20. Jenner [1835] nach großem Leid von Clemens Brentano
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Ich darf wohl von den Sternen singen, |
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Mich hat die Blume angeblickt, |
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Und wird mein armes Lied gelingen, |
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Dann wird vom Stern mir zugenickt. |
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O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
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Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
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Im Garten stand die frühe Waise, |
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Und senkt den Blick zum Blumenfeld |
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Die Sonne sank im Purpurgleise, |
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Die Sterne spannen aus ihr Zelt. |
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O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
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Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
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Mit euch wohl wagt ein Kind zu sprechen, |
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Ihr kennet mich und bin ich stumm, |
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Weil mir das kranke Herz will brechen, |
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Bringt ihr mich nicht mit Fragen um. |
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O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
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Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
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Ihr lieben Blumen still und innig |
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Ein Tröpfchen Tau, ein Licht, ein Hauch, |
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Ihr lieben Sterne klar und sinnig |
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Ein Strahl, ein Blick, ein Blitz, ein Aug'. |
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O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
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Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
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Und wie die Sterne heller blinken |
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Beugt Schatten sich aufs Blumenfeld |
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Und auch des Kindes Augen sinken, |
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Der Traum sie in den Armen hält. |
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O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
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Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
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Ihr Engel steiget auf und nieder |
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Bringt Sternenlust, bringt Blumenschmerz, |
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Und küßt die unerschaffnen Lieder |
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Und legt sie schlafen auf ihr Herz. |
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O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
36 |
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
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Und wiegt die tauberauschte Rose, |
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Im Dornenbettchen bald zur Ruh', |
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Und schließt dem Veilchen in dem Moose, |
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Die frommen Augen segnend zu. |
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O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
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Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
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Die Blumen all, die farbig prangen, |
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Sie waren bald nicht mehr zu sehn, |
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Die Nacht nahm ihre Pracht gefangen |
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Nur eine Schar blieb betend stehn. |
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O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
48 |
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
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Sieh dorten um die süße Linde |
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Steht eine reine Lilienschar, |
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Der Engel zeigte sie dem Kinde, |
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Sie leuchteten ganz wunderbar. |
53 |
O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
54 |
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
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Der Engel sprach: mein Kind, o sehe, |
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Die Lilie unter Dornen dort, |
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Das Licht wird Fleisch, horch: »Es geschehe |
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Der Magd des Herrn nach deinem Wort!« |
59 |
O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
60 |
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
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Die Lilie spinnt nicht, doch es webet |
62 |
Aus ihr das Wort sich einen Leib, |
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Zur Jungfrau ist das Licht geschwebet, |
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Und Mutter Gottes ward das Weib. |
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O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
66 |
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
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Und als der Geist sie überschattet |
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Deckt rings die Nacht das Blumenfeld, |
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Der Lilie nur das Licht sich gattet |
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Das auf den Leuchter wird gestellt. |
71 |
O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
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Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
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Die Lilie, die nicht zieht nicht schweifet, |
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Nicht fallen läßt und wieder sucht |
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Die sehnend still zum Lichte greifet, |
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Sie fand das Licht und trug die Frucht. |
77 |
O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
78 |
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
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So sprach der Engel zu dem Kinde |
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Und führt es zu der Lilie Licht, |
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Da kniet es nieder an der Linde |
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Und fand im Traum die Worte nicht. |
83 |
O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
84 |
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
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Da sprach zum Kind die reine Lilie, |
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Die nie vorher gesprochen hat, |
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Wach auf, wach auf zu mir Emilie, |
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Sing mit mir das Magnificat. |
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O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
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Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
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Ob sie es sang, ich kann's nicht sagen |
92 |
Sie hat mich träumend angeblickt, |
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Es hat ihr Herz bei mir geschlagen, |
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Es hat ihr Haupt mir zugenickt. |
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O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
96 |
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
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97 |
Das kalte Wissen war ermattet, |
98 |
Das milde Fühlen war erwacht, |
99 |
Die Blumen waren überschattet |
100 |
Emilie hat mich angelacht. |
101 |
O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
102 |
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
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103 |
Geh armes Lied und sag der Lieben |
104 |
Es hat ein Herz zum Tode krank |
105 |
Mich unter Tränen aufgeschrieben, |
106 |
Und zagt, ich sei dir nicht zu Dank! |
107 |
O Stern und Blume, Geist und Kleid, |
108 |
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. |
Details zum Gedicht „20. Jenner [1835] nach großem Leid“
Clemens Brentano
18
108
676
1778 - 1842
Romantik
Gedicht-Analyse
Der Autor des Gedichtes „20. Jenner [1835] nach großem Leid“ ist Clemens Brentano. Der Autor Clemens Brentano wurde 1778 in Ehrenbreitstein (Koblenz) geboren. In der Zeit von 1794 bis 1842 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Romantik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Brentano handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.
Die Romantik ist eine kulturgeschichtliche Epoche, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis spät in das 19. Jahrhundert hineinreichte. Insbesondere auf den Gebieten der Literatur, Musik oder der bildenden Kunst hatte diese Epoche umfangreiche Auswirkungen. Die Literaturepoche wird in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) unterschieden. Die Literaturepoche der Romantik entstand in Folge politischer Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche. In ganz Europa fand ein Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft statt. Gleichzeitig bildete sich ein bürgerliches Selbstbewusstsein heraus. Technologischer Fortschritt und Industrialisierung sind prägend für diese Zeit. Wesentliche Motive in der Lyrik der Romantik sind die Ferne und Sehnsucht sowie das Gefühl der Heimatlosigkeit. Andere Motive sind das Fernweh, das Nachtmotiv oder die Todessehnsucht. So symbolisierte die Nacht nicht nur die Dunkelheit, sondern auch das Mysteriöse, Geheimnisvolle und galt als Quelle der Liebe. Typische Merkmale der Romantik sind die Hinwendung zur Natur, die Weltflucht oder der Rückzug in Traumwelten. Insbesondere ist aber auch die Idealisierung des Mittelalters aufzuzeigen. Architektur und Kunst des Mittelalters wurden von den Vertretern der Romantik wieder geschätzt. Die äußere Form von romantischer Literatur ist völlig offen. Kein festgesetztes Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits unmittelbar nach Erscheinen der Werke wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.
Das Gedicht besteht aus 108 Versen mit insgesamt 18 Strophen und umfasst dabei 676 Worte. Der Dichter Clemens Brentano ist auch der Autor für Gedichte wie „Als Herr Künzel neulich bat“, „Kennt ihr das Fräulein Dienchen nicht ...“ und „Ihr himmlischen Fernen“. Zum Autor des Gedichtes „20. Jenner [1835] nach großem Leid“ haben wir auf abi-pur.de weitere 297 Gedichte veröffentlicht.
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