Vorfrühling von Ernst Maria Richard Stadler

In dieser Märznacht trat ich spät aus meinem Haus.
Die Straßen waren aufgewühlt vom Lenzgeruch und grünem Saatregen.
Winde schlugen an. Durch die verstörte Häusersenkung ging ich weit hinaus
Bis zu dem unbedeckten Wall und spürte: meinem Herzen schwoll ein neuer Takt entgegen.
 
In jedem Lufthauch war ein junges Werden ausgespannt.
Ich lauschte, wie die starken Wirbel mir im Blute rollten.
Schon dehnte sich bereitet Acker. In den Horizonten eingebrannt
War schon die Bläue hoher Morgenstunden, die ins Weite führen sollten.
Die Schleusen knirschten. Abenteuer brach aus allen Fernen.
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Überm Kanal, den junge Ausfahrtwinde wellten, wuchsen helle Bahnen,
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In deren Licht ich trieb. Schicksal stand wartend in umwehten Sternen.
12 
In meinem Herzen lag ein Stürmen wie von aufgerollten Fahnen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Vorfrühling“

Anzahl Strophen
2
Anzahl Verse
12
Anzahl Wörter
119
Entstehungsjahr
1883 - 1914
Epoche
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Vorfrühling“ wurde von Ernst Maria Richard Stadler, einem österreichischen Dichter aus der Zeit des Expressionismus, geschrieben. Dieser wurde am 11. August 1883 geboren und starb am 30. Oktober 1914, mitten im Ersten Weltkrieg. Die zeitliche Einordnung lässt sich somit in den frühen 20. Jahrhundert einordnen.

Bereits beim ersten Lesen des Gedichts entsteht das Bild einer durchaus ambivalenten, aber energiereichen Stimmung. Man spürt die enorme Kraft und Vitalität, die in der dargestellten Szene liegen.

Inhaltlich handelt das Gedicht vom Auftakt des Frühlings. Das lyrische Ich verlässt sein Haus in einer Märznacht und findet sich in einer von intensiven Frühlingsgerüchen erfüllten und durch Winde aufgewühlten Straße wieder. Das spürende Erleben dieser aufkeimenden, noch jungen Jahreszeit wird weiter intensiviert, indem das lyrische Ich beschreibt, wie es sich von den geschilderten Phänomenen berühren und bewegen lässt. Es fühlt einen „neuen Takt“, der seinem Herzen entgegen schwillt. Mit diesem Prozess bringt es auch ein gesteigertes Bewusstsein für das eigene Erleben und Fühlen in Verbindung. Das wiederkehrende Motiv des Herzens und der Blutströme betont dabei die intensive emotionale und körperliche Resonanz des lyrischen Ichs auf die von ihm wahrgenommenen Naturerscheinungen.

Das Gedicht ist in freien Versen verfasst, was zum Ausdruck der von Stadler thematisierten Individualität des Fühlens und Wahrnehmens beiträgt. Die Sprache zeichnet sich durch ihre Detailgenauigkeit und konkreten Bilder aus, wie etwa die „aufgerollten Fahnen“ oder der „green rain“. Darüber hinaus wird ein dynamisches Bild von Bewegung und Wandel durch Sprache erzeugt, das sich in der Verwendung von aktiven Verben und starken Wirbeln widerspiegelt. Es ist eine expressive und starke Sprache, die der Ausdruckskraft des Expressionismus entspricht.

Insgesamt kann gesagt werden, dass „Vorfrühling“ ein Gedicht ist, das den Übergang von der Winterruhe zum erwachenden Leben des Frühlings in lebendigen und starken Bildern einfängt. Dabei steht das intensiv emotionale und körperliche Erleben dieses Wandels durch das lyrische Ich im Mittelpunkt. Die Sprache und Form des Gedichts tragen dazu bei, diese Thematik kraftvoll und dynamisch zum Ausdruck zu bringen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Vorfrühling“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Ernst Maria Richard Stadler. Im Jahr 1883 wurde Stadler in Colmar geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1899 bis 1914 entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Expressionismus zuordnen. Bei dem Schriftsteller Stadler handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 12 Versen mit insgesamt 2 Strophen und umfasst dabei 119 Worte. Ernst Maria Richard Stadler ist auch der Autor für Gedichte wie „Was waren Frauen“, „Reinigung“ und „Fahrt über die Kölner Rheinbrücke bei Nacht“. Zum Autor des Gedichtes „Vorfrühling“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de keine weiteren Gedichte vor.

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