnis von Mensch, Natur und Gott zum Ausdruck zu bringen, welche sich in starren Strukturen nicht adäquat wiedergeben ließen.

Abschließend lässt sich sagen, dass „Friedensfeier“ ein sehr dichtes, metaphernreiches und spirituell aufgeladenes Gedicht ist, das in seiner Bewertung und Interpretation eine tiefe Auseinandersetzung und Reflexion verlangt. Der Text ruft zur Einheit und Harmonie auf und unterstreicht die Verbindung von Mensch, Natur und Gott. Durch die gottbezogene Haltung des lyrischen Ichs bietet das Gedicht eine tiefgründige Botschaft spiritueller Erfüllung und Erlösung. Es ist ein Aufruf zur Friedensfeier – inmitten der Unruhen der Welt und doch im übertragenen Sinne als Zeichen des inneren Friedens und der Versöhnung mit dem Göttlichen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Friedensfeier“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Christian Friedrich Hölderlin. Der Autor Johann Christian Friedrich Hölderlin wurde 1770 in Lauffen am Neckar geboren. Im Zeitraum zwischen 1786 und 1843 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 1064 Wörter. Es baut sich aus 13 Strophen auf und besteht aus 183 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Christian Friedrich Hölderlin sind „Dem Genius der Kühnheit“, „Der Gott der Jugend“ und „Der Winkel von Hahrdt“. Zum Autor des Gedichtes „Friedensfeier“ haben wir auf abi-pur.de weitere 181 Gedichte veröffentlicht.

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