Kutscherlümmel von Paul Haller
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In der großen Stadt Paris |
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Müde gähnt ein Kutscherlümmel |
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Nach dem kalten Sternenhimmel. |
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Keiner pfeift ihm, keiner winkt ihm, |
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Und das Haupt voll Schlummer sinkt ihm |
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In des Mantels warmes Vließ. |
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Aus der Kneipe trübem Tor |
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Gröhlt ein Lärm von trunk’nem Jassen, |
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Schwankt ein Weib durch stille Gassen. |
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Aus dem ungezähmten Munde |
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Bricht ein Fluchen in die Runde |
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Wie ein wüster Strom hervor: |
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„Schlag’s doch! schlag das Würmlein tot! |
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Denk, es sei ein böser Kater! |
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Teufel! Hund von einem Vater! |
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Hast auch mich auf’s Blut geschlagen, |
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Kannst es selbst ins Wasser tragen, |
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Gabst ihm nie kein Stücklein Brot! |
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O mein gutes, o mein Kind! |
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Wie du lachen kannst, die runden |
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Ärmchen mir ums Haupt gewunden! |
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Ei doch, laß das dumme Lachen! |
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Vater will dich schlafen machen |
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Drüben, wo die Seine rinnt. |
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Ich betrunken? Säufer! bleib, |
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Daß ich dir die Flasche .... hörst du, |
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Daß ich nüchtern bin, das schwörst du! |
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Nimm das Kind, es lacht so häßlich!“ |
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Also fluchend taumelt gräßlich |
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Durch die Straßen hin das Weib. |
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Vor dem Kutscher, haltlos, schwer |
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Schlagen die gelösten Glieder |
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In den Schlamm der Gosse nieder. |
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Aufgescheucht aus lindem Schlummer |
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Lacht er ohne Menschheitskummer! |
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„Ei, wo fiel das Untier her?“ |
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Springt vom Bock zur raschen Tat, |
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Hebt sie in den dunklen Wagen; |
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Und, von Polstern weich getragen, |
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Rollt sie wie die reichen Leute, |
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Schlummerglücklich wie die Bräute, |
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Durch die menschenscheue Stadt! |
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Durch die Stadt, wo einst im Blut |
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Weiber um Schaffotte sprangen, |
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Lustigwild Ça ira! sangen, |
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Fährt die trunk’ne Mutter, fröhlich |
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Eingewiegt und murmelt selig: |
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„O wie sind die Menschen gut!“ |
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Tappt sich aus dem Wagentor |
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Auf die dunkeln Dachraumstiegen; |
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Find’t ihr Kind im Bettlein liegen, |
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Lächelnd, plaudernd, wie die Kleinen |
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Nächtlich tun. Da springt ein Weinen |
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Ihr aus wundem Herz empor. |
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Wendet, der sie heimwärts wies, |
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Seine müden Räderpaare. |
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Kutscherlümmel, Großstadtware! |
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Keiner pfeift ihm, keiner winkt ihm, |
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Und das Haupt voll Schlummer sinkt ihm |
60 |
In der großen Stadt Paris. |
Details zum Gedicht „Kutscherlümmel“
Paul Haller
10
60
320
nach 1898
Naturalismus
Gedicht-Analyse
Dieses Gedicht stammt von dem Schweizer Dichter Paul Haller, der in der Zeit von 1882 bis 1920 lebte. Das Gedicht ist somit der literarischen Zeit der sogenannten Neuromantik einzuordnen.
Auf den ersten Blick entfaltet das Gedicht eine düstere, nachdenkliche Stimmung, die den Leser in das nächtliche Paris zu Beginn des 20. Jahrhunderts mitnimmt.
Inhaltlich dreht sich das Gedicht um einen Kutscherlümmel in Paris, der in der Nacht unterwegs ist. Er ist anscheinend der einzige auf den Straßen und fühlt sich daher einsam und unbeachtet. Währenddessen begegnet er einer Frau, die betrunken und verzweifelt ist, ihr Kind schlägt und es im Fluss Seine töten will. Der Kutscher hilft der Frau, hebt sie in seinen Wagen und bringt sie nach Hause, wo sie ihr schlafendes Kind findet und erleichtert ist.
Das lyrische Ich, also die erzählende Instanz, gibt die Geschichte aus der Beobachterperspektive wieder und es entsteht der Eindruck, als würde es die Geschehnisse aus einer gewissen Distanz kommentieren. Es zeigt die dunkle Seite von Paris und stellt dabei das Leid, die Verzweiflung und Einsamkeit der betrunkenen Frau dar, die scheinbar von niemandem beachtet wird. Nur der Kutscher hilft ihr und zeigt damit eine unerwartete Güte und Menschlichkeit in dieser düsteren Umgebung.
Formal besteht das Gedicht aus zehn Strophen zu je sechs Versen. Es weist keinen festen Reim auf, jedoch gibt es eine regelmäßige Metrik. Die Sprache des Gedichts ist kraftvoll und malerisch und erzeugt ein lebhaftes Bild der geschilderten Umgebung und Situationen. Bemerkenswert sind unter anderem der detailreiche Ausdruck und die anschauliche Verwendung von Vergleichen und Metaphern.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieses Gedicht eine dunkle, nachdenkliche und zugleich rührende Geschichte erzählt. Es hält gleichzeitig der Gesellschaft den Spiegel vor, indem es aufzeigt, wie leicht menschliches Leid unbeachtet bleiben kann und wie wichtig kleine Mitmenschlichkeiten wie die des Kutschers sind. Es ist ein Aufruf zur Beachtung der Menschen am Rande der Gesellschaft und ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Kutscherlümmel“ des Autors Paul Haller. Der Autor Paul Haller wurde 1882 in Rein bei Brugg geboren. Zwischen den Jahren 1898 und 1920 ist das Gedicht entstanden. Aarau ist der Erscheinungsort des Textes. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Naturalismus zuordnen. Bei dem Schriftsteller Haller handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 320 Wörter. Es baut sich aus 10 Strophen auf und besteht aus 60 Versen. Weitere Werke des Dichters Paul Haller sind „Adie Wält“, „An die Mutter“ und „An die blasse Sonne I“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Kutscherlümmel“ weitere 65 Gedichte vor.
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- Abseits (Haller)
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- An die Mutter
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- An die strahlende Sonne
- An eine Sängerin
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Zum Autor Paul Haller sind auf abi-pur.de 65 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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