Schmerzhafte Mutter von Paul Haller
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Nicht hier! den roten Kreuzen folgt der Weg, |
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Der zur Kapelle führt. „Komm, Bruder, komm! |
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Der Steig ist kürzer und mir junggewohnt.“ |
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So folg ich dir, und wohl, dein Pfad ist gut, |
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Der lang und scharf das Tannendunkel spaltet. |
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Die roten Kreuze sieh! da nahn sie wieder, |
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Das letzte hier, das zur Kapelle weist. |
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– Wie still der Ort. Der Linden Aestekranz |
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Des Laubs beraubt, ragt schüchtern in den Himmel, |
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– Und laß die Sonne durch den Nebel brechen, |
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So fällt kein Schatten auf die öde Bank. |
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Hier laß uns ruhn! – Du schläferst. – Ich, ich träume. |
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Wie still der Ort! Des Brünnleins dünnes Plätschern |
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Stört nicht die Hühner auf dem Gartenhaus |
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Der nahen Wirtschaft, und des Knaben Lauf |
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Vom Stall zur Küche, und des Hündleins Spielen; |
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Das alles ist vielleicht nicht Wirklichkeit. |
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Du Kirchlein hier, mit Säulenvorgebäu, |
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Wie seltsam ragst du mir ins Aug, umschlungen |
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Vom Walde wie ein Kind vom Mutterarm! |
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„Ja, sagst du, Gottes Mutter hütet mich. |
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Schmerzhafte Mutter, sieh! sie bittet auch |
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Den fremden Wandrer. Schenk ihr eine Gabe!“ – |
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Wie tief der Nebel liegt! Wie fern das Glöcklein |
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Im Tal sich regt, das kaum im heilgen Kreis |
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Den scheuen Tonschritt hinzusetzen wagt! |
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Dort draußen, wo heut Menschensonntag ist, |
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Wohnt auch ein Mütterlein; schmerzhafte Mutter, |
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Am Grabe weinend, das den Gatten birgt. |
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Maria, Mutter Gottes, die du einst |
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Den Sohn ins Grab getragen, kennst du auch |
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Den Schmerz, der um den toten Gatten ringt? |
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Viel geb ich dir, wenn du ihn stillen kannst. – |
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Wie still ist dieser Ort! Des Herzens Schlag |
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Stört der Gedanken leichtbeschuhten Schritt |
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Und wird zum Hammerschlag, der mich erweckt. |
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Komm, Bruder, laß uns fröhlich weiter gehn! |
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Doch eh wir scheiden, an des Kirchleins Tür |
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Der Mutter Gottes eine milde Gabe! |
Details zum Gedicht „Schmerzhafte Mutter“
Paul Haller
1
39
284
nach 1898
Naturalismus
Gedicht-Analyse
Der Autor des Gedichts ist Paul Haller, ein Dichter des frühen 20. Jahrhunderts. Das Gedicht lässt sich daher wohl in diese Epoche einordnen.
Auf den ersten Blick scheint es sich um eine tiefe, spirituelle und emotional geladene Rezitation zu handeln. Das lyrische Ich beschreibt eine Reise zu einer Kapelle und die Reihe von Begegnungen und Erfahrungen, die es auf diesem Weg macht. Dabei wird das Motiv der „schmerzhaften Mutter“ sowohl auf Maria, die Mutter Jesu und die dazugehörige Marienkapelle bezogen, als auch auf eine Person im Leben des lyrischen Ichs, die um einen verstorbenen Gatten trauert.
Das lyrische Ich scheint eine gewisse Verbundheit mit diesem Schmerz zu fühlen und bemerkt gleichzeitig die Aufgabe der Kapelle und der darin verehrten Maria als Trostspender. Es reflektiert die allgegenwärtige Präsenz des Schmerzes, nicht nur im religiösen Kontext, sondern auch in der gegenwärtigen Realität und bietet eine milde Gabe an, in der Hoffnung, diesen Schmerz zu stillen.
Das Gedicht verwendet eine recht komplexe Sprache und Form. Mit 39 Versen und nur einer Strophe handelt es sich um ein langes, fließendes Gedicht, das reich an beschreibenden Elementen und Metaphern ist. Die natürliche Umgebung, wie der Pfad, die roten Kreuze und die Kapelle, werden sorgfältig dargestellt, und alles scheint mit tiefer spiritueller Bedeutung aufgeladen zu sein.
Obwohl das Gedicht in Reimen verfasst ist, ist es nicht in einem strikten metrischen Muster geschrieben. Der Rhythmus variiert, um die kontemplative und introspektive Natur des Gedichts zu unterstreichen. Insgesamt weist das Gedicht eine starke Stimmung der Melancholie und Reflektion auf, während es gleichzeitig eine tiefe spirituelle Suche und eine Hoffnung auf Trost und Erleichterung darstellt.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Schmerzhafte Mutter“ des Autors Paul Haller. Haller wurde im Jahr 1882 in Rein bei Brugg geboren. Im Zeitraum zwischen 1898 und 1920 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Aarau. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Naturalismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Haller handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 284 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 39 Versen mit nur einer Strophe. Weitere bekannte Gedichte des Autors Paul Haller sind „Augen“, „Bei Morcote“ und „Conrad Ferdinand Meyer“. Zum Autor des Gedichtes „Schmerzhafte Mutter“ haben wir auf abi-pur.de weitere 65 Gedichte veröffentlicht.
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