Und ein wüster Traum scheint Wirklichkeit geworden von Richard Dehmel

Und ein wüster Traum scheint Wirklichkeit geworden:
durch grabesstille Säle tobt ein Farbenmeer:
nackte Leiber hängen an den Wänden umher,
und geputzte Damen, Tiere, Bäume, Herren mit Orden.
Neben blühenden Feldern sieht man arme Leute jammern.
Aus vergoldeten Rahmen stieren elende Kammern.
Endlich seufzt der Mann und lächelt schwer:
 
Ich segne wahrhaftig meine gelähmte Hand,
wenn so viel gesunde auf käuflicher Leinewand
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mit ihrer natürlichen Ohnmacht Stimmung machen.
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Ob diese Künstler nicht über sich selber lachen,
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wenn sie mit kindischer List vom vollen Leben
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den Schaum abschöpfen? - Aber eben:
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Stimmung - die Sprache sagt es - läßt sich »machen«,
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Gefühl und Geist sind Wenigen voll gegeben.
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Sieh dort: in all dem Schwall das schmale Bild,
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von dem wir hier nur eine Klarheit erkennen,
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die kühn aus tiefem Grau ins Blaue schwillt:
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und magst du's arm vielleicht an Farbe nennen,
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du fühlst doch, daß da Einer spricht,
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der innerlich so reich ist wie das Licht,
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und der drum Schatten wirft auf das Gelichter
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dieser dürftigen Flunkerwichter.
 
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Sie treten näher. Sie sehn am Strand
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des Nachtmeers schlafend einen Knaben liegen:
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ein großer Stern scheint seinem Atem entstiegen,
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in dessen Glanz sich alle Wellen wiegen.
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Endlich nimmt das Weib des Mannes Hand:
 
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Und stimmt das nicht zum Frieden deinen Geist?!
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Mir deucht, von sicherm Ufer kann man dreist
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auch einem Irrlichtschwarm Reiz abgewinnen.
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Ich glaube, dir ist das Herz durch Andres schwer.
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Ich hab auf einmal Sehnsucht nach dem Meer;
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uns fehlt wohl nur der freie Himmel hier drinnen.
 
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Sie lächelt: komm! Er stutzt. Dann nickt er nur.
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Zwei Menschen folgen ihrer Natur.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.2 KB)

Details zum Gedicht „Und ein wüster Traum scheint Wirklichkeit geworden“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
261
Entstehungsjahr
1863 - 1920
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Und ein wüster Traum scheint Wirklichkeit geworden“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Richard Dehmel. 1863 wurde Dehmel in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg geboren. Im Zeitraum zwischen 1879 und 1920 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Dehmel handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 261 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 36 Versen. Die Gedichte „Büßende Liebe“, „Chinesisches Trinklied“ und „Dann“ sind weitere Werke des Autors Richard Dehmel. Zum Autor des Gedichtes „Und ein wüster Traum scheint Wirklichkeit geworden“ haben wir auf abi-pur.de weitere 522 Gedichte veröffentlicht.

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