Hauptmann, Gerhart - Bahnwärter Thiel (Analyse der Seiten 35-42)

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Gerhart Hauptmann, Interpretation, Analyse, Referat, Hausaufgabe, Hauptmann, Gerhart - Bahnwärter Thiel (Analyse der Seiten 35-42)
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Referat

Gerhart Hauptmann: Bahnwärter Thiel (Interpretation der Seiten 35-42)

Die naturalistisch gekennzeichnete Novelle „Bahnwärter Thiel“, verfasst durch Gerhart Hauptmann im Jahre 1887, handelt vom Leben des Bahnwärters Thiel, welcher nach einer geistigen und beinahe religiösen Ehe, eine zweckhafte Beziehung zu einer anderen Frau eingeht und wodurch er letztendlich selbst in den Wahnsinn verfällt und ein Doppelmord begeht.

Der vorliegende Ausschnitt der Seiten 35-42, stellt zu Beginn den Hauptprotagonisten der Novelle vor und gleichzeitig auch sein Leben, welches durch eine glückliche Ehe zu Minna und einem jeweils gleichbleibenden Kirchengang geprägt ist. Doch nach dem plötzlichen Tod von Minna bei der Geburt ihres ersten Kindes, entscheidet sich Thiel dafür eine Beziehung mit Lene einzugehen, um seinem Sohn, Tobias, eine Familie bieten zu können, welche für einander da ist. Allerdings entpuppt sich die Ehe, als eine herrschsüchtige Beziehung, welche alleine durch die Ehefrau gesteuert wird. Letzten Endes stirbt sein Sohn Tobias bei einem dramatischen Zugunfall, wodurch der Bahnwärter Thiel, seine Ehefrau und deren neugeborenes Kind brutal ermordet.

Der Bahnwärter Thiel wird im vorliegenden Ausschnitt als ein ordentlicher, gepflegter, religiöser (Z.1 ff.) und äußerlich starker Mann (Z.11) vorgestellt, für welchen der allsonntägliche Gang zur Kirche ein äußerst wichtiger Teil seines Lebens geworden ist (Z. 1-7). Diese strukturell gleichbleibende Alltagssituation, wirkt auf den Leser als sehr bodenständig, schlicht und einfach und bewirkt dadurch einen positiven und sympathischen ersten Eindruck bei den Lesern. Die Leidenschaft zur Religion und zu Gott teilt der Bahnwärter zwei Jahre lang (Z. 13) auch mit seiner ersten Ehefrau, Minna, welche im Gegensatz zu ihrem Ehemann als eine zarte und zerbrechliche Frau (Z. 13) beschrieben wird. Dieser drastische Unterschied zwischen dem Hauptprotagonisten und seiner ersten Frau, bewirkt beim Lesen den Gedanken, dass in dieser Ehe der Bahnwärter Thiel die leitende Person in ihrer glücklichen Beziehung ist. Diese glückliche Beziehung steht jedoch in einem starken Kontrast zu seiner zweiten Ehe mit Lene, in welcher Lene, als der machtvollere Teil ihrer unglücklichen und abhängigen Beziehung vorgestellt wird (Z. 11). Dieser Kontrast spiegelt sich im Laufe der Zeit stark in den Charaktereigenschaften des Bahnwärters wider, welcher den Tod seiner Frau auch Monate danach nicht verkraften und akzeptieren kann. Dies wiederum stellt die Einsamkeit und die Machtlosigkeit des Hauptprotagonisten in den Vordergrund, da dieser sich für die zweite Ehe, nur wegen einer Bitte seiner ersten Frau, welches er versprochen hat einzuhalten, entschieden hat (Z. 41). Die Vaterrolle, in welche Thiel keine Möglichkeit hatte sich einzuleben, gab er seiner zweiten Ehefrau ab und führte gleichzeitig dazu, dass die Vater-Sohn-Beziehung zwischen den beiden Protagonisten immer mehr schwankte, die Liebe des Vaters zu seinem Sohn blieb jedoch bestehen (Z. 66-69) und entwickelt sich sogar im Laufe der Zeit ins Positive (Z. 126). Tobias wird jedoch vom neuen Familienoberhaupt schwer misshandelt (Z. 130), was wiederum dazu führt, dass Thiel nicht in der Lage ist, das Versprechen einzuhalten aber gleichzeitig auch unfähig ist wegen sexueller und psychischer Abhängigkeit zu Lene, die Beziehung zu beenden (Z. 74). Auch die ständigen „Predigten“ (Z. 60) seiner Ehefrau, kennzeichnet die negativ geprägte Beziehung der beiden Protagonisten. Diese Aspekte wirken sich stark auf die Entwicklung des Hauptprotagonisten aus, denn dieser fühlt sich gezwungen in eine Fantasiewelt zu flüchten, in welcher er sich Visionen und Halluzinationen von Minna in seinem Wärterhäuschen hingibt, um von der Realität zu flüchten. Außerdem fällt auf, dass er vom Rest der Bevölkerung nicht nur als Teil der unteren sozialen Schicht angesehen wird, sondern auch als Außenseiter, da dieser kurz nach dem Tod der ersten Frau innerhalb kürzester Zeit wieder heiratete (Z. 45 und Z.64). Dadurch spiegelt sich ein weiteres Mal die Einsamkeit des Bahnwärters wider. Diese Einsamkeit kommt, in dem uns vorliegenden Ausschnitt, auch zum Ausdruck durch die wenigen Dialoge zwischen dem Hauptprotagonisten und anderen Charakteren wieder. Hauptsächlich liegen uns nur gedankliche Überlegungen des Bahnwärter Thiel vor, in welchen er versucht Kontakt zu seiner verstorbenen Frau Minna aufzunehmen. Hierbei grenzt sich der Hauptprotagonist auch komplett von der Außenwelt ab und bezeichnet seinen Arbeitsplatz sogar als „geheiligtes Land“ (Z. 85), was wiederum auf die Isoliertheit und Einsamkeit des Hauptprotagonisten zurückgeführt werden kann. Doch auffallend ist, dass dieses strukturelle System, was für Thiel gleichbleibend sein muss, eine große Rolle in seinem Leben spielt. Diese Orientierung spiegelt sich nicht nur zu Beginn des Ausschnitts in den Zeilen 1-8 wider, in welchen der fast monotone, gleichbleibende, wöchentliche Gang zur Kirche beschrieben wird, sondern in diesem Fall auch Trennung (Z. 86) zwischen der Realität, welche sich außerhalb seines Arbeitsplatzes abspielt und der Fantasiewelt, welche ihm die Möglichkeit bietet seine erste Frau Minna in seinen Gedanken niemals sterben zu lassen. Diese Traumvorstellungen, welche er selbst sogar als „Ekstasen“ (Z. 101) betitelt, unterstreichen seine psychische Labilität und seine tiefen inneren Ängste, welche ihn sogar schließlich in den Wahnsinn führen. Andererseits kann man den Verlust der Alltäglichkeit und der strukturellen Ordnung auch als Vorahnung für die letztendliche labile Psyche des Hauptprotagonisten interpretieren. Denn durch den plötzlichen Tod seiner ersten Frau verändert sich sein streng geordnetes Leben, was dazu führt, dass er sich gezwungen sieht diese Stabilität wieder aufzubauen, indem er Kontakt zu seiner verstorbenen Frau aufnimmt und sich dadurch in eine Doppelexistenz flüchtet.

Abschließend kann man interpretieren, dass der Bahnwärter Thiel im Laufe der Zeit immer mehr den Bezug zur Realität verliert und sich immer stärker mit der Fantasiewelt, in welcher sein Fokus auf seine verstorbene Frau gerichtet ist, beschäftigt. Diese zwei Welten, in welchen der Hauptprotagonist gefangen ist, geben den Lesern gleichzeitig auch einen Ausblick auf die zukünftigen, dramatischen Geschehnisse und den letztendlichen Höhepunkt der Novelle - der Doppelmord.

Verglichen mit der Hauptfigur Franz Woyzeck des gleichnamigen Dramas des Autors Georg Büchner, kann man schnell feststellen, dass einige Übereinstimmung zwischen den beiden Texten wiedergefunden werden können. Schon zu Beginn der Lektüre „Woyzeck“ realisiert der Leser, dass der Hauptprotagonist psychisch stark geschwächt ist und dadurch dem Rest der Bevölkerung weit untergestellt ist. Diese psychische Labilität fällt selbstverständlich auch beim Bahnwärter Thiel auf, welcher nach dem Tod seiner ersten Frau in Halluzinationen, Sinnesvorstellungen und Ekstasen verfällt. Des Weiteren leiden Woyzeck sowie Thiel beide unter den Zwängen, dem Druck ihrer Umwelt und ihrer sozialen Situation, welche beide als Außenseiter abstempelt und dadurch auch die bevorstehende Katastrophe vorhersagt. Auch kümmern sich beide aufopferungsvoll um ihre Familie, wobei Woyzeck sich einer drastischen Diät unterzieht um Geld für seine Frau und Kind verdienen zu können und Thiel geht eine machtgesteuerte Ehe mit Lene ein, um seinem ältesten Sohn eine Stiefmutter bieten zu können. Dennoch sind beide Protagonisten enorm abhängig von verschiedenen Charakteren in ihren einzelnen Texten. Während Thiel im Laufe der Zeit sich seiner zweiten Ehefrau komplett hingibt und dadurch auch finanziell, psychisch sowie sexuell abhängig von seiner neuen Frau wird, gefährdet er die Sicherheit seines Sohnes und führt teilweise durch sein Verhalten auch zum Tod seines Sohnes bei.

Währenddessen ist Woyzeck von jeder möglichen Geldquelle abhängig und schadet dadurch seiner Sicherheit und vor allem seiner Gesundheit, was wiederum die psychischen Probleme nur noch verschlimmert und verstärkt. Letzten Endes stellt sich in beiden literarischen Texten heraus, dass die weiblichen Hauptprotagonisten, durch ihre Charaktereigenschaften und selbstbestimmte Art die Titel Person zum Fall bringen. Die Partnerin von Woyzeck, welche zusammen mit ihm einen Sohn hat, erwartet von Woyzeck nur eine finanzielle Unterstützung ohne eine Gegenleistung ihm anzubieten. Während dieser schäbigen Beziehung, fokussiert sich Marie alleinig auf ihr Ziel in der sozialen Rangliste aufsteigen zu können und im besten Fall den Tambourmajor für sich zu gewinnen, auf der anderen Seite der Beziehung steht jedoch Woyzeck, welcher von den Plänen seiner Partnerin zu Beginn der Lektüre nichts weiß und davon überzeugt ist, seiner Familie auch in der Zukunft helfen zu wollen. Dabei verliert er jedoch immer mehr den Realitätsbezug, und verfällt immer mehr in seine psychischen Probleme bis zum letztendlichen Höhepunkt, in welchem er realisiert, dass alles, was er für seine Familie getan hat, nutzlos gewesen war und Marie ihn dabei ununterbrochen ausgenutzt hat, und gleichzeitig sieht er ein, dass seine Frau ihn mit dem Tambourmajor mehrmals betrogen hat, was ihn letzten Endes zum Mord verleitet. Eine ähnliche Situation durchlebt auch der Hauptprotagonist in der Lektüre von Georg Hauptmann, der dieser kann den Tod seiner ersten Ehefrau zu Beginn nicht verarbeiten und sieht sich gezwungen eine zweite Ehefrau zu heiraten um nicht nur die Bedürfnisse seines Sohnes stillen zu können, doch gleichzeitig auch seine. Doch seine Ehe stellt sich schnell als eine machtgesteuerte Beziehung vonseiten seiner Partnerin raus, welche den Sohn nicht nur körperlich misshandelt, sondern gleichzeitig auch Thiel psychisch foltert. Diese ständige Quälerei, zwingt Thiel dazu in seine Fantasiewelt zu fliehen und dort seine seelische Ruhe wiederzufinden, jedoch führt diese Entscheidung gleichzeitig zu viel schlimmeren Auswirkungen auf den Sohn, Tobias, welcher in dieser Situation alleine gelassen wird. Dennoch führt diese Alternative des Vaters zum letztendlichen Tod seines Sohnes und dem darauffolgenden Doppelmord der Ehefrau und ihres neugeborenen Kindes, aus der Hand vom Bahnwärter Thiel. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Morden ist in diesem Fall auch nicht zu übersehen, denn beide Mörder waren im Moment der Katastrophe verzweifelt und unzurechnungsfähig, was auf eine Kurzschlussreaktion deutet kann. Im Fall vom Bahnwärter Thiel entstand die Kurzschlussreaktion im Moment des Todes seines Sohnes und bei Woyzeck entstand dieser letztendliche Entschluss im Moment, als dieser den Betrug aufdeckte und realisierte, dass all seine Taten nutzlos waren.

Zusammenfassend kann man sagen, dass beide Protagonisten innerhalb kürzester Zeit am eigenen Körper bemerken mussten, wie klein die Grenze zwischen der Realität und der Fantasiewelt sein kann und wie schnell man die Kontrolle zwischen diesen zwei Welten verlieren kann.

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