Am Quell der Donau von Johann Christian Friedrich Hölderlin

Denn, wie wenn hoch von der herrlichgestimmten, der
Orgel
Im heiligen Saal,
Reinquillend aus den unerschöpflichen Röhren,
Das Vorspiel, weckend, des Morgens beginnt
Und weitumher, von Halle zu Halle,
Der erfrischende nun, der melodische Strom rinnt,
Bis in den kalten Schatten das Haus
Von Begeisterungen erfüllt,
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Nun aber erwacht ist, nun, aufsteigend ihr,
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Der Sonne des Fests, antwortet
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Der Chor der Gemeinde: so kam
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Das Wort aus Osten zu uns,
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Und an Parnassos Felsen und am Kithäron hör ich,
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O Asia, das Echo von dir und es bricht sich
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Am Kapitol und jählings herab von den Alpen
 
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Kommt eine Fremdlingin sie
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Zu uns, die Erweckerin,
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Die menschenbildende Stimme.
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Da faßt' ein Staunen die Seele
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Der Getroffenen all und Nacht
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War über den Augen der Besten.
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Denn vieles vermag
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Und die Flut und den Fels und Feuersgewalt auch
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Bezwinget mit Kunst der Mensch
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Und achtet, der Hochgesinnte, das Schwert
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Nicht, aber es steht
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Vor Göttlichem der Starke niedergeschlagen,
 
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Und gleichet dem Wild fast; das,
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Von süßer Jugend getrieben,
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Schweift rastlos über die Berg
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Und fühlet die eigene Kraft
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In der Mittagshitze. Wenn aber
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Herabgeführt, in spielenden Lüften,
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Das heilige Licht, und mit dem kühleren Strahl
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Der freudige Geist kommt zu
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Der seligen Erde, dann erliegt es, ungewohnt
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Des Schönsten, und schlummert wachenden Schlaf,
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Noch ehe Gestirn naht. So auch wir. Denn manchen
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erlosch
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Das Augenlicht schon vor den göttlichgesendeten
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Gaben,
 
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Den freundlichen, die aus Ionien uns,
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Auch aus Arabia kamen, und froh ward
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Der teuern Lehr und auch der holden Gesänge
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Die Seele jener Entschlafenen nie,
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Doch einige wachten. Und sie wandelten oft
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Zufrieden unter euch, ihr Bürger schöner Städte,
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Beim Kampfspiel, wo sonst unsichtbar der Heros
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Geheim bei Dichtern saß, die Ringer schaut' und
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lächelnd
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Pries, der gepriesene, die müßigernsten Kinder.
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Ein unaufhörlich Lieben wars und ists.
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Und wohlgeschieden, aber darum denken
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Wir aneinander doch, ihr Fröhlichen am Isthmos,
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Und am Cephiß und am Taygetos,
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Auch eurer denken wir, ihr Tale des Kaukasos,
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So alt ihr seid, ihr Paradiese dort,
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Und deiner Patriarchen und deiner Propheten,
 
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O Asia, deiner Starken, o Mutter!
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Die furchtlos vor den Zeichen der Welt,
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Und den Himmel auf Schultern und alles Schicksal,
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Taglang auf Bergen gewurzelt,
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Zuerst es verstanden,
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Allein zu reden
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Zu Gott. Die ruhn nun. Aber wenn ihr,
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Und dies ist zu sagen,
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Ihr Alten all, nicht sagtet, woher
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Wir nennen dich: heiliggenötiget, nennen,
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Natur! dich wir, und neu, wie dem Bad entsteigt
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Dir alles Göttlichgeborne.
 
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Zwar gehn wir fast, wie die Waisen;
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Wohl ists, wie sonst, nur jene Pflege nicht wieder;
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Doch Jünglinge, der Kindheit gedenk,
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Im Hause sind auch diese nicht fremde.
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Sie leben dreifach, eben wie auch
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Die ersten Söhne des Himmels.
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Und nicht umsonst ward uns
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In die Seele die Treue gegeben.
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Nicht uns, auch Eures bewahrt sie,
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Und bei den Heiligtümern, den Waffen des Worts,
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Die scheidend ihr den Ungeschickteren uns,
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Ihr Schicksalssöhne, zurückgelassen,
 
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Ihr guten Geister, da seid ihr auch,
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Oftmals, wenn einen dann die heilige Wolk
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umschwebt,
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Da staunen wir und wissens nicht zu deuten.
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Ihr aber würzt mit Nektar uns den Othem
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Und dann frohlocken wir oft oder es befällt uns
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Ein Sinnen, wenn ihr aber einen zu sehr liebt,
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Er ruht nicht, bis er euer einer geworden.
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Darum, ihr Gütigen! umgebet mich leicht,
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Damit ich bleiben möge, denn noch ist manches zu
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singen,
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Jetzt aber endiget, seligweinend,
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Wie eine Sage der Liebe,
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Mir der Gesang, und so auch ist er
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Mir, mit Erröten, Erblassen,
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Von Anfang her gegangen.
100 
Doch Alles geht so.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (33.7 KB)

Details zum Gedicht „Am Quell der Donau“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
100
Anzahl Wörter
578
Entstehungsjahr
1770 - 1843
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts ist Johann Christian Friedrich Hölderlin, der von 1770 bis 1843 lebte und somit der Epoche der Romantik zuzuordnen ist.

Bei der ersten Lektüre entfacht das Gedicht eine Atmosphäre der Ehrfurcht und Bewunderung. Hölderlin webt kunstvolle Bilder von majestätischen Landschaften, göttlicher Inspiration und menschlichem Streben.

Inhaltlich handelt es sich um eine Ode an die Donau und die Kultur, die entlang ihres Laufs entstanden ist. Im erweiterten Sinne ist es eine Hommage an den menschlichen Geist und die Kraft der Kreativität und Inspiration. Das lyrische Ich reflektiert über die enge Verbindung zwischen Mensch und Natur und die daraus fließende Energie, die Unruhe und Bewegung, aber auch Harmonie und Schönheit hervorbringt.

Formal betrachtet folgt das Gedicht keiner strengen Struktur, sondern ist in sieben Strophen mit unterschiedlichen Verszahlen (16, 12, 14, 17, 12, 12, 17) unterteilt. In seiner oft bildhaften und metaphorischen Sprache ist es typisch für Hölderlins Stil und die Romantikepoche: Es beinhaltet Anspielungen auf Geschichte und Mythologie und spiegelt eine tiefe Sehnsucht und Ehrfurcht vor dem Göttlichen und der Naturschönheit wider.

Die Sprache des Gedichts ist geprägt von einer hochtrabenden Syntax und reichhaltigen Metaphern. Daraus resultiert eine poetische Dichte, die stellenweise schwer verständlich ist, den Leser aber zum Nachdenken anregt und einen Rahmen für vielfältige Interpretationen bietet. Der Schwung und die Dynamik der Sprache lassen die faszinierende, pulsierende Energie der Donau und ihrer Kulturlandschaft, der Musik und der Poesie greifbar werden.

Die Bewunderung und fast andächtige Ehrfurcht, die das lyrische Ich empfindet, ist ein typisches Merkmal der Romantik. In der Schwärmerei für das Große und Erhabene, das Geheimnisvolle und Unfassbare drückt sich die charakteristische Sehnsucht der Epoche nach dem Unendlichen und der absoluten Einheit von Natur und Geist aus. In diesem Kontext kann das Gedicht als Zeugnis der romantischen Suche nach Erkenntnis und Transzendenz verstanden werden.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Am Quell der Donau“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Christian Friedrich Hölderlin. Der Autor Johann Christian Friedrich Hölderlin wurde 1770 in Lauffen am Neckar geboren. In der Zeit von 1786 bis 1843 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das vorliegende Gedicht umfasst 578 Wörter. Es baut sich aus 7 Strophen auf und besteht aus 100 Versen. Johann Christian Friedrich Hölderlin ist auch der Autor für Gedichte wie „Das Schicksal“, „Das Unverzeihliche“ und „Dem Genius der Kühnheit“. Zum Autor des Gedichtes „Am Quell der Donau“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 181 Gedichte vor.

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