Hauptmann, Gerhart - Die Ratten

Schlagwörter:
Gerhart Hauptmann, Aufbau des Dramas, Figurenkonstellation, Geschichtlicher Hintergrund, Naturalismus, Themen & Motive, Charakterisierung von Bruno, Referat, Hausaufgabe, Hauptmann, Gerhart - Die Ratten
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Referat

Gerhart Hauptmann - Die Ratten

Die Ratten ist eine Tragikomödie in fünf Akten von Gerhart Hauptmann. Die Uraufführung fand am 13. Januar 1911 im Lessingtheater Berlin statt. Das Stück spielt in Berlin am Ende des 19. Jahrhunderts; Handlungsort ist eine ehemalige Kaserne. Sie wurde um 1880 von etwa 60 Familien bewohnt und im Volksmund „Wanzenburg“ genannt. Das Drama zählt zu den späten Stücken aus der Epoche des Naturalismus.

1. Allgemeines zum Werk

Erläutern Sie den Begriff „Tragikomödie“ anhand des Werkes.

  • Komödie und Tragödie ineinander „verschlungen“
  • zwei Handlungsebenen
  • dominierender tragische Anteil: John - Welt
  • Hassenreuter - Welt mit Betonung des Komischen

2. Aufbau des Dramas

Erläutern Sie, in wie weit das Stück eine klassische Exposition beinhaltet.

  • erster Akt besitzt Expositionsfunktion
  • wichtige Figuren und ihre Beziehungen werden gezeigt
    • Henriette John, die als Putzfrau für Direktor Hassenreuter arbeitet und seinen Theaterfundus in Ordnung hält
    • Das von ihrem Bräutigam verlassene polnische Dienstmädchen Pauline
    • Frau Johns finsterer Bruder Bruno o Harro Hassenreuter mit seinem beruflichem Werdegang, seinen Zielen und seinem amourösen Verhältnis
    • Walburga, die in ihren Hauslehrer Erich Spitta verliebt ist.
  • verschiedene Themenbereiche lassen sich bereits hier erkennen und mögliche Spannungsfelder ableiten
    • extremer Kinderwunsch (damit verbundene Werben bei der verzweifelten Pauline)
    • die von Bruno ausgehende Atmosphäre (→ tragisches Potenzial)

3. Figurenkonstellation

Beschreiben Sie die Beziehung zwischen Frau John und ihrem Mann. Gehen Sie dabei besonders auf die Veränderungen im Stück ein.

  • Herr John arbeitet am Anfang im entfernten Hamburg-Altona
  • hat Frau John nach dem Tod des Kindes alleine gelassen
  • erst die Geburt „seines“ Kindes bewegt ihn, diese lukrative Tätigkeit aufzugeben
    • Kind als Wendepunkt für die Beziehung gedacht
  • erwirkt jedoch das Gegenteil:
    • als Herr John die Umstände erkennt, unter denen seine Frau zu dem Kind gekommen ist, distanziert er sich von ihr.
  • Beziehung komplett zerstört

4. Literaturtheorie

Ordnen Sie das Werk zeitlich ein und begründen Sie anhand von verschiedenen Merkmalen Ihre Wahl. Naturalismus (mindestens 6 Merkmale sollten genannt werden)

  • jeder kann eine tragische Person sein (jeder ist vor dem Gesetz gleich)
  • Tragik ergibt sich durch die Person selbst, Gesellschaft
  • möglichst exakte Wiedergabe der Wirklichkeit → Reaktion auf naturwissenschaftliches Exaktheits-Ideal → Verschärfung der sozialen Frage
  • Stoff aus dem wirklichen Leben
  • möglichst detailgetreue Milieuschilderung
  • Sprachformen des Alltags, Jargon, Umgangssprache, Dialekt
  • ausführliche Bühnenanweisungen
  • gegen Idealismus
  • Wahrung der Einheit von Ort und Zeit
  • Handlung wurde reduziert → im Zentrum stand die Darstellung der Charaktere
  • Mensch als Produkt von Vererbung und Milieu
  • Literatur nahm neue Erkenntnisse der Naturwissenschaft, Soziologie und Psychologie auf

5. Geschichtlicher Hintergrund zu „Die Ratten“

Politische Situation:

  • Reichskanzler Otto von Bismarck (als Hauptmann 1884 zum Studium nach Berlin kam)
    • Konservative Politik (gestützt auf Adel, Militär, Beamte)
    • Sorge gegenüber revolutionären Interessen
    • Bekämpfte Katholizismus („Kulturkampf“ → „Kanzelparagraph“)
    • bekämpfte Sozialisten (Sozialistengesetz (1878) → Verfolgung der Sozialdemokratie)
  • 1888 Kaiser Wilhelm II
    • Entlassung Bismarcks 1890
    • Wilhelminische Ära: Unstetigkeit; mangelnde Sachkenntnis d. jungen Kaisers; antidemokratischer, militaristischer u. nationalimperialistischer Geist (breitete sich in Gesellschaft aus)

Das gesellschaftliche Gefüge:

  • Übergang vom Agrar- zum Industriestaat → im 19. Jhd. Umbrüche in der Gesellschaft
  • Verstädterung (wegen Geburtenüberschuss, Eingemeindungen, Zuwanderung von Arbeitssuchenden)
  • Berlin → Weltstadt → Bodenspekulation & Wohnungsnot
  • Industrielle Revolution → Auswirkungen auf gesellschaftliche Struktur
    • Adel:
    • wollte sozialen Wandel nicht wahrhaben
    • Konservative Einstellung
    • Führende Positionen in Politik, Verwaltung, Militär
    • Größter Teil der Großgrundbesitzer
    • Kam auch in privilegierter Schicht zu Abstürzen
    • Besitzbürgertum:
    • Industrie → Einkommen und Ansehen stiegen → Großunternehmer und Großindustrielle → neue Schicht
    • wirtschaftliche Führungsschicht
    • Geldadel orientierte sich am Geburtsadel → luxuriöse Lebensweise, hoffte auf politische Kompetenzen
    • grenzte sich vom übrigen Bürgertum ab
    • oft skrupellose Methoden, um Besitz und Ansehen zu vergrößern
    • Bildungsbürgertum:
    • Soziales Ansehen aber weniger Geld
    • Politische Loyalität und Pflichtbewusstsein als stabilisierende Elemente
    • Weltsicht litt unter Realitätsfremde, doppelter Moral u. Gleichgültigkeit gegenüb. sozialem Elend d. unteren Schichten
    • Liberale Ideen
    • Kleinbürger (mittlere Beamte, Angestellte, Facharbeiter):
    • bescheidene Verhältnisse, aber weitgehend sicherer Arbeitsplatz
    • erstrebenswerte Tugenden: Ordnung, Fleiß, Ehrlichkeit
    • Angestellte: gewannen mit Industrialisierung an Bedeutung (ver7facht zw. 1882 u. 1907), verdienten relativ gut, weitgehend sichere Arbeitsstellen, grenzten sich gegen Industriearbeiter ab
    • Gewerblicher Mittelstand & freie Berufe:
    • Handwerker mussten um Existenz bangen / billige Industrieproduktion machte sie konkurrenzunfähig
    • Manche Betriebe mussten aufgeben → sozialer Abstieg
    • Industriearbeiterschaft:
    • Facharbeiter gesucht
    • Unqualifizierte Arbeiter (verarmte, Bauern, Tagelöhner, Handlanger litten unter Ausbeutung durch Fabrikanten) → Armut, Hunger, körperliche Erschöpfung, häufiger Wechsel d. Arbeitsstelle, soziale Entwurzelung
    • Nach Börsenkrach von 1873 Lohnkürzungen & Entlassungen → Bewusstsein, einer eigenständigen Schicht angehören
    • Unterste Schichte (Arbeitslose, Bettler, Nicht-Sesshafte)
  • ​Polarisierung zwischen Besitzenden und Nichtbesitzenden

6. Naturalismus

  • Ende des 19. Jhd.: Epochenumbruch
    • technologische u. naturwissenschaftliche Veränderungen
    • Sigmund Freud → Seelenleben
    • Großstädte zu Massenmetropolen mit neuen Medien, neuer Massenkultur und Informationsmitteln
  • Literarische Moderne:
    • Vielfalt unterschiedlicher teils widersprüchlicher Tendenzen, Bewegungen und Gegenbewegungen
    • Unterschiedet unter literarischen Strömungen d. Moderne: Naturalismus, Impressionismus, Fin de Siècle, Jugendstil, Symbolismus, Neuromantik, Expressionismus → kennzeichnen Vielgestaltigkeit und Widersprüchlichkeit der modernen Literatur
  • Geht geistesgeschichtlich aus Realismus hervor
  • Rückt von der Gesellschaft ausgestoßene Menschen der unteren Klassen ins Zentrum ihrer Werke
  • Mensch im Bedingungsgefüge von Psyche, Trieb, Sozialstruktur, Arbeitswelt und Verstädterung → Verhaltensweisen und Entscheidungen determiniert
  • Neue Darstellungsmittel: Dialekt & Umgangssprache
  • Literarische Kritik an: deutsch-nationaler Überschwang nach 1870/71, Obrigkeitsstaat, Bevormundung durch Kirche, sozialer Problematik (vgl. auch Situation d. Frauen und Emanzipation)
  • „Kunst = Natur – x“ (x möglichst klein; Natur= tatsächliche Verhältnisse) → Arno Holst
  • Wirklichkeitsgetreu
  • Themen: Armenmilieu, Elendsquartiere, Mietskasernen, soziale Not der Fabrikarbeiter, Kneipenatmosphäre, soziale Probleme innerhalb der Familie
  • Sekundenstil: Deckungsgleichheit von Erzählzeit und erzählter Zeit; äußere u. innere Wirklichkeit gleichwichtig
    • akribisch genau werden Zeitablauf der Handlung, Vorgänge (Tropfen eines Wasserhahns) oder Verhalten und Eigenart von Personen (Dialekt, Stottern, Gähnen) dargestellt (präzise Darstellung)
    • eine Dramenszene o. ein Prosaabschnitt sollen genauso lang sein wie in der Wirklichkeit

7. „Die Ratten“ als naturalistisches Drama

Themen / Motive:

  • Unterschichten und ihre Perspektivlosigkeit (z.B. Ehelosigkeit) (Piperkarcka, Bruno)
  • Mietskaserne
  • Vererbung / Abhängigkeit (Knobbe)
  • Kritik an der Bevormundung
  • Determiniertheit der Menschen (Psyche → John, Rollendenken → Hassenreuter, Verstädterung → alle, Trieb, Ehebetrug)
  • Kritik am Obrigkeitsstaat / bestehenden Gesellschaftsstrukturen (vgl. Hassenreuter)

Darstellungsform:

  • Sprache ist der jeweiligen Person angepasst
  • Sekundenstil
  • Naturgetreue / detaillierte Darstellung (vgl. Regieanweisung)
    • Spitta: naturalistische Haltung
    • Hassenreuter: klassische Haltung

8. Figurenzuordnung

Oberschicht:

  • Großbürgertum: Hassenreuter, Walburga
  • Bildungsbürgertum: Erich Spitta, Pastor Spitta Einfache

Bürgerschicht: Frau & Herr John

Unterschicht: Piperkarcke, Bruno Mechelke (Alice Rütterbusch zwischen einfache Bürgerschicht und Unterschicht)

9. Legitimationsversuch der Mutterschaft

  • Anmeldung des Kindes beim Amt
  • Distanzierung von sozial gescheiteter Knobbe
  • Gratulation der Bekannten (Hassenreuter) mit Geschenken
  • Beweis mütterlicher Fürsorge → Juristische und soziale Legitimation auch als Maßnahme vor der Angst des Kindesverlusts → Leben mit Lebenslüge

Anfechtung:

  • Wechsel der Positionen (offensiv, defensiv)
  • Mehrfacher Wechsel der Rollen bei der John: Mörderin, Versöhnliche, Lügnerin, Gewalttäterin, Vorwürfe machende, Rechtfertigende

    → Versuch scheitert

10. Charakterisierung von Bruno

Bruno

  • vulgär, leicht reizbar
  • arm
  • unkultiviert
  • träge, gleichgültig
  • „kleiner Stienacken und athletische Schultern“
  • eher klein als groß
  • unheimliche Gestalt (tierhaft, schleichend & lauernd = Ratte?)
  • schwarze kleine, stechende Augen
  • vornübergebeugte Haltung
  • erledigt einfache handwerkliche Aufgaben
  • meidet Konversationen
  • brutales Gesicht (vernarbter, eingerissener Nasenflügel)
  • Einzelgänger
  • abergläubisch
  • große, plumpe Hände
  • ca. 19 Jahre
  • sucht Anerkennung → Opfer der Gesellschaft → Teilschuld
  • Nichtsnutz (hat schon sein Vater gesagt)
  • handelt mit Streichhölzern
  • hat Piperkarcka getötet
  • Bruder von Fr. John und von ihr abhängig finanziell

11. Der Autor Gerhart Hauptmann

  • Gerhart Johann Robert Hauptmann
  • Geburt am 15. November 1862 in Ober Salzbrunn in Schlesien
  • Tod am 6. Juni 1946 in Agnetendorf/Agnieszków in Schlesien
  • deutscher Dramatiker und Schriftsteller
  • gilt als der bedeutendste deutsche Vertreter des Naturalismus
  • hat aber auch andere Stilrichtungen in sein Schaffen integriert
  • 1912 Nobelpreis für Literatur
  • erste naturalistisches Werk Bahnwärter Thiel
  • mit seinem 1889 uraufgeführten Drama Vor Sonnenaufgang sorgte er für einen der größten Skandale der deutschen Theatergeschichte. Das bürgerliche Publikum war schockiert, weil in Hauptmanns Stück Sexualität und Alkoholismus freimütig dargestellt wurden. Es entsprach jedoch auch den Ansprüchen an ein sozialkritisches Drama jener Zeit. Laut Franz-Josef Payrhuber sei Hauptmanns Vor Sonnenaufgang zwar ein epochemachendes Werk, aber sei nicht das repräsentative Beispiel für das naturalistische Drama.
  • Hauptmann komme jedoch eine wichtige Rolle zu, da er mit Unterstützung Otto Brahms naturalistische Dramen auf deutschen Bühnen etabliert habe.
  • Daraufhin entstanden mit Das Friedensfest (1890), Einsame Menschen (1891) und Der Biberpelz (1893) weitere Dramen Hauptmanns.
  • auch Komödien wie College Crampton (1891) verfasste er, doch einzig mit Der Biberpelz gelang es ihm, „auch das gesellschaftliche Anliegen des Naturalismus erfolgreich und überzeugend einzuarbeiten“.
  • Mit seinem wichtigsten Drama Die Weber erlangte Hauptmann Weltruhm und erreichte den Höhepunkt seiner naturalistischen Schaffensphase.

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