Bachmann, Ingeborg - Nebelland (Interpretation 4. & 5. Strophe)

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Ingeborg Bachmann, Analyse der vierten und fünften Strophe, Gedichtinterpretation, Gedichtanalyse, Referat, Hausaufgabe, Bachmann, Ingeborg - Nebelland (Interpretation 4. & 5. Strophe)
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Referat

Interpretation und Analyse der vierten und fünften Strophe des Gedichtes „Nebelland“ von Ingeborg Bachmann

Nebelland
von Ingeborg Bachmann

Im Winter ist meine Geliebte
unter den Tieren des Waldes.
Daß ich vor Morgen zurückmuß,
weiß die Füchsin und lacht.
Wie die Wolken erzittern! Und mir
auf den Schneekragen fällt
eine Lage von brüchigem Eis.
 
Im Winter ist meine Geliebte
ein Baum unter Bäumen und lädt
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die glückverlassenen Krähen
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ein in ihr schönes Geäst. Sie weiß,
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daß der Wind, wenn es dämmert,
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ihr starres, mit Reif besetztes
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Abendkleid hebt und mich heimjagt.
 
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Im Winter ist meine Geliebte
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unter den Fischen und stumm.
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Hörig den Wassern, die der Strich
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ihrer Flossen von innen bewegt,
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steh ich am Ufer und seh,
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bis mich Schollen vertreiben,
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wie sie taucht und sich wendet.
 
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Und wieder vom Jagdruf des Vogels
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getroffen, der seine Schwingen
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über mir steift, stürz ich
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auf offenem Feld: sie entfiedert
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die Hühner und wirft mir ein weißes
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Schlüsselbein zu. Ich nehm’s um den Hals
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und geh fort durch den bitteren Flaum.
 
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Treulos ist meine Geliebte,
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ich weiß, sie schwebt manchmal
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auf hohen Schuh’n nach der Stadt,
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sie küßt in den Bars mit dem Strohhalm
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die Gläser tief auf den Mund,
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und es kommen ihr Worte für alle.
35 
Doch diese Sprache verstehe ich nicht.
 
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Nebelland hab ich gesehen,
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Nebelherz hab ich gegessen.

(„Nebelland“ von Ingeborg Bachmann ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (25.9 KB) zur Unterstützung an.)

Das Gedicht „Nebelland“, von Ingeborg Bachmann, entstand 1956 in Deutschland. Es handelt sich um ein Gedicht über negative Erfahrungen in der Liebe. Nach ersten Eindrücken ist die verwendete Bildersprache schwer zu verstehen und zu entschlüsseln.

Das Gedicht weist eine sehr regelmäßige fast schon prosamäßige Form auf und umfasst sechs Strophen á 7 Zeilen. Die letzte Strophe bildet mit nur zwei Zeilen eine Ausnahme. Es ist kein Reimschema sowie deutliche Metrik erkennbar, jedoch geht die Tendenz des Versmaßes in Richtung Jambus. Häufig verwendete Stilmittel sind Chiffren („Im Winter….“, Vers 1; „Nebelherz hab ich gegessen“, Vers 37) wobei die Metapher („Im Winter ist meine Geliebte ein Baum.“, Vers 8) das dominanteste Stilmittel ist. Die Wortwahl ist einfach und leicht verständlich ohne Wortneuschöpfungen und Verschnörkelungen. Im Vergleich dazu ist die Sprache anspruchsvoll, metaphorisch und an vielen Stellen oft melancholisch.

Im Weiteren möchte ich insbesondere auf die Strophen 4 & 5 eingehen. In der vierten und fünften Strophe ist eine deutliche Veränderung zu erkennen. Das wird gleich an der ersten Zeile der vierten Strophe deutlich, da nun nicht mehr wie in den vorigen drei Strophen der einleitende Satz „Im Winter ist meine Geliebte“ steht.

In der ersten Zeile steht „Und wieder vom Jagdruf des Vogels getroffen“, die Zeile ist sehr bildlich beschrieben und man assoziiert den Vogel gleich mit einem großem, prachtvollem Vogel, wie z.B. einem Falken. Mit dem Jagdruf könnte die wiederkehrende Kraft des lyrischen Ichs gemeint sein. Es hat viele Enttäuschungen von seiner Geliebten hinnehmen müssen, wurde immer wieder betrogen. Doch nun verspürt das lyrische Ich einen Drang sich von den Enttäuschungen loszureißen und seine Geliebte endlich zu erobern. Nach dem Lesen dieser Strophe wird dem Leser jedoch bewusst, dass es mehr eine Last ist, denn jedes Mal, wenn das lyrische Ich wieder Hoffnung gewinnt, wird er immer erneut von seiner Geliebten verletzt. Erst fühlt sich das lyrische Ich sehr stark, da es neuen Mut gewonnen hat. Das wird durch die zweite und dritte Zeile deutlich „…der seine Schwingen über mir steift“, dadurch wird deutlich, dass das lyrische Ich sich nun stark und geschützt fühlt, so als könnte ihn die Geliebte nicht mehr zurückweisen. Doch die Hoffnung zerschlägt sich am Ende der dritten und vierten Zeile „stürz ich auf offenem Feld“. Schon mit der Verkürzung „stürz“ merkt man, wie schnell und unerwartet der erneute Fall des lyrischen Ichs eintrat. Als Ort für den Sturz wird ein offenes Feld betitelt, dies zeigt deutlich die Einsamkeit des lyrischen Ichs. Es ist immer allein und seine einzige Hoffnung besteht darin, seine Geliebte endlich zu erobern. Für eine kurze Zeit fasste es wieder Hoffnung und stürzte ein weiters Mal zurück in die Einsamkeit. Das lässt darauf schließen, dass ihn seine Geliebte schon wieder zurückwies. In Zeile 4, 5 wird an dem Satz „Sie entfiedert die Hühner und wirft mir ein weißes Schlüsselbein zu“ deutlich, dass es nicht nur dem lyrischen Ich so geht. Mit den Hühnern sind Menschen gemeint, die genauso wie das lyrische Ich unter der Geliebten gelitten haben. Menschen die auf der Suche nach Zärtlichkeit und Liebe waren und von der Geliebten zurückgestoßen und missachtet wurden. Das Schlüsselbein ist ein Symbol, es soll zeigen, dass die Geliebte es ganz offen zeigt, wenn sie z.B. mit anderen Männern flirtet. Sie zeigt es dem lyrischen Ich ganz offen und provokant, doch der schafft es nicht sich von ihr loszureißen. Dieses wird mit dem Satz „Ich nehm’s um den Hals“ gezeigt. Das lyrische Ich ist sich sehr wohl bewusst, was die Geliebte ihm antut. Und so trägt er das Gesehene und Geschehene um den Hals, also in Herzensnähe, was wiederum zeigt, wie nahe dem lyrischen Ich die verletzenden Handlungen seiner Geliebten gehen. Bei dem Satz „und geh fort durch den bitteren Flaum“ spürt man regelrecht die Enttäuschung und Verzweiflung des lyrischen Ichs. Im Gegensatz dazu steht jedoch der Flaum. Normalerweise ist dieser das erste Gefieder junger Vögel. Damit soll ausgedrückt werden, dass es nicht immer nur schlecht mit der Geliebten ist. Es gab durchaus schöne Momente doch nun ist wieder ein Zeitpunkt, an dem das lyrische Ich einfach nicht loslassen kann. Er weiß, dass er ein bitteres Los gezogen hat und trotzdem kann das lyrische Ich die Geliebte nicht einfach vergessen, da sie ihm auch schöne Zeiten beschert hat.

In der fünften Strophe spürt man das erste Mal die Verbitterung und Verzweiflung des lyrischen Ichs (Treulos ist meine Geliebte). Das lyrische Ich sieht nun endlich ein, dass egal wie schwer es ihm auch fallen mag von der Geliebten abzulassen, es keinen anderen Ausweg gibt, als sie zu vergessen. In den nächsten Zeilen versucht das lyrische Ich seine Entscheidung mit negativen Aussagen über sie zu untermauern. Es wird beschrieben, wie die Geliebte auf hohen Schuhen in die Stadt schwebt, dieser Satz zeigt, dass die Geliebte sehr anmutig und weiblich ist. Denn sie geht nicht einfach in die Stadt, sie schwebt. Diese Aussage erweckt im Auge des Lesers ein sehr graziles Bild von der Geliebten. Nun erwähnt das lyrische Ich eine weiter negative Eigenschaft seiner Geliebten, sie trinkt(sie küsst in den Bars mit dem Strohhalm die Gläser tief auf den Mund). Es wird wieder ein sehr feminines Bild von der Geliebten gezeigt, das dann jedoch von der Aussage, dass sie Alkohol trinkt, getrübt wird. Sie gibt sich also einem Rausch hin, vielleicht sogar um der Trostlosigkeit ihres eigenen Lebens zu entfliehen und um ihre Schuldgefühle zu tilgen. Die letzten beiden Zeilen der fünften Strophe zeigen, dass die Geliebte mit allen redet, für alle Worte übrig hat, außer für das lyrische Ich. Die Aussage „Doch diese Sprache verstehe ich nicht.“, dass die Geliebte zwar mit vielen Leuten spricht, jedoch aber nie wirklich. Jedes Gespräch basiert nur auf einer oberflächlichen Basis. Die Geliebte hat wahrscheinlich ihre Sensibilität verloren und kann ihr Gegenüber nun nicht mehr verstehen. Ihre ganze Art und Weise veranschaulicht, dass sie sich nur damit beschäftigt mit möglichst vielen Menschen zu reden und von ihnen umgeben zu sein, ohne dass sie einen von ihnen wirklich kennt.

Das lyrische Ich kommt sich deswegen wie in einem Nebelland vor. Es fühlt sich einsam und verlassen. Das lyrische Ich ist von dieser Welt irritiert, er empfindet wahre Gefühle, Liebe und Zuneigung für jemanden, die jedoch nicht erwidert werden. Ganz im Gegenteil, er wird nur noch mehr verspottet und bloßgestellt.

Die Letzten beiden Zeilen des Gedichtes sind eine Art Résumé des lyrischen Ichs. Es sagt: „Nebelland hab ich gesehen. Nebelherz hab ich gegessen“, das zeigt, dass sich das lyrische Ich genauestens über die heutige Gesellschaft bewusst ist, denn er hat die Handlungsweise am eigenen Leib erfahren müssen. Das Nebelland ist ein Ort der Verworrenheit und Schnelllebigkeit, und für einen aufrichtigen Menschen, wie das lyrische Ich, ein Ort tiefster Einsamkeit und Verzweiflung. Er hatte bis vor Kurzem die Hoffnung darauf, dass sich seine Geliebte ändert nicht aufgegeben, er hatte an das Gute im Menschen geglaubt, und wurde in seiner aufrichtigen Liebe immer und immer wieder enttäuscht. Das hat ihm die Augen geöffnet, das lyrische Ich erkennt nämlich nun das wahre Gesicht der Gesellschaft, hier als Nebelland dargestellt. Die meisten Menschen sind nicht mehr imstande echte Gefühle zu empfinden, da ihr Blick durch rationales Denken und Oberflächlichkeit vernebelt wurde. Für das lyrische Ich sind materielle Dinge nicht von Bedeutung, wie jedoch für die meisten Menschen des Nebellandes, es erkennt das sein Wunsch nach Liebe und Geborgenheit wohl nicht in Erfüllung gehen wird und das betrübt ihn zutiefst. Die meisten Menschen, genau wie seine Geliebte, springen mit den Gefühlen von Mitmenschen nur noch zu ihrem eigenen Vorteil um, grade so wie es ihnen gefällt und passt. Dadurch entwickeln sie eine Abgestumpftheit und Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen ihren Mitmenschen. Das lyrische Ich hat das erkannt und endlich begriffen, dass er sich von seiner Geliebten trennen muss, da es nicht so ignorant und gefühlsfremd enden wollte.

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