Die Tanne von Paul Haller
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Horch die Glocke! Mag die Tanne stehn |
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Und noch einen letzten Sonntag sehn! |
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Montags soll sie fallen! „Nichts da! heute! |
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Nieder mit! sie hört ihr Grabgeläute!“ |
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Freudig sehn sie schon den Wipfel nicken, |
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Lustig fluchend zerren sie an Stricken, |
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Daß sie nicht ihr Ende zornig rächend, |
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Sich auf’s Jungholz stürze, wipfelbrechend. |
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Ächzend unterm Taktschlag roher Beile |
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Schmettert hin die grüne Riesenkeule, |
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Greift im Sturz den nächsten der Gesellen |
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Und begräbt ihn unter Nadelwellen. – |
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Horch die Glocke! Unter grünen Wogen |
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Haben sie den Mann hervorgezogen; |
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Auf den Zweigen, die ihn schlugen, liegt er, |
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Bleiche Wangen in die Nadeln schmiegt er, |
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Und den rauhen Weg von Berg zu Tale |
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Macht er mühlos, doch zum letzten Male. |
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Unter ihm die starken Männerschritte, |
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Über ihm schon zage Sternentritte, |
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Flüchtig Ziehen einer Wolkenflocke |
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Und der linde Takt der Abendglocke. |
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Wie sie ausklingt, hebt sich Jammerschreien |
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Aus des Dörfleins stillen Häuserreihen; |
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Durch die scheue Menge stürzt die bleiche |
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Frau und Mutter an des Vaters Leiche. |
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Horch, die Glocke! wie sie langsam schreiten, |
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Schweren Schrittes, stumm den Freund geleiten! |
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Die mit ihm die Tanne umgeschlagen, |
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Ihrer viere seine Bahre tragen; |
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Nieder setzen ihn am Grab, die droben |
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Ihn vom Ort des Todes aufgehoben. |
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Und aus grünen Nadeln dunkle Kränze |
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Säumen seiner Grube enge Grenze. |
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Rauhe Männerstimmen tönen Lieder – |
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Dann zum Dörflein wenden sie sich wieder: |
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Nachmittags, den Nachbarbaum zu fällen, |
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Auf zum Berge steigen die Gesellen. |
Details zum Gedicht „Die Tanne“
Paul Haller
1
38
230
nach 1898
Naturalismus
Gedicht-Analyse
Das besprochene Gedicht trägt den Titel „Die Tanne“ und wurde vom österreichischen Schriftsteller Paul Haller verfasst, der von 1882 bis 1920 lebte. Da es keine genaue Jahresangabe der Veröffentlichung gibt, kann man vermuten, dass es irgendwann zwischen dem Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden ist, also in einer Zeit, in der die klassische Dichtung eine jegliche Ausdrucksform menschlicher Gefühle bot.
Auf den ersten Blick erscheint das Gedicht dramatisch und melancholisch. Es erzählt von der Fällung einer Tanne und dem daraus resultierenden tragischen Tod eines Holzfällers. Das lyrische Ich macht die Missachtung des Lebens und der Natur sichtbar und kritisiert dabei die vorschnelle und unbedachte Handlungsweise der Menschen.
Vom Inhalt her geht es im Gedicht zunächst darum, dass die Tanne gefällt werden soll. Die Arbeiter sind dabei freudig und unbesorgt, trotz der glockenartigen Warnungen, die die Tanne abgibt. Als die Tanne fällt, begräbt sie einen der Arbeiter unter sich. Der Mann wird geborgen und sein Tod wird im Dorf betrauert. Sein letzter Weg wird beschrieben, wie mit seinem Tod auch die Welt still zu stehen scheint. Danach folgt die Bestattung und schließlich setzen die Arbeiter ihre Arbeit fort, um den nächsten Baum zu fällen.
Die ganze Geschichte ist in eine melancholische und dramatische Sprache gekleidet. Die Sprache des Gedichts ist bildreich und ausschmückend. Es dominiert eine Art von natürlichen Zeitmaß, das von Glocken- und Sternenschlägen unterbrochen wird. Das Gedicht ist in vierzeiligen Verspaaren gestaltet und die Verse sind von ungeregeltem Metrum.
Insgesamt stellt das Gedicht einen harten Konflikt zwischen Mensch und Natur dar und zeigt dabei die Unvermeidlichkeit und das Unbedachte der menschlichen Handlungen, die den Tod des Protagonisten verursachen. Es hinterlässt einen bitteren Beigeschmack und eine klare Botschaft: dass der Respekt und das Bewusstsein für die Natur und deren Rituale übermäßiger Eile und menschlicher Hybris weichen sollten.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Die Tanne“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Paul Haller. Geboren wurde Haller im Jahr 1882 in Rein bei Brugg. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1898 und 1920. Erschienen ist der Text in Aarau. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Naturalismus zuordnen. Der Schriftsteller Haller ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 230 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 38 Versen mit nur einer Strophe. Die Gedichte „An die blasse Sonne I“, „An die blasse Sonne II“ und „An die strahlende Sonne“ sind weitere Werke des Autors Paul Haller. Zum Autor des Gedichtes „Die Tanne“ haben wir auf abi-pur.de weitere 65 Gedichte veröffentlicht.
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