Müller, Wilhelm - Der Wegweiser (Gedichtinterpretation)

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Wilhelm Müller, Analyse, Interpretation, Gedichtanalyse, Referat, Hausaufgabe, Müller, Wilhelm - Der Wegweiser (Gedichtinterpretation)
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Referat

Gedichtanalyse: „Der Wegweiser“ (1823) von Wilhelm Müller

Der Wegweiser
von Wilhelm Müller

Was vermeid ich denn die Wege,
Wo die andren Wandrer gehn,
Suche mir versteckte Stege
Durch verschneite Felsenhöhn?
 
Habe ja doch nichts begangen,
Daß ich Menschen sollte scheun –
Welch ein törichtes Verlangen
Treibt mich in die Wüstenein?
 
Weiser stehen auf den Straßen,
10 
Weisen auf die Städte zu,
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Und ich wandre sonder Maßen,
12 
Ohne Ruh, und suche Ruh.
 
13 
Einen Weiser seh ich stehen
14 
Unverrückt vor meinem Blick;
15 
Eine Straße muß ich gehen,
16 
Die noch keiner ging zurück.

(„Der Wegweiser“ von Wilhelm Müller ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (24.1 KB) zur Unterstützung an.)

Das Gedicht „Der Wegweiser“ von Wilhelm Müller wurde 1823 in der Epoche der Romantik (Spätromantik) verfasst und ist das zwanzigste Gedicht aus dem Gedichtzyklus „Die Winterreise“. Es thematisiert die Suche nach Einsamkeit und eine Wanderreise, die in der Todessehnsucht mündet. Das lyrische Ich tritt in Form eines traurigen Wanderers auf.

Es lässt sich die Deutungshypothese aufstellen, dass das lyrische Ich dem Alltag, der Gesellschaft und den Menschen entfliehen möchte. Auf seiner Wanderreise möchte es allein sein und sucht die Ferne, um so weit weg, wie möglich von den Städten und den Menschen zu kommen. Seine Wanderreise lässt sich mit einer Lebensreise, die möglicherweise im Tod endet, assoziieren. Die Atmosphäre des Gedichtes lässt sich als sehr traurig, einsam, verloren, aber auch als melancholisch beschreiben.

Das vorliegende Gedicht besteht aus vier Strophen mit jeweils vier Versen, woraus sich schließen lässt, dass die Strophenform eine Volksliedstrophe ist. Das Reimschema besteht aus einem Kreuzreim (abab), der jedoch bei Vers zwei und vier einen unreinen Reim bzw. eine Waise aufweist. Als Metrum liegt ein vierhebiger Trochäus mit einem wechselnden Versausgang zwischen männlicher und weiblicher Kadenz vor. Somit bleibt festzuhalten, dass es sich um einen monotonen und einheitlichen Gedichtaufbau handelt. Die Situation des lyrischen Ichs ist stark von Einsamkeit geprägt. Es vermeidet die Nähe zu anderen Menschen sowie Städten und ist sozial scheu. Das lyrische Ich begibt sich allein auf eine traurige Wanderreise und sucht die Ruhe (vgl. V. 12). Findet jedoch keine. Es sucht den richtigen Weg im Leben, den es einschlagen kann. Dieses Verhalten zeigt, dass es nicht zufrieden ist, ihm etwas fehlt und es sich nicht vollkommen fühlt. Die zentralen Themen der Strophen beschäftigen sich mit den Motiven der Einsamkeit, des Wanderns und Reisens sowie mit der Todessehnsucht.

Die erste Strophe stellt eine kritische Selbstreflexion des lyrischen Ichs dar, was sich fragt, warum es die Wege vermeidet, in denen es andere Wanderer antrifft und sich lieber verstecke, (vgl. V. 1-3). Es sucht einsame Wege, bei denen es niemanden antrifft. Im letzten Vers der ersten Strophe wird das Verlangen nach einer lebendigen Natur deutlich (vgl. V. 4).

In der darauffolgenden Strophe wird die kritische Selbstreflexion des lyrischen Ichs fortgesetzt. Die rhetorischen Fragen der ersten Strophe werden aufgegriffen. Es fragt sich, welches törichte Verlangen ihn in die einsame, lebendige Natur treibt, wo kein anderer Wanderer ist. Auf diese Fragen kann es selbst keine Antwort liefern. Es habe nichts Verwerfliches getan, weshalb es sich zurückziehen bzw. flüchten müsse. Doch trotzdem versteckt es sich, wie ein Verbrecher (vgl. V. 5).

Die dritte Strophe steht in direkter Verbindung mit dem Titel des Gedichtes. Das lyrische Ich beschreibt seine Umgebung. Wegweiser stehen auf den Wanderwegen herum und weisen die Wege in die Städte, in denen sich das Leben abspielt (vgl. V. 9 & 10). Doch das lyrische Ich sucht Ruhe und folgt somit nicht diesen Wegen (vgl. V. 12). In diesem Moment hat es noch keine Ruhe gefunden und läuft und sucht, ohne anzuhalten weiter (vgl. V. 11 & 12).

In der letzten Strophe wird von dem lyrischen Ich ein besonderer Wegweiser beschrieben, welcher genau in seinem Blick steht. Er symbolisiert ein mögliches Ziel (vgl. V. 13 & 14). Es weiß, dass es einen Weg einschlagen muss. Dabei denkt es an den Weg, den keiner zurückgehen kann, eine Reise ohne Rückkehr (vgl. V. 15 & 16).

Die Entwicklung und der Verlauf des Gedichtes begleiten bzw. führen den Leser auf die Reise des lyrischen Ichs in dessen möglichen Tod.

Der Titel „Der Wegweiser“ nimmt im Gedicht eine besondere Rolle ein, da es das symbolisiert, was das lyrische Ich sucht. Es sucht nach dem Weg, den es einschlagen soll. Außerdem wird somit dessen Unzufriedenheit und Trauer zum Ausdruck gebracht. Jedoch führen alle Wegweiser in den Trubel des Lebens. An dieser Stelle ist der Eskapismus (die Flucht aus oder vor der realen Welt und das Meiden derselben) vorzufinden, denn das lyrische Ich möchte dem Alltag und den Städten entkommen.

Im ersten Vers wird dies sehr deutlich. Es möchte weit weg vom Trubel, was durch das negative Verb „vermeiden“ verstärkt wird. Der letzte Vers verdeutlicht die Anspielung auf den Suizid. Wilhelm Müller hat einen hypotaktischen Strophenaufbau gewählt. Eine Satzlänge umfasst überwiegend eine ganze Strophe. Auffallend ist der Gedankenstrich im sechsten Vers, der die Funktion erfüllt, bestimmte Teile zu betonen, zu trennen und somit Spannung aufzubauen.Des Weiteren wurden viele rhetorische Fragen, wie in Vers vier und acht, eingebaut. Diese sind kritische Fragen an das lyrische Ich selbst, weshalb es Wege vermeidet, an denen er andere Wanderer treffen könnte und lieber entliehen möchte. Hier wird erneut der Eskapismus deutlich.

Die Wortwahl umfasst hauptsächlich die moderne Sprache, jedoch lassen sich auch veraltete/ antike Worte auffinden, wie „scheun“ in Vers 6. Dies bedeutet, dass die Nähe anderer Menschen gemieden wird. „Sonder Maßen“ aus Vers 11, bedeutet so viel, wie ohne anzuhalten. „Wüstenei“ symbolisiert die Einsamkeit und lässt sich gleichzeitig auch als Metapher deuten.

Zudem hat der Autor viele abgehackte Wörter, wie „vermeid“ (vgl. V. 1) verwendet. Am Anfang der Verse lassen sich viele Fragewörter auffinden, wie die Wörter „was“, „wo“, „welch“. Diese unterstreichen das Hinterfragen seines eigenen Handelns, auf das es jedoch selbst keine Antworten liefern kann.

Die Metapher „versteckte Stege“ (vgl. V. 3) lässt sich als Wanderwege übersetzen, auf denen es keine anderen Wanderer trifft. Es sind versteckte und unsichtbare Wege gemeint. Das Symbol und gleichzeitig die Metapher „Wüstenei“ aus Vers 8 symbolisiert das Verlangen nach Einsamkeit und das Entfliehen aus der Gesellschaft. Denn in einer Wüste ist weit und breit nichts und niemand aufzufinden. Die Metapher „Eine Straße muss ich gehen, die noch keiner ging zurück“ (vgl. V. 15 & 16) spiegelt die starke Todessehnsucht des lyrischen Ichs wider. „Versteckte Stege“ ist ebenso ein Epitheton (Beiwort), denn so wird das Streben nach Einsamkeit deutlicher ausgedrückt.

In Vers 13 lässt sich das Symbol „einen Weiser“ auffinden. Dort liegt die Betonung auf „einen“, weshalb es sich von dem anderen Wegweiser inhaltlich und in der Bedeutung abhebt. Hier ist der Weg gemeint, der wahrscheinlich das endgültige Ziel des lyrischen Ichs darstellt. „Ohne Ruhe, und suche Ruhe“ (vgl. V. 12) ist ein Repitio (Wortwiederholung). Außerdem lässt sich in der dritten Strophe eine Alliteration „weiser, weisen, wandre) auffinden.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Gedicht von einem lyrischen Ich handelt, das sich als trauriger Wanderer beschreiben lässt. Es ist bei seiner Wanderreise auf der Suche nach Einsamkeit und versucht dabei den Kontakt mit der Gesellschaft und dem alltäglichen Leben zu meiden. Auf seiner Wanderreise/ Lebensreise weiß es jedoch noch nicht, welchem Wegweiser es folgen soll. In den letzten Versen sagt es, dass es einen Weg gehen müsse, den bisher noch keiner zurückkam, was bedeutet, dass es den Weg in den Tod sucht.

Das Gedicht lässt sich der Epoche der Romantik zuordnen. Es weist sehr viele epochentypische Motive und Themen auf sowie Merkmale der romantischen Kunstauffassung auf. Die Motive der Einsamkeit und Sehnsucht werden stark aufgegriffen. Ein weiteres Merkmal ist die Wander- & Reiselust in die weite Unendlichkeit der Natur. Hinzu kommt, dass das lyrische Ich seinem Alltag entfliehen möchte, was bedeutet, dass das Merkmal des Eskapismus vorliegt. Ein weiteres Erkennungszeichen ist die einfache, schlichte und monotone Gestaltung des Gedichtes. Die sogenannte Volksliedstrophe ist typisch für die Romantik.

Persönlich ordne ich das Gedicht als sehr gelungen ein, da zum einen eine sehr ausgeprägte bildhafte Sprache verwendet wird, die dem Leser die Situation und Atmosphäre bildhaft darstellt. Zum anderen wurde das Gedicht so gestaltet, dass der Leser den Inhalt einfach verstehen kann, aber ihm trotzdem noch ein großer Interpretationsraum gelassen wird. Außerdem kann man sich als Leser gut mit dem lyrischen Ich identifizieren, da dessen Situation und Gefühle durch die sprachliche Gestaltung deutlich zum Ausdruck gebracht werden.

Abschließend lassen sich die letzten zwei Verse besonders positiv hervorheben, da diese ausdrucksvolle und offene Fragen beinhalten. Eine gewisse Spannung bleibt offen, da nicht konkret gesagt wird, dass das lyrische Ich den Suizid begehen möchte. Jedoch ist der Suizid für den Leser eine denkbare Möglichkeit und regt zum Nachdenken an.

Dieses Video wurde auf YouTube veröffentlicht.

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