Die Kanone von Paul Haller
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Wo des Museums stiller Hallenkranz |
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Den Hof umschlingt, von fern Platanen lauschen |
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Und scheues Licht auf nahen Teichen spielt, |
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Verlier ich mich im Wandern und im Sinnen. |
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Nur leise folgt das Echo meinem Schritt; |
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Es hallt und schwindet wie Erinnerung |
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An alte Zeiten, Freud und Menschenqual. |
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Mein Auge folgt dem hohen Mauerring |
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Und eines Sperlings Flug, der hoch vom Dach |
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Sich fallen läßt und dem beschwingten Leib |
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Auf des Geschützes Rohr, im Hof gepflanzt |
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Als Zeugnis alter Schweizer Waffenkunst, |
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Bei seinem Liebchen wieder Ruhe schenkt. |
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Wie frech das Pärchen hier am hellen Tag, |
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Als wär es unbelauscht, sich Liebe gönnt |
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Mit frohem Zwitschern, Kuß und Flügelschlag! |
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Und dann mit zarter Füßchen leichtem Hüpfen |
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Das Rohr bewandert bis zum Wappenschild, |
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Das Zürichs Leuen hüten, hellen Auges |
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Die Inschrift sich beschaut: „Hans Füßli goß mich“ |
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Und dann zurück zur Mündung, hin und her, |
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Als wär es abgesandt, mit Kennerblick, |
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Das Stück auf Stahl und Konstruktion zu prüfen! |
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Und husch! zum Dachrand auf! – Mit hellem Pfeifen |
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Ziehn Knaben in den Hof; zwei Knirpse stehen |
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Und wundern sich und prahlen klug wie Kinder: |
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„Lug, Heiri, lug auch die Kanone da! |
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Mit der kann man bis auf den Ütli schießen!“ |
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„Du aber nicht! du kannst ja unterm Rohr |
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Ganz aufrecht durch! Du, lug auch da die Kugel, |
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Die haben sie im Bauernkrieg geschossen! |
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Komm, lüpf! ich will sie dann ins Rohr probieren.“ |
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Nein du, das darf man nicht! was meinst du, Heiri, |
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Wie viel hat die Kanone ächt gekostet? |
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So etwa eine Franke, oder nicht? |
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„Ja du, nur eine Franke! du bist gut! |
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Zehn Franken, sag ich dir, vielleicht noch mehr! |
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Und dann das Pulver! Komm, die andern warten!“ – |
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Sie ziehn und prahlen fort. Im stillen Raum |
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Erstirbt der Klang der hellen Kinderstimmen. |
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Doch drinnen, wo die alten Panzer rosten, |
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Wo Fahnen trauern, staubig, kampfzerfetzt, |
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Wo Büchsen schlafen, Schwerter müßig stehn, |
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Ersteht ein Rauschen wie von Windesschreiten |
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Durch Fahnenwald, Trompeten jauchzen auf |
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Und schmettern Sturmruf, schwere Baßgewalt |
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Erdröhnt aus Hörnern, die die Mauern schüttert. |
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Ein klirrend Schwerterschlagen; Kampfgetös, |
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In Donner eingetaucht und dumpf im Takt. |
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Gewaltiges Schreiten eines fernen Heers. |
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Horch! auch im Hof das Rohr, es brummt und zittert, |
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Und singt mit Macht ins allgemeine Lied, |
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Den Donner brüllend in die wilde Schlacht. |
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Und wie sie dann die Stimmen wieder dämpfen |
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Und bang verstummen, mäßigt es den Ruf, |
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Verstummt wie sie und harrt im alten Schweigen. – |
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– Nun hab ich hundertmal den Hof durchmessen, |
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Das Echo hinter mir. Ei sieh! Das Pärchen, |
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Vom Dachrand senkt es sich, und seh ich recht, |
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So schleppt es sich mit Halmen, schlüpft ins Rohr, |
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Verweilt und zeigt sich wieder, hüpft und sucht, |
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Und füllt den Raum mit emsigem Geflatter. |
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Ein Nestchen baut es im Kanonenrohr! |
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Ei, das ist stark! Mich wundert ob die Leuen |
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Am Wappenschild sich solches bieten lassen, |
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Und ob das Brummen nicht sich neu erhebt! |
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Frech ist der Spatz! Hans Füßli, der du einst |
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Das blanke Stück aus schmutz’ger Form geschält |
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Und stolz betrachtet, auf! setz dich zur Wehr! – |
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Still bleibt der Hof! Nur die Platanen lauschen |
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Von fern herüber, auf den Teichen spielt |
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Das nahe Licht, es glänzt bis übers Rohr, |
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Spinnt in die schwarze Mündung weiß Geweb |
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Und hellt dem Spatzenvolk den dunklen Gang. |
Details zum Gedicht „Die Kanone“
Paul Haller
1
74
531
nach 1898
Naturalismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Die Kanone“ wurde von Paul Haller verfasst, der am 13. Juli 1882 geboren wurde und am 10. März 1920 verstarb. Eine genaue zeitliche Einordnung des Gedichts ist nicht möglich, da keine Angaben zur Veröffentlichung gemacht wurden.
Der erste Eindruck, den das Gedicht vermittelt, ist eine Beschreibung eines Museums mit einer umschließenden Mauer, auf der eine Kanone steht. Das lyrische Ich beobachtet verschiedene Szenen im Hof des Museums, darunter ein Pärchen von Spatzen, das sich auf der Kanone vergnügt. Diese Beobachtungen wecken beim lyrischen Ich Erinnerungen an alte Zeiten und bringen es zum Sinnieren.
Der Inhalt des Gedichts besteht aus verschiedenen Beobachtungen und Assoziationen des lyrischen Ichs. Es beobachtet das Echo seines eigenen Schritts und lässt sich in Gedanken in alte Zeiten und Gefühle verlieren. Es betrachtet die Kanone, die als Zeugnis alter Waffenkunst dient, und beobachtet ein freches Spatzenpärchen, das sich auf ihr vergnügt. Das lyrische Ich analysiert die Bewegungen und das Verhalten der Spatzen und wundert sich, ob die Löwen am Wappenschild der Kanone dies zulassen. Es ruft Hans Füßli, den vermuteten Schöpfer der Kanone, zur Verteidigung auf. Zum Schluss beobachtet das lyrische Ich, wie das Licht über die Kanone und in die Mündung strahlt und den dunklen Raum für die Spatzen erhellt.
Form und Sprache des Gedichts sind klassisch und traditionell. Das Gedicht besteht aus einer einzigen Strophe mit insgesamt 74 Versen. Es folgt einem regelmäßigen Reimschema und hat einen gleichbleibenden Rhythmus. Die Sprache ist poetisch und beschreibend, wobei das lyrische Ich oft Metaphern verwendet, um seine Eindrücke und Gedanken auszudrücken. Es werden auch einige Klangfiguren wie Alliterationen und Assonanzen verwendet, um den Klang des Textes zu verstärken.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Die Kanone“ ist Paul Haller. Der Autor Paul Haller wurde 1882 in Rein bei Brugg geboren. In der Zeit von 1898 bis 1920 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Aarau. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Naturalismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Haller handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 531 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 74 Versen mit nur einer Strophe. Weitere Werke des Dichters Paul Haller sind „1. August 1914“, „Abend“ und „Abseits (Haller)“. Zum Autor des Gedichtes „Die Kanone“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 65 Gedichte vor.
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