Und Seel in Seele neu begnadet von Richard Dehmel

1	Und Seel in Seele neu begnadet
2	umschreiten sie die alte Ahnengruft.
3	In den verschneiten Wäldern badet
4	der goldenblaue Morgenduft.
5	Und Hand in Hand vorbei an Baum und Baum
6	erzählt der Mann dem Weib einen Traum:
7	Es war, als ging ich irr auf Schicksalswegen,
8	und nur das Eine wußte ich:
9	ich kam vom Tod und ging dem Tod entgegen
10	da fand ich in der dunkeln Wüste Dich.
11	Dein Haupt beschirmend hob zur Sternenzone
12	ein Palmbaum seine starre schwarze Krone;
13	doch eins der Blätter neigte sich,
14	als sollten wir's auf einen Friedhof bringen.
15	Und da wir's nun zu uns herniederzwingen,
16	da fängt es an zu knistern und zu glühen,
17	und seine zitternden Adern sprühen
18	ein leuchtendes Gefäßnetz aus.
19	Und von dem Ätherglanz mit dir umschlungen,
20	entschweb'ich, aller Irrsal hell entrungen,
21	still heimathin durchs Weltgebraus.
22	Und Hand in Hand vorbei an Baum und Baum
23	erzählt das Weib: Es muß dein Traum
24	in meinen Schlaf geleuchtet haben:
25	Ich schwebte über einem breiten Graben,
26	und jenseits, hoch am grauen Himmelssaum,
27	stand deine strahlende Gestalt, doch schlief,
28	bewacht von sieben dunklen, die sich beugten.
29	Und während sie im Wasserspiegel tief
30	mir ihre Ähnlichkeit mit dir bezeugten,
31	begannen sie in dich hinein zu schwinden.
32	Und du, erwachend, sprachst, mir beigesellt:
33	wir sind so innig eins mit aller Welt,
34	daß wir im Tod nur neues Leben finden.
35	Und ringsher träumt die Waldung, weiß verkleidet.
36	Zwei Menschen fühlen, daß der Tod nicht scheidet.

Details zum Gedicht „Und Seel in Seele neu begnadet“

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Und Seel in Seele neu begnadet“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Richard Dehmel. Dehmel wurde im Jahr 1863 in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg geboren. Zwischen den Jahren 1879 und 1920 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Moderne zuordnen. Bei dem Schriftsteller Dehmel handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 36 Versen mit insgesamt 5 Strophen und umfasst dabei 234 Worte. Der Dichter Richard Dehmel ist auch der Autor für Gedichte wie „Ballade vom Volk“, „Bann“ und „Bastard“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Und Seel in Seele neu begnadet“ weitere 522 Gedichte vor.

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