Sehnsucht nach Rom von Friedrich von Matthisson

Wie Filoktets umwölkten Blicken
Der Vatererde lachend Grün,
Auf Lemnos unwirthbarem Rücken,
In jedem Halm zu weben schien:
 
So mahnt mich, wo der Wildniß Ranken
Hier, um des Klosters grauen Dom,
Im goldnen Morgenstrale wanken,
Selbst jedes Moos an dich, o Rom!
 
Es brausen, Königin der Tiber,
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Nur deines Namens Feierhall
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Der Alpen Stürme mir herüber,
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Ihn donnert mir der Ströme Fall!
 
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Wann Eos früh die Wipfel röthet,
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Grüß’ ich Borgheses Paradies,
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Wann Filomel’ ihr Nachtlied flötet,
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Den Lorberwald von Medizis;
 
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Wann sich die Frühlingsblum’ entfaltet,
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Pamfilis Anemonenflur:
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Doch, ach! bis diese Brust erkaltet,
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Aus öder Fernung Nebel nur.
 
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Daß, eh’ des Daseyns Fackel sänke,
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Ich einmal noch den Himmelsduft
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Der Hesperidengärten tränke
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Und ihres Aethers Zauberluft!
 
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Daß mir der Hohen Schluß vergönnte,
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Im Abendlicht’ Anthusas Höhn
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Und ihre Göttermonumente
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Mit Einem Blick nur noch zu sehn!
 
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Euch, Siegesbogen, Basiliken,
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Dich, stillerhabnes Pantheon,
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Und, Obelisken euch! Antiken
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Am Nil der Vorwelt Pilgern schon;
 
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Und, Koliseum, dich! so brausend
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Sich auch des Zeitstroms Woge bricht,
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Du troztest mächtig dem Jahrtausend,
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Nur dem gekrönten Frevler nicht;
 
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Ach! hätten dich Barbarenhände,
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Du Riesendenkmal, nicht entweiht,
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Gleich einem Urgebirge stände
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Dein ganzer Wunderbau noch heut;
 
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Dich, Forum, wo der Strom der Wahrheit
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Sich von den Lippen Ciceros
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So oft, mit Arethusas Klarheit
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Und mit des Rheinfalls Kraft, ergoß;
 
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Wo er, der glücklichste der Streiter
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Für Freiheit, Recht und Vaterland,
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Der ernsten Nemesis Geweihter,
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Ein Fels im Wogenaufruhr, stand;
 
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Und würdiger der Siegespalme,
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Als wen Bellonens Wagen trug,
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Wie Hagelsturz der Ceres Halme,
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Der Mordwuth Rotte niederschlug.
 
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Von Romas Wundern seyd vor allen
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Des Bildners Wunder, mir gegrüßt!
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Ihr Göttlichen! in deren Hallen
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Der Schönheit Urquel sich ergießt.
 
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Wie Bienen zum Hymettus, kehrte,
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Selbst vom erhabnen Meisterstück
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Wo Rafael den Herrn verklärte,
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Zu euch, doch nur zu euch mein Blick.
 
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Vom Nachglanz der gesunknen Sonne,
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Die einst den Praxitelen schien,
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Sieht euch mein Geist mit Schmerz und Wonne,
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Noch stets im Traum der Sehnsucht glühn!
 
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Dich, dessen Qual die Seele tiefer
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Als Ugolinos Qual bewegt,
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O Dulder! dem des Unthiers Kiefer
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Sich graunvoll in die Seite schlägt;
 
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Euch, quirinalische Kolosse,
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Die ihr den Hall des Ruhms vernehmt,
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Indeß der Arm die Flammenrosse
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Jach, wie Neptun die Fluthen, zähmt;
 
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Dich, Torso, weitgepries’ne Trümmer
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Des Sohns der langen Wundernacht,
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Dem, an der Thaten Ziel, der Schimmer
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Von Hebes Nektarschale lacht;
 
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Dich, Sonnengott im Belvedere!
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Doch Mnemosynens Jammerton
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Füllt deines Tempels dumpfe Leere
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Und Echo seufzt: Er ist entflohn!
 
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Du stehst nun unter den Gebilden
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Des Ungeschmacks voll Trauer da,
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Wie einst im Kreise roher Wilden
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Auf Tauris Ifigenia.
 
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Wann winkt die ernste Pyramide,
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Die sich am Scherbenberg’ erhebt,
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Zum Thal mich hin, wo Lethes Friede
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Um stille Fremdlingsgräber schwebt?
 
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Werd’ ich an Vestas Tempelrunde,
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Ach! unter Götterschwärmerein,
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Den Grazien, in heilger Stunde,
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Nie mehr den ersten Becher weihn?
 
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Wie oft, bis zu der Sterne Schwinden,
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Hab’ ich dem Katarakt gelauscht,
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Der wild in Tiburs Felsenschlünden
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Und stolz in Flakkus Hymnen rauscht!
 
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Wann werd’ ich wieder dich erklimmen,
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Albanos Berg! auf dessen Höhn,
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Im Mondlicht, oft Heroenstimmen
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Des Donnrers Tempelhain’ entwehn?
 
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Hoch sey der hehre Tag gefeiert,
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Als hier, von Rom bis Ostia,
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Mein Blick, vom Zeitgewölk entschleiert,
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Der Thatenbühnen größte sah.
 
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Verweht, gleich einem Nachtfantome,
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War plözlich der Verödung Graun,
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Des Tempes Haine, rings am Strome,
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Durchschwärmten Oread’ und Faun.
 
109 
Froh staunte da die Morgenhore
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Der goldnen Zeiten Wiederkehr;
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Die Bann- und Fluchstadt der Gregore
112 
Und Alexander war nicht mehr!
 
113 
Wie jauchzten des Olymps Päane,
114 
Als, um den alten Palatin,
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Die Roma der Vespasiane
116 
In stolzer Herrlichkeit erschien?
 
117 
Als aus dem Grause der Vernichtung
118 
Der Tempel Majestät sich hob,
119 
Und ihren Rosenflor die Dichtung
120 
Mild um die Schöpfung wieder wob!
 
121 
Wie scholl an lodernden Altären,
122 
Dem Gotte der zum Indus drang,
123 
Der blonden Spenderin der Aehren
124 
Und ihm, dem Heerdenschützer, Dank!
 
125 
Wie schwebte, bis die Berge westlich
126 
In Grau sich tauchten, dir zum Preis
127 
Der Hekatomben Wolke festlich
128 
Um deine Burg, Befreier Zeus!
 
129 
Wie sorglich waltete, vom Scheine
130 
Der heilgen Opferglut verklärt,
131 
In göttlich hoher Seelenreine,
132 
Der Jungfraun Chor um Vestas Heerd!
 
133 
Wie glänzten vom Tyrrhenermeere
134 
Der Flotten Purpursegel her!
135 
Wie drängten Heere sich an Heere,
136 
Von ferner Zonen Beute schwer!
 
137 
Wie wälzte die entzückte Menge
138 
Sich brausend, längs der Tiber Bord,
139 
Beim Donnerhall der Siegsgesänge,
140 
Mit des Triumfzugs Pompe fort!
 
141 
Am Kapitol, dem Felsensitze
142 
Des Adlers, der, mit stolzem Flug’,
143 
Im Thatensturm Kronions Blitze
144 
Voran den Weltbezwingern trug:
 
145 
Soll da nicht einmal meine Seele
146 
Noch dem Tyrannenmörder glühn?
147 
Und vor dem hohen Mark-Aurele,
148 
Dem Genius der Menschheit, knien?
 
149 
Dort ist’s, wo, im verklärten Lichte
150 
Des Abendsterns in stillen Seen,
151 
Der Vorwelt göttliche Gesichte
152 
Lebendig vor uns auferstehn;
 
153 
Wo Rom, in ernster Heldenschöne,
154 
Indeß der Weltkreis ahnend schwieg,
155 
Im Waffenschimmer, wie Athene,
156 
Verhängnißvoll der Nacht entstieg;
 
157 
Und, mit Alcidens Kraft schon muthig
158 
Der Drachen viel als Kind bezwang,
159 
Eh’ sie, von tausend Kämpfen blutig,
160 
Des Erdballs Diadem errang.
 
161 
Wie lauschte, schwebten still der Manen
162 
Geweihte Chöre dort empor,
163 
Den Scipionen, den Trajanen
164 
Und, Kato, dir mein trunknes Ohr!
 
165 
Dort, wo der fernsten Nachwelt Sohne,
166 
Dem Himmelsglut im Busen wallt,
167 
Ein jeder Stein mit Heroldstone,
168 
Ins Herz noch diese Namen hallt!

Details zum Gedicht „Sehnsucht nach Rom“

Anzahl Strophen
42
Anzahl Verse
168
Anzahl Wörter
845
Entstehungsjahr
1799
Epoche
Klassik,
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Sehnsucht nach Rom“ wurde vom deutschen Autor Friedrich von Matthisson (1761-1831) verfasst. Dies zeitliche Einordnung ist die Epoche der Weimarer Klassik und der Romantik.

Schon beim ersten Lesen wird deutlich, dass hier ein lyrisches Ich seine tiefe Sehnsucht, vielleicht sogar Nostalgie, nach der Stadt Rom zum Ausdruck bringt.

Inhaltlich beschreibt das lyrische Ich eine sehr bildhafte und emotionale Erinnerung an Rom und seine historischen, kulturellen und architektonischen Besonderheiten. Es erwähnt zahlreiche Erinnerungen an spezifische Orte und Momente in Rom und stellt eine Vielzahl von Bezügen zur Geschichte und Mythologie Roms her, die seine tief verankerte Achtung und Wertschätzung für die Stadt und ihre reiche Vergangenheit widerspiegeln. Gegen Ende des Gedichts drückt das lyrische Ich den tiefen Wunsch aus, einmal wieder in Rom sein zu können, bevor seine Zeit zu Ende geht.

Auf formal Ebene ist das Gedicht als Reimparabel strukturiert und setzt sich aus 42 Strophen mit jeweils 4 Versen zusammen, die jeweils den gleichen Reimmaß und Versfuß beibehalten. Diese strenge Formalität betont die Ernsthaftigkeit und Tiefe der Sehnsucht und Wertschätzung, die das lyrische Ich für Rom zum Ausdruck bringt.

Sprachlich zeichnet sich das Gedicht durch eine sehr bildhafte, poetische und hochstufige Sprache aus, die eine starke emotionale Wirkung hat und die Sehnsucht und Verehrung des lyrischen Ichs für die Stadt Rom deutlich macht. Insbesondere der wiederholte Gebrauch der Anrede „o Rom!“ betont die direkte emotionale Bindung des lyrischen Ichs zu Rom und die Intensität seiner Sehnsucht, wieder dort zu sein.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Gedicht „Sehnsucht nach Rom“ ein sehr emotionales und tief bewegendes Zeugnis der Wertschätzung und Sehnsucht sein kann, die das lyrische Ich für Rom und seine reiche Geschichte und Kultur fühlt. Das zeigt einmal mehr die Fähigkeit von Matthisson als Dichter, tiefe emotionale Zustände und starke Gefühle in bildhafte und bewegende Worte zu fassen.

Weitere Informationen

Friedrich von Matthisson ist der Autor des Gedichtes „Sehnsucht nach Rom“. Matthisson wurde im Jahr 1761 in Hohendodeleben bei Magdeburg geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1799 entstanden. Tübingen ist der Erscheinungsort des Textes. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Klassik oder Romantik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das 845 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 168 Versen mit insgesamt 42 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Friedrich von Matthisson sind „Der Einsiedler an die Fürstinn von Dessau 1792“, „Der neue Pygmalion 1790“ und „Die Elementargeister“. Zum Autor des Gedichtes „Sehnsucht nach Rom“ haben wir auf abi-pur.de weitere 11 Gedichte veröffentlicht.

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