Die Wahl von Friedrich Gottlieb Klopstock

Europa herrschet. Immer geschmeichelter
Gebietest du der Herrscherin, Sinnlichkeit!
Die Blumenkette, die du anlegst,
Klirret nicht, aber umringelt fester,
 
Als jene, die den bleichen Gefangenen
Im Turme lastet. Zauberin Sinnlichkeit,
Du tötest alles, was erinnert,
Daß sie nicht Leib nur, daß eine Seele
 
Sie auch doch haben! Von der Erhabenen,
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Von ihrer Größe red ich nicht, sage nur:
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Du schläferst ein, daß sie in sich nichts
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Außer der schlagenden Ader fühlen.
 
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Das soll nun endlich enden! Der edle Krieg
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Der großen, liebenswürdigen Gallier
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Raubt bis zum letzten Scherf. Euch sinket
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Welkend vom Arme die Blumenkette.
 
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Die Donnerstimme schallt euch der eisernen
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Notwendigkeit! Ihr strauchelt des Lebens Weg
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Verarmt: wie wär es möglich, daß ihr
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Nun in der Zauberin Schoß noch ruhtet?
 
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Doch wenn ein Funken Seele vielleicht in euch
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Aufglimmet, wenn ihr zürnt, daß ihr Knechte seid...
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Was frommts? Ihr habt zum Flintenstein die
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Pfennige nicht, noch zu einer Kugel!
 
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Ihr saht es welken, hörtet die eiserne
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Notwendigkeit. Was wollet ihr tun? Wohlan,
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Zur Wahl: Verzweifelt! oder macht euch
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Glücklicher, als es der Zauber konnte.
 
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Wer, was die Schöpfung, und was er selbst sei,
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forscht;
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Anbetend forscht, was Gott sei, den heitert, stärkt
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Genuß des Geistes: wen nach diesen
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Quellen nie dürstete, der erlieget.
 
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Der Künste Blumen können zur Heiterkeit
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Auch wieder wecken; führt euch des Kenners Blick.
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Die Farbe trüget oft; der Blumen
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Seelen sind labende Wohlgerüche.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.8 KB)

Details zum Gedicht „Die Wahl“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
37
Anzahl Wörter
228
Entstehungsjahr
1724 - 1803
Epoche
Empfindsamkeit

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Die Wahl“ wurde von Friedrich Gottlieb Klopstock verfasst, welcher im 18. Jahrhundert in der Zeit der Aufklärung lebte und schrieb. Besonders hervorstechend ist der emphatische und eher moralisierende Tenor des Gedichts, was eine typische Eigenschaft der deutschen Literatur in dieser Periode ist.

Der Inhalt des Gedichts konzentriert sich auf das Thema der Sinnlichkeit und deren Vorherrschaft in Europa, welche durch das lyrische Ich kritisiert wird. Das lyrische Ich nimmt die Figur der Sinnlichkeit als übermächtige und verführerische Instanz wahr, die die individuellen und kollektiven Taten und Entscheidungen prägt. Diese „Herrschaft“ der Sinnlichkeit gilt als gefährlich, da sie dafür verantwortlich gemacht wird, dass die Menschen ihren spirituellen und intellektuellen Taten und Leidenschaften den Rücken kehren. Gegen Ende des Gedichts fordert das lyrische Ich die Leser dazu auf, die Wahl zu treffen: Entweder in Verzweiflung und Habgier versinken oder tiefer nach dem eigenen Glück suchen.

Formal besteht das Gedicht aus neun Strophen mit jeweils vier oder fünf Versen. Die Sprache ist kraftvoll und bildreich, wobei der Gebrauch von Symbolen wie die „Blumenkette“ oder die „schlagende Ader“ die emotionale Intensität des Textes verstärkt. Insbesondere wird der Gegensatz zwischen körperlicher Sinnlichkeit und geistiger Erfahrung betont.

Die Sprache des Gedichts ist teils vorwurfsvoll, teils ermutigend, wobei das lyrische Ich eine Rolle als moralischer Mahner und Wegweiser übernimmt. Es bedient sich dabei einer metaphorischen und symbolischen Sprache. So steht die „Zauberin Sinnlichkeit“ beispielsweise für die Einflüsse der sinnlichen Wahrnehmung und der körperlichen Begierden, welche vom lyrischen Ich als negativ und gefährlich betrachtet werden.

Insgesamt handelt es sich bei „Die Wahl“ um ein Gedicht, das deutlich in der geistigen Strömung der Aufklärung verankert ist und das sich auf Basis einer grundsätzlichen Kritik an der Vorherrschaft der Sinnlichkeit für einen bewussten und reflektierten Umgang mit den eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten ausspricht.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Wahl“ ist Friedrich Gottlieb Klopstock. Der Autor Friedrich Gottlieb Klopstock wurde 1724 in Quedlinburg geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1740 und 1803. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Empfindsamkeit zugeordnet werden. Klopstock ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 228 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 37 Versen mit insgesamt 9 Strophen. Weitere Werke des Dichters Friedrich Gottlieb Klopstock sind „Winterfreuden“, „Das Wiedersehn“ und „An die nachkommenden Freunde“. Zum Autor des Gedichtes „Die Wahl“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 65 Gedichte vor.

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