Und dennoch! von Richard Dehmel

Und bist vom auserwählten Stamm
und liebst dein Volk und uralt Blut,
und fast wie Haß ist deine Glut
für deinen schwer gequälten Stamm;
 
und träumst von euerm Sinai
und der nur Euren Himmelsnäh’,
und stehst wie Mose vor Jahwäh
und stehst und schwörst: ich wanke nie.
 
Und dennoch kam in deinen Mund
10 
das Wort, das einst am Jordan klang;
11 
da rang ein Mensch mit sich – und rang
12 
sich weinend los vom alten Bund
 
13 
und sprach, indeß sein blutend Herz
14 
aus Schauern schwer gen Himmel stieg:
15 
Nur dein Entsagen ist dein Sieg,
16 
und eins und gleich ist Aller Schmerz.
 
17 
Wie kam es doch, das Wort der Qual,
18 
des Menschensohnes Siegesnot,
19 
auf Deine Zunge – sein Gebot:
20 
„Sei stark, zerbrich den Trieb der Wahl!“
 
21 
und liebst ein auserwähltes Volk
22 
und fast wie Haß ist deine Glut?!
23 
Und siehe, um dich rauscht Ein Blut:
24 
der Menschen schwer gequältes Volk ...
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.7 KB)

Details zum Gedicht „Und dennoch!“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
146
Entstehungsjahr
1893
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Und dennoch!“ wurde von Richard Dehmel verfasst, einem deutschen Dichter und Schriftsteller, der von 1863 bis 1920 lebte. In Hinblick auf sein Geburts- und Todesdatum ist es wahrscheinlich, dass dieses Gedicht in der Zeit des modernen Symbolismus und Naturalismus, zwischen Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden ist.

Auf den ersten Blick scheint das Gedicht eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Themen der Identität, der Loyalität und der Rebellion zu beinhalten. Die Worte sind kraftvoll und emotiv, was dazu führt, dass das Gedicht ungeachtet seines inhärenten Konflikts sowohl Stärke als auch Leidenschaft ausstrahlt.

Das lyrische Ich des Gedichts bezieht sich auf jemanden aus einem „auserwählten Stamm“, was angesichts Dehmels deutscher Herkunft und des historischen Kontexts auf das Judentum hindeuten könnte. Dieses lyrische Ich fühlt sich zutiefst mit seiner Identität, seiner Gemeinschaft und seiner Geschichte verbunden („liebst dein Volk und uralt Blut“). Aber gerade diese leidenschaftliche Liebe führt zu Schmerz und Kampf ('schwer gequälter Stamm').

In den späteren Versen komm ein biblischer Bezug zum Ausdruck - nämlich der Exodus der Israeliten aus Ägypten, angeführt von Moses und der Bund Gottes mit diesem Volk am Sinai. Aber trotz dieser starken religiösen Bindung und Verpflichtung zeigt das lyrische Ich eine Art Widerstand oder Rebellion. Es löst sich „weinend vom alten Bund“, was eine spirituelle oder ideologische Krise impliziert.

Gegen Ende des Gedichts schließt das lyrische Ich mit der Aussage, dass „eins und gleich ist Aller Schmerz“. Dies interpretieren wir als eine Art universelle Menschlichkeit, trotz spezifischer Unterschiede und Identitäten.

Das Gedicht folgt keinem klassischen Reimschema, es handelt sich aber um einen regelmäßigen Vierzeiler (Quartett). Die Sprache ist komplex und sinnbildlich, was zu der allumfassenden und tiefen Bedeutung des Werks beiträgt. Es ist reich an Metaphern und Anspielungen, sowohl historische als auch religiöse, die den Leser zur Interpretation und Reflexion einladen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Richard Dehmels „Und dennoch!“ ein bewegendes Gedicht ist, das die tiefe innere Zerrissenheit zwischen kultureller Identität, religiöser Bindung und individueller Rebellion erforscht, wobei es gleichzeitig die universelle Erfahrung von Schmerz und Leiden betont.

Weitere Informationen

Richard Dehmel ist der Autor des Gedichtes „Und dennoch!“. Dehmel wurde im Jahr 1863 in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1893 zurück. Erscheinungsort des Textes ist München. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Dehmel ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 24 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 146 Worte. Weitere Werke des Dichters Richard Dehmel sind „Antwort“, „Auf der Reise“ und „Aufblick“. Zum Autor des Gedichtes „Und dennoch!“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 522 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Richard Dehmel (Infos zum Autor)

Zum Autor Richard Dehmel sind auf abi-pur.de 522 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.