Bettlerlied von Eduard von Bauernfeld

Betracht' ich auch jedes Geschäft in der Welt,
Ich weiß mir kein besser's als betteln;
Da kann ich bequem und so wie mir's gefällt,
Das Leben, die Tage verzetteln;
Den Bettler nenn' ich den freiesten Mann,
Der nichts beitzt, nichts verlieren kann.
 
Die Arbeit, die jeder Vernünftige scheut,
Die heiß' ich vom Halse mir bleiben;
Der Gott, der dem Sperling sein Futter streut,
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Läßt mich's wie die Sperlinge treiben:
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Sie fliegen und flattern munter und frei,
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Hungern ein bißchen - und leben dabei.
 
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Und eigentlich treib' ich, was jeglicher tut,
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Es betteln die ehrlichsten Leute;
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Doch hat nicht jeder den seligen Mut,
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Zu sorgen nur immer für heute;
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Betrachtet das Treiben der Menschen nur recht
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Es ist mir ein völliges Bettlergeschlecht.
 
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Der bettelt um Reichtum um Ehren und Macht,
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Und jener um gnädige Worte;
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Der Liebende lauert in schweigsamer Nacht
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Und bettelt sich ein in die Pforte;
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Es quält sich der Künstler am Musenaltar,
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Erbettelt sich Beifall von törichter Schar.
 
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Das hilflose Kind, eh' es sprechen noch kann,
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Es bettelt mit Mien' und Gebärde,
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Damit es dereinst, als völliger Mann,
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Ein völliger Bettler auch werde;
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Schenk' diesem die Erde, so weit sie bewohnt,
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Er will noch die Sterne, er will noch den Mond!
 
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Ich aber will fürder mit fröhlichem Sinn
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Durch Leben als Bettler nur schleichen;
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Demütig reich' ich die Mütze dir hin,
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Und seh' ich den glücklichen Reichen,
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So denk' ich mir lächelnd: Du Stolzer, nur zu!
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Ein Bettelmann bist doch am Ende auch du.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Bettlerlied“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
246
Entstehungsjahr
1802 - 1890
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Bettlerlied“ stammt von dem österreichischen Dichter Eduard von Bauernfeld, der von 1802 bis 1890 lebte. Somit kann das Gedicht dem 19. Jahrhundert, genauer gesagt der Romantik oder Biedermeierzeit, zugeordnet werden.

Auf den ersten Blick handelt das Gedicht von einem Bettler, welcher mit seinem Lebensstil zufrieden ist und das Betteln als eine annehmbare Tätigkeit präsentiert. Es besteht aus sechs Strophen, jede davon mit sechs Versen.

Das lyrische Ich des Gedichts ist ein Bettler, der durch seine Worte ein Bild von der Welt aufzeigt, in der jeder in irgendeiner Weise bettelt. In der ersten Strophe preist der Bettler seine Freiheit und den Mangel an Besitz, die ihm ermöglichen, Sorgen und Verlust zu entgehen. In der zweiten Strophe zieht er eine Parallele zwischen sich und den Vögeln, die von Gott versorgt werden, und betont die Freiheit und Einfachheit dieses Lebensstils. In den nächsten Strophen wird die Universität des Bettlerdaseins dargestellt: Liebe, Ehre, Macht, Reichtum, künstlerische Akzeptanz und das Streben nach mehr (eine Metapher für menschliche Unzufriedenheit und Gier) werden als Formen von „Betteln“ gesehen. Die letzte Strophe schließt mit der Wiederholung der zufriedenen Einstellung des lyrischen Ichs zu seinem Bettlerdasein und der Behauptung, dass jeder Mensch letztendlich auch nur ein Bettler ist.

Die Form des Gedichtes ist einheitlich; jede der sechs Strophen besteht aus sechs Versen. Die Sprache des Gedichts ist einfach und verständlich, ohne häufige Verwendung von Metaphern oder Symbolen. Der Ton ist eher heiter und nicht selbstmitleidig, was unerwartet für ein solches Thema ist.

Die Hauptidee des Gedichts scheint die Relativität von Wohlstand und Erfolg zu sein und die Auffassung, dass alle Menschen letztendlich von etwas oder jemandem abhängig sind. Der Bettler steht in diesem Kontext für die Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen und Erwartungen. Es ist eine Art Gesellschaftskritik an der ständigen Unzufriedenheit und Gier des Menschen, auch wenn er schon viel hat.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Bettlerlied“ ist Eduard von Bauernfeld. 1802 wurde Bauernfeld in Wien geboren. Zwischen den Jahren 1818 und 1890 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz, Realismus, Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das 246 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 36 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Eduard von Bauernfeld ist auch der Autor für Gedichte wie „Studierlampe“, „Goethe“ und „Das Totenhemdchen“. Zum Autor des Gedichtes „Bettlerlied“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de keine weiteren Gedichte vor.

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