Die Nacht der Großstadt scheint ins Land zu wogen von Richard Dehmel

1	Die Nacht der Großstadt scheint ins Land zu wogen:
2	Laternen lauern bleich den Fluß entlang.
3	Gleich trunknen Nixen zucken schwank
4	die Widerscheine unterm Brückenbogen,
5	vom Takt der Strömung hin und her gezogen;
6	zwei Menschen bleiben stehn am Uferhang.
7	Ein Mann, wie von dem Zerrspiel mitgezwungen,
8	weckt schwanke Erinnerungen:
9	Ellewelline tanzt Serpentine
10	oh, wie war der Maitag wunderbar!
11	als der Herr Eidechs im Sonnenschein erwarmte,
12	als ich im Weibe noch die Welt umarmte;
13	da hatt ich noch kein graues Haar.
14	Da hatt ich blaue Himmelschuh an,
15	und war ein schön feuriger Reitersmann;
16	jetzt zieh ich durch die Nacht im Hundetrott.
17	Und könnt doch spornstreichs, wie rüstige Witwer dürfen,
18	aus »allen neuen Reizen« Freude schlürfen
19	gelt, Fürstin - freier als ein Gott!
20	Er lacht. Er lacht sie an. Sie rührt sich nicht.
21	Es zuckt wie buhlend in den Wassergrüften.
22	Sie will's nicht sehn - wegblicken - Nein, nicht - o Licht:
23	heilig strömt's über - sie flammt, sie spricht,
24	schauernd bis in die schwangern Hüften:
25	Ich bin nicht mehr Fürstin! ich bin dein Weib!
26	ich trage dein Blut in meinem Leib!
27	Du wirst Mein bleiben! du wirst mich nicht schänden!
28	du hast mein nacktes Leben in Händen!
29	Das ist die tötlichste Schmach für ein Weib,
30	verschmäht ein Mann ihren willigen Leib!
31	Das war's, was Jene zum Äußersten trieb;
32	was ihr nicht ahntet, wie Wir jetzt, Wir
33	drum gingst du pflichtlos, schuldlos von ihr.
34	Mich aber hast du blutpflichtig lieb!
35	Sie zittert; sie will seine Hände fassen.
36	Er starrt; er wehrt ihr. Zwei Menschen erblassen.

Details zum Gedicht „Die Nacht der Großstadt scheint ins Land zu wogen“

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Nacht der Großstadt scheint ins Land zu wogen“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Richard Dehmel. Geboren wurde Dehmel im Jahr 1863 in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg. In der Zeit von 1879 bis 1920 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Dehmel handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 252 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 36 Versen. Weitere Werke des Dichters Richard Dehmel sind „Bann“, „Bastard“ und „Bitte“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Nacht der Großstadt scheint ins Land zu wogen“ weitere 522 Gedichte vor.

Weitere Gedichte des Autors Richard Dehmel (Infos zum Autor)

• An mein Volk
• Antwort
• Auf der Reise
• Aufblick
• Ballade vom Volk
• Bann
• Bastard
• Bitte
• Büßende Liebe
• Chinesisches Trinklied

Zum Autor Richard Dehmel sind auf abi-pur.de 522 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.