Lessing, Gotthold Ephraim - Emilia Galotti (Interpretation Akt 2, Szene 10)

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Referat

Gotthold Ephraim Lessing – Emilia Galotti Aufzug 2, Auftritt 10 (Szenenanalyse)

Das von Gotthold Ephraim Lessing verfasste bürgerliche Trauerspiel Emilia Galotti wurde am 13. März 1772 in Braunschweig uraufgeführt. Damit ist es zeitlich in die Epoche der Aufklärung einzuordnen und verdeutlicht den Konflikt, in dem sich der Adel und das aufstrebende, durch moralische Normen geprägte Bürgertum seinerzeit befanden.

Die Handlung des Trauerspiels Emilia Galotti spielt sich in dem fiktiven italienischen Fürstentum Guastalla im 18. Jahrhundert ab. Der Prinz Hettore Gonzaga findet Gefallen an der bürgerlichen Emilia Galotti und möchte sie um jeden Preis für sich gewinnen. Er erfährt, dass diese noch am selben Tag den Grafen Appiani heiraten soll und sein Kammerherr Marinelli schlägt vor, einen Plan zu entwickeln, um die Hochzeit zu verhindern. Er hat vor, den Grafen im Auftrag des Prinzen nach Massa zu schicken, da der Prinz die dortige Prinzessin würde heiraten wollen.

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Graf Appiani befindet sich zu Beginn der vorliegenden Szene, die den zehnten Auftritt im zweiten Aufzug des Trauerspiels darstellt, im Haus der Familie Galotti. Er ist dort, um seine Verlobte, Emilia, zur Hochzeit abzuholen, als der Marchese Marinelli kommt, um ihm den Auftrag zu erteilen, nach Massa zu reisen. Zunächst fühlt sich der Graf geehrt und nimmt den Auftrag an. Als er jedoch erfährt, dass er noch am selben Tag aufbrechen sollte, setzt er seine Hochzeit mit Emilia als Priorität und schlägt das Angebot aus. Daraufhin schlägt Marinelli vor, die Hochzeit zu verschieben, aber auch das lehnt der Graf ab. Marinelli beginnt, den Grafen zu provozieren, worauf dieser ausfällig reagiert. Dafür verlangt der Marchese Vergeltung, die er jedoch auf einen ungewissen Zeitpunkt vertagt, als der Graf dazu auf der Stelle bereit ist.

Im Folgenden werde ich das Verhalten von Graf Appiani und dem Kammerdiener Marinelli untersuchen und ihre Ziele in der Konversation herausarbeiten. Man kann die Szene in zwei grundlegende Gesprächsphasen einteilen, eine vor der Ablehnung des Grafen, den Auftrag anzunehmen, und eine danach. Die erste Phase ist einerseits dadurch gekennzeichnet, dass der Graf den Gesprächsverlauf durch Fragen an Marinelli dominiert und dieser antwortet. Andererseits wird das Gespräch zudem durch die übertrieben höfliche und hochgestochene Wortwahl Marinellis gekennzeichnet, als er dem Grafen von dem ehrenvollen Auftrag berichtet. Diesen habe er Marinellis Freundschaft zu verdanken, der sein „ergebenster Freund“ sei (S. 35, Z. 21). Die beiden scheinen also sich bereits zu kennen, wie der Begriff „Freund“ vermuten lässt. Allerdings es ist schon dort, am Anfang der Szene ersichtlich, dass sie sich nicht sonderlich gut leiden können. Der Graf geht nicht weiter auf die Schmeicheleien des Kammerherren ein und unterbricht ihn, er solle doch „ohne weitere Vorrede“ fortfahren (S. 35, Z. 23). Er äußert dies sehr direkt und als wäre es eine Anordnung. Damit verdeutlicht er seine Überordnung gemäß seines Ranges als Graf gegenüber dem Kammerdiener des Prinzen und auch eine gewisse Abneigung gegenüber dessen Verhalten. Als er von der Art der Aufgabe erfährt und Marinelli, sich selbst lobend, erneut seinen Anteil an der Wahl des Grafen betont, reagiert der Graf sarkastisch, dass er sich wohl für so viel Freundlichkeit bedanken müsste (S. 35, Z. 32). Da der Graf vorher kaum Beachtung beim Prinzen gefunden habe (S. 36, Z. 1), erscheint es ihm wohl merkwürdig, dass sich Marinelli gerade jetzt für ihn eingesetzt haben soll und er traut ihm nicht ganz. Später redet er zudem recht verachtend über die „Freundschaft“ von Marinelli, als er den Begriff leicht ironisch mehrfach wiederholt und meint, er habe sich „des Marchese Marinelli Freundschaft […] nie träumen lassen“ (S. 36, Z. 9 f.). Marinelli muss sich daraufhin unterordnen und erkennen, dass er nicht einfach der Freund des höher gestellten Grafen sein kann (S. 36, Z. 11). Dennoch versucht er durch Begriffe wie „Gnade des Prinzen“ und „Ehre“ (S. 36, Z. 14) dem Grafen zu weiter zu schmeicheln und ihn zu überreden, nach Massa zu fahren. Der Graf muss erst darüber nachdenken, den Auftrag anzunehmen (S. 36, Z. 17), wohl weil er Zweifel hat und dem hinterlistigen Marinelli nicht traut, nimmt dann aber den Auftrag trotzdem an.

Als Marinelli jedoch anfängt, den Grafen zum sofortigen Aufbruch zu drängen, weigert sich der Graf (S. 36, Z. 18 ff.). Er schlägt aus, weil seine Hochzeit am selben Tag stattfinden soll und er diese gegenüber dem Dienst für den Prinzen priorisiert, teilt diesen Grund dem Kammerherren aber noch nicht mit. Von diesem Zeitpunkt an beginnt eine leichte Wendung des Gespräches, denn es wird überwiegend über die Nachfragen und Kommentare Marinellis zu den Äußerungen des Grafen bestimmt. Er wirft dem Grafen vor, sich einen Scherz mit dem Prinzen zu erlauben (S. 36, Z. 32 f.) und versucht, ihm so ein schlechtes Gewissen zu machen, in der Hoffnung, der Graf würde einsichtig werden und den Auftrag doch annehmen. Als dieser allerdings weiterhin ablehnt, fragt Marinelli nach dem Grund der Absage (S. 36, Z. 36). Hier verdeutlicht sich, wie verstellt und intrigant Marinelli handelt, da er bereits den Grund kennt. Um aber das Gespräch dahin zu lenken, die Hochzeit zu verschieben, ist es notwendig, dass der „unwissende“ Marinelli davon erst einmal erfährt. Die ironische Antwort des Grafen, es sei „eine Kleinigkeit“ (S. 37, Z. 1), bloß seine Hochzeit, verdeutlicht, dass er das Gegenteil meint und es für ihn keineswegs eine Kleinigkeit ist. Der Kammerherr antwortet mit der Frage „Nun? Und dann?“ (S. 37, Z. 3) und drückt damit aus, wie gleichgültig er dazu steht und er die Hochzeit sehr wohl für belanglos hält. Er zeigt damit keinerlei Verständnis für die Entscheidung des Grafen und reagiert keinesfalls so höflich, wie er es zuvor war, womit die eigentliche zweite Phase des Gespräches nun beginnt. Über die hartherzige Aussage Marinellis regt sich der Graf sehr auf, indem er sie als rhetorische Frage wiederholt und den Kammerherren gehässig imitiert (S. 37, Z. 4). Marinelli schlägt vor, die Hochzeit zu verschieben (S. 37, Z. 6 f.), so als wäre das keine große Sache. Den Plan, den er verfolgt, um den Grafen von Emilia fernzuhalten und dem Prinzen die Möglichkeit zu geben, sie für sich zu gewinnen, versucht er somit ganz beiläufig und hinterhältig umzusetzen. Er relativiert seinen nicht gerade taktvollen Vorschlag, indem er zugibt, dass „die Sache ihr Unangenehmes haben“ mag (S. 37, Z. 9). So könnte er mit dieser Relativierung erreichen, dass er Appiani durch sein scheinbares Einfühlungsvermögen auf seine Seite ziehen und doch noch umstimmen kann. Hinzuzufügen ist, dass seine Aussage mit der Ellipse „aber doch, dächt ich, der Befehl des Herrn –“ (S. 37, Z. 10) endet. Zum Einen liegt dadurch die Betonung auf der Verpflichtung des Grafen, sich dem Prinzen unterzuordnen und es ist ein Appell an das Gewissen des Grafen. Zum Anderen wird auch die Dynamik der Szene verstärkt. Es entsteht die Wirkung, dass es sich um ein heftiges Wortgefecht handelt, da der Satz abrupt endet und Marinelli von dem Grafen Appiani unterbrochen wird. Diese Unterbrechung erfolgt durch die rhetorische Frage „Des Herrn? Des Herrn?“ (S. 37, Z. 11). Durch diese spöttische Wiederholung dessen, was Marinelli zuvor gesagt hat, scheint es, als würde Appiani den Begriff „Herr“ abwerten und ihm wenig Bedeutung beimessen. Er macht gleich daraufhin deutlich, dass er dem Prinzen freiwillig diene und im Gegensatz zu Marinelli unabhängig sei. Mit der Wortwahl, er sei kein „Sklave“ (S. 37, Z. 16) des Prinzen, bezeichnet er jedoch Marinelli indirekt als solchen. Der einzige Herrscher, dem sich Appiani zu unterwerfen habe, sei der Kaiser, den er als „größeren Herrn“ bezeichnet (S. 37, Z. 17), jedoch hatte dieser zu der Zeit schon viel an Macht verloren. Demnach macht der Graf mit seinen Aussagen seine höhere gesellschaftliche Position gegenüber Marinelli sehr deutlich und weist ihn in seine Schranken. Marinelli fühlt sich gekränkt und in seiner Ehre verletzt, was begründen kann, dass seine Höflichkeit gegenüber dem Grafen vollends verschwindet. Er reagiert patzig mit der Antwort „Größer oder kleiner: Herr ist Herr“ (S. 37, Z. 18). Das lässt sich der Graf von dem untergebenen Kammerdiener nicht gefallen und beendet die Diskussion sehr bestimmend. Er bezeichnet die Hochzeit mit Emilia Galotti als sein „ganzes Glück“ (S. 37, Z. 22 f.), daher ist sie ihm so wichtig, dass er sie der Gunst des Prinzen vorzieht. Sie hat für ihn Priorität, weshalb sein Ziel des Gespräches mit Marinelli darin besteht, seine Entscheidung, nicht nach Massa zu reisen, zu verteidigen und durchzusetzen. Eine Diskussion mit dem Kammerdiener kommt für ihn einerseits nicht länger infrage, weil dieser ihm untergeordnet ist und kein Recht hat, mit dem Grafen zu diskutieren. Andererseits hat er zudem den festen Entschluss gefasst, an dem Tag zu heiraten und dieser soll durch nichts mehr verändert werden.

Im weiteren Verlauf der Szene stellt Marinelli erneut eine hinterlistige Frage, deren Antwort er schon kennt. Er gibt vor, dem Prinzen mitteilen zu wollen, wen Appiani heiraten wird, nur um auf die Antwort des Grafen, es sei Emilia Galotti, ein abschätziges „Hm! Hm!“ (S. 37, Z. 29) von sich zu geben. Er lenkt das Gespräch damit indirekt darauf, dass Emilia aus bürgerlichen Verhältnissen kommt und daher ruhig auf jemanden wie den Grafen warten kann. Diese versteckte Andeutung lässt sich daran erkennen, dass er meint, man könnte die „Zeremonie“ (S. 37, Z. 32) gerade deshalb verschieben, weil sie aus „diesem Hause“ (S. 37, Z. 27), also dem bürgerlichen Hause Galotti, stamme. Des Weiteren unterstützen die sarkastischen und abwertenden Aussagen des Kammerherren, „die guten Eltern werden es so genau nicht nehmen“ (S. 37, Z. 35 f.) und „Emilia bleibt Ihnen ja wohl gewiss“ (S. 38, Z. 2), diese Vermutung. Appianis Reaktionen auf die Frechheiten, die sich Marinelli erlaubt, fallen entsprechend perplex aus, da er immer wieder ungläubig Teile von Marinellis Aussagen als rhetorische Fragen wiederholt. Dass „Emilia im ja wohl gewiss“ bleiben würde, weil sie sich glücklich schätzen könne, einen Mann höheren Ranges zu heiraten, stellt eine Beleidigung ihr gegenüber dar. Darum gerät der Graf aus der Fassung und kontert, indem er Marinelli als Affen bezeichnet (S. 38, Z. 4), denn er kann ein solches Verhalten nicht dulden. Mit dem Ausspruch „Tod und Verdammnis“ (S. 38, Z. 10) reagiert der eigentlich untergeordnete Kammerherr sehr aufmüpfig und auch seine Forderung nach Vergeltung, um seine Ehre wieder herzustellen, ist gegenüber dem Grafen sehr frech und riskant, da die beiden aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten stammen. Der Graf nimmt trotzdem sofort an und ergreift Marinelli bei der Hand (S. 38, Z. 17), als dieser Vergeltung verlangt. Es ist ihm scheinbar wichtig, so etwas sofort zu regeln und er hat keine Sorge, dass er unterlegen ist, denn er würde sich sogar vor der für in so wichtigen Hochzeit in Gefahr bringen. Marinelli reißt sich jedoch los und zieht sich mit einer Ausrede aus der Affäre, indem er auf die Hochzeit des Grafen hinweist und vorgibt, ihm den Tag nicht verderben zu wollen. Die abschließende Aussage des Kammerdieners „nur Geduld, Graf, nur Geduld“ (S. 38, Z. 21 f.) kann als eine Drohung zu verstehen sein. Er scheint andere Pläne zu haben, sich zu rächen, ohne sich dabei selbst in Gefahr zu bringen und zusätzlich dem Prinzen zu helfen. Die Aussage gibt somit eine richtungsweisende Aussicht auf den möglichen weiteren Verlauf des Trauerspiels. Damit hat der Graf zwar zunächst sein Ziel, nicht nach Massa reisen zu müssen, erreicht, es wird aber schon angedeutet, dass der Konflikt noch nicht zu Ende ist, sondern sich typisch für den zweiten Akt eines Dramas gerade erst entwickelt.

Zusammengefasst besteht das Ziel dieser Konversation für Marinelli darin, seinen Plan, dessen Erfolg er dem Prinzen versprochen hat, umzusetzen und damit zu erreichen, dass der Prinz Emilia für sich gewinnt. Das Erreichen dieses Zieles ist mit einem großen Zeitdruck für Marinelli verbunden, da die Hochzeit, die verhindert werden soll, immer näher rückt. Zudem handelt er zum Teil auch aus Eigeninteresse, denn wie der Graf erwähnt hat, ist er von dem Prinzen abhängig. Würde sein Plan nicht aufgehen, würde er womöglich in Ungnade des Prinzen fallen und existenzielle Probleme bekommen.

Der Graf nimmt zwar zunächst den Auftrag des Prinzen an, doch nachdem er erfährt, dass er noch am selben Tag abreisen müsste, setzt er seine Hochzeit als Priorität gegenüber dem Dienst für den Prinzen und möchte Emilia ohne weitere Diskussion heiraten. Zudem besteht bei beiden der Wille, Stärke zu demonstrieren. Appiani weist, wie bereits oben schon gesagt, Marinelli sehr deutlich darauf hin, dass dieser ihm untergeordnet ist. Der Kammerherr hingegen gibt sich mit dieser Position nicht zufrieden und strebt immer wieder danach, den Grafen zu übertreffen oder sich zumindest mit ihm gleichzustellen.

In dieser Szene zeigt sich sehr deutlich Lessings Kritik am absolutistischen Adel. Der vollkommen vom Prinzen abhängige Marinelli ist hinterhältig, auf seinen Vorteil bedacht und handelt immer nach dem Motiv, die Gunst des Prinzen zu behalten. Graf Appiani hingegen ist dabei, sich von den höfischen Diensten zu befreien, verweigert einen Auftrag und heiratet eine Bürgerliche. Damit widersetzt er sich den Konventionen und schlägt sich auf die Seite des immer stärker gegen den Adel aufbegehrenden Bürgertums zur Zeit der Aufklärung.

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