Arco naturale von Marie Eugenie Delle Grazie

Von trotz’gen Titanenhänden
In die Felswand gerissen, ringsum
Wie von versteinten Ungeheuern
Bewacht von phantastischen Klippen, öffnest
O Bogen, du mir deine Wunderschau,
Die herzberückend-augenblendend-schöne!
 
Wie kreisender Schwindel
Erfaßt’s mein Hirn:
Denn über mir wölbt flirrend
10 
Der Äther sich, und unter mir strahlt
11 
Sein Abbild herauf: das Meer,
12 
Zusammenfließend in eine Unendlichkeit
13 
Mit ihm, der welt-umspannenden Götterheimat!
 
14 
Dionysischer Rausch
15 
Durchtobt dir die Seele –
16 
Lockt die Höhe?
17 
Verführt die Tiefe?
18 
Du weißt es nicht – doch herniederzieht’s
19 
Den Willen dir in trunk’nem Selbstvergessen
20 
Und Tod wär’ hier – Genuß!
 
21 
Die Himmlischen aber,
22 
Die mit Sonnenfesseln des Aug’s
23 
Den Menschen geknüpft an’s Dasein,
24 
Und ihm das Leben begrenzt
25 
Durch Schranken der Schönheit, damit
26 
Erhabenheit ihm nicht
27 
Die Seele verwirre und
28 
In’s Bodenlose reiße den Schwindelnden,
29 
Sie zauberten mitleidig
30 
Ihm vor die Augen hier
31 
Den Reichthum seines Stern’s
32 
Und goldne Punkte, darauf
33 
Sein Blick ruh’n mag und aufathmen
34 
Der trunk’nen Sinne bacchische Raserei.
35 
Sie zeigen ihm,
36 
Tief in die Wasser tauchend,
37 
Und fein umrissen vom Licht,
38 
Das winkende Kap der Minerva,
39 
Darüberhin
40 
Amalfi’s schimmernde Küstenberge,
41 
Die höh’numgrünte Bucht von Salerno,
42 
Und vor ihm, zierlichen Flug’s
43 
Mit seid’nem Fittich die Wasser streifend, und
44 
Geschäftig aufkreischend, ein fröhlich Bild
45 
Des Lebens, die schlanke, beutesuchende Möve....
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.1 KB)

Details zum Gedicht „Arco naturale“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
45
Anzahl Wörter
212
Entstehungsjahr
1892
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Arco naturale“ wurde von der österreichischen Dichterin Marie Eugenie Delle Grazie verfasst, die von 1864 bis 1931 lebte. Da keinerlei Informationen über das Veröffentlichungsdatum vorliegen, lässt sich das Gedicht zeitlich nur eingeschränkt einordnen. Es wird jedoch vermutet, dass es während der Hochphase ihres Schaffens Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden sein könnte.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht überaus bildhaft und beschreibend. Man bekommt den Eindruck, als würde das lyrische Ich eine beeindruckende Naturszene beobachten und dabei eine besondere Verbindung zwischen Mensch, Natur und kosmischer Dimension herstellen.

Im Inhalt geht es um den Anblick eines natürlichen Bogens („Arco naturale“), vermutlich in einer Felsformation, und die intensive emotionale und spirituelle Antwort des Betrachters darauf. Die Naturerscheinung wird in den ersten Versen mit mythologischen und fremdartigen Elementen beschrieben. Das lyrische Ich fühlt sich vom Anblick überwältigt, empfindet Schwindel, als würde es sich in einer grenzenlosen Unendlichkeit zwischen Himmel und Meer befinden. Es wird von einem „dionysischen Rausch“ durchdrungen, ein Hinweis auf eine intensive, rauschhafte Verzückung, die sowohl Vergnügen als auch Gefahr birgt.

Die sprachliche Gestaltung des Gedichts ist geprägt durch Delle Grazies Poesie voller Bildhaftigkeit und Sinnlichkeit. Der Einsatz von Antithesen und der Bildsprache erzeugt starke Kontraste und vermittelt die Spannung zwischen der menschlichen Existenz und der unaufhörlichen Naturgewalt. Die Form des Gedichts - vier Strophen unterschiedlicher Länge - spiegelt möglicherweise die unregelmäßige, organische Form der Natur und die Unberechenbarkeit der Gefühle wider, die sie im Betrachter auslöst.

Hinsichtlich der Thematik lässt sich eine klassische romantische Verklärung der Natur und eine Verbindung zu den damals aktuellen philosophischen Diskursen zur Naturphilosophie und zum Subjektivismus herstellen. Es zeigt einen Menschen, der in der Natur nach Sinneserfahrungen und tieferen Einsichten über seine Existenz sucht. In dieser Lesart kann das Gedicht als Ausdruck der damaligen Zeitstimmung interpretiert werden, der Sehnsucht nach dem Ursprünglichen und Echten sowie der Suche nach einer spirituellen Verbindung zur Natur.

Weitere Informationen

Die Autorin des Gedichtes „Arco naturale“ ist Marie Eugenie Delle Grazie. Die Autorin Marie Eugenie Delle Grazie wurde 1864 in Weißkirchen (Bela Crkva) geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1892 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Leipzig. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Bei Delle Grazie handelt es sich um eine typische Vertreterin der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 212 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 45 Versen. Marie Eugenie Delle Grazie ist auch die Autorin für das Gedicht „Abend (Delle Grazie)“, „Abend wird es“ und „Abendsonnenschein“. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „Arco naturale“ weitere 71 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Marie Eugenie Delle Grazie (Infos zum Autor)

Zum Autor Marie Eugenie Delle Grazie sind auf abi-pur.de 71 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.