Böll, Heinrich - Mein teures Bein (Inhaltsangabe und Analyse)

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Heinrich Böll, Interpretation, Analyse, Referat, Hausaufgabe, Böll, Heinrich - Mein teures Bein (Inhaltsangabe und Analyse)
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Referat

Interpretation „Mein teures Bein“ (Heinrich Böll)

Heinrich Böll schrieb 1948 die Kurzgeschichte „Mein teures Bein“ und erhielt im Jahre 1972 denn Nobelpreis für Literatur.

Die vorliegende Kurzgeschichte handelt von einem ehemaligen Soldaten, der im Krieg sein Bein verloren hat und sich beim Arbeitsamt melden soll, aufgrund eines Jobangebots. Vor Ort trifft er auf einen Beamten, der kein Verständnis dafür aufbringt, dass der Soldat sich weigert einen Job, wie den eines Schuhputzers, anzunehmen. Daraufhin kommt es zu einem Streitgespräch zwischen den beiden Männern, in dem der Wert eines Beines diskutiert und aufgerechnet wird.

Der Titel der Kurzgeschichte ruft beim Leser verschiedene Assoziationen hervor. Die Wortgruppe „teures Bein“ könnte bedeuten, dass es um den Geldwert eines Beines geht oder um den Wert, den ein Bein für einen Menschen im täglichen Leben hat, denn man benötigt es um zu laufen, zu rennen – insgesamt zu Fortbewegung.

Der erste Satz „Sie haben mir jetzt eine Chance gegeben“ (Z. 1) bildet einen unvermittelten Einstieg in die Handlung, der charakteristisch für den Texttyp ist, und weckt gleichzeitig beim Leser die Neugier auf den Inhalt. Es stellt sich für den Lesenden die Frage, welche Chance der Ich-Erzähler erhält und ob er sie nutzen wird.

„[…] ich soll zum Amt kommen, und ich bin zum Amt gegangen[…]“ (Z. 2-3) durch diesen Parallelismus und das Modalverb ‚soll’ wird verdeutlicht, dass der ehemalige Soldat nur dem ‚Befehl’ Folge leistet, der ihm erteilt wird. Dieses Verhalten stammt wahrscheinlich noch aus der Zeit seines Wehrdienstes, welchen er zur Zeit der Nazi-Herrschaft leistete. Damals wurde den Menschen beigebracht, Anweisungen zu befolgen, die ihnen erteilt wurden, ohne das sie sich gegen diese wehrten.

Das Betreten des Amtes und der dortige Umgang mit dem Kriegsinvaliden wird als „nett“(Z. 4) beschreiben. Das Adjektiv ist an dieser Textstelle sarkastisch gemeint, denn bei genauerer Betrachtung des Verhaltens der Mitarbeiter des Arbeitsamtes, kann festgestellt werden, dass der Umgang mit dem Soldaten ein rein bürokratischer ist. Vor Ort beschäftigt man sich ausschließlich mit seiner „Karteikarte“ (Z. 5) und die ihm gestellten Fragen sind teilweise nicht im vollständigen Satz formuliert, beispielsweise die Frage des Beamten: „Welches Bein?“ (Z. 5). Ebenso ist der Leser bestürzt über die Tatsache, dass einem Menschen, mit solch einer Behinderung wie sie bei dem Soldaten vorliegt, erst zu einem verhältnismäßig späten Zeitpunkt ein Stuhl ‚angeboten’ wird bzw. die Erlaubnis erteilt wird, sich zu setzen. Demzufolge entsteht beim Leser den Eindruck, dass keinerlei Mitgefühl, Verständnis und Interesse für die Personen, die zum Arbeitsamt gerufen werden, vorhanden sind. Was wahrscheinlich eine Folge der Abgestumpftheit der Beamten gegenüber den persönlichen Schicksalen ihrer ‚Kunden’ ist. Schicksale wie die des Soldaten, hinzu kommt die Verdrängung der Kriegsfolgen und die Verarbeitung der eigenen Probleme, die keine Zeit schaffen, sich mit zusätzlichen Schwierigkeiten auseinander zu setzen.

Der Beamte bietet dem Kriegsinvaliden einen Job als „Schuhputzer in einer Bedürfnisanstalt“ (Z. 14-15) an und bezeichnet diese Tätigkeit als „nette Sache“ (Z. 4). Dem Leser jedoch erscheint das Angebot suspekt, zwar kann der Soldat bei dieser Tätigkeit sitzen (vergleiche Zeile 14), aber dennoch ist es fraglich, ob er mit seiner Behinderung diese Sitzhaltung dauerhaft beibehalten kann, aufgrund der einseitigen Belastung seines gesunden Beines. Der Betroffene begründet die Ablehnung dieses Jobs damit, dass er keine Schuhe putzen könne. Diese Tatsache interessiert den Beamten herzlich wenig. „Das können sie lernen.[…] Ein Deutscher kann alles“ (Z. 19-20). An dieser Textstelle wird deutlich, dass der Nationalsozialismus noch nicht ganz aus den Köpfen der Menschen verschwunden ist, denn zu Zeiten der Nazis wird den Menschen beigebracht, dass ein Mensch alles kann, wenn er nur will und lernbereit ist.

Einigen Menschen der damaligen Zeit machte diese Politik Mut und half ihnen, über ihren eigenen Schatten zu springen. Für jene, die nicht zur Arischen-Rasse gehörten oder die sich den Anordnungen dieser Diktatur widersetzten, bedeutete die Zeit Hitlers unendliches Leid und meist den Tod. Die damalige Denkweise spiegelt sich in der Aussage des Beamten wider, denn auch er versucht mit den Mitteln der Nazi-Zeit den Soldaten zur Annahme des Jobs zu bewegen und bietet ihm sogar einen Kurs an, um das Schuhputzen zu erlernen (vergleiche Zeile 19-21). Doch der Soldat will diese Stelle nicht und führt als Grund an, dass er eine höhere Rente erhalten möchte. Daraufhin bezeichnet der Beamte ihn als „verrückt“ (Z. 26). Durch dieses Adjektiv provoziert, sagt der Soldat „[…]kein Mensch kann mir mein Bein ersetzen[…]“ (Z. 28), womit die Verzweiflung über seine Behinderung angesprochen wird. Dem Leser wird klar, dass der, durch den Krieg zum Invaliden gewordene, junge Mann sich nicht mit der neuen Situation abfinden und diese Tatsache nicht akzeptieren kann.

Die Reaktion des Angestellten auf den emotionalen Ausbruch des Soldaten zeugt von Unverständnis und Überheblichkeit. Verdeutlicht durch die Beschreibung des Verhaltens und der Haltung des Beamten – „Der Mann lehnte sich weit in seinen Stuhl zurück und schöpfte tief Atem“ (Z. 31-32). Diesen Atem benötigt er für die darauffolgenden Ausführungen, in denen er auf das Genauste die Kosten, die das Bein des Kriegsinvaliden verursacht, vorrechnet (vergleiche Z. 31-42). Bereits die Anrede „Mein lieber Freund“ (Z. 32) hinterlässt beim Leser den Eindruck, dass der Beamte sich über den Soldaten lustig macht und scheinbar sehr ungeduldig wird. Das kommt daher, dass es nicht das erste Mal ist, dass der Beamte sich das Leid der Menschen anhören muss und den Wunsch nach besseren Anstellungen, in denen sie mehr verdienen würden. Zur damaligen Zeit, kurz nach dem Krieg, sind viele Leute arm, denn sie haben im Laufe des Krieges alle ihre Habseligkeiten verloren.

Das Verhalten und die Erläuterungen des Beamten kränken den Soldaten und er ahmt diesen nach, indem er sich in der gleichen überheblichen Weise zurücklehnt „[…]lehnte mich nun gleichfalls zurück und schöpfte eine Menge Atem[…]“ (Z. 44-45). Die ‚Trotzreaktion’ vonseiten des Kriegsverletzten könnte zum Selbstschutz dienen. Hervorgehoben wird das Nachahmen zusätzlich durch den identischen Satzbau.

Als der Soldat mit seinen Ausführungen beginnen will, unterbricht der Beamte ihn mit dem Einwurf „Meine Zeit ist sehr kurz“ (Z. 49) und will damit das Gespräch beenden. Doch dem Betroffenen selbst scheint der Einwand nicht zu interessieren. Er beginnt von seinen letzten Tagen an der Front zu erzählen und von den dortigen Geschehnissen (vergleiche Z. 53-67). Derweil gewinnt der Leser den Eindruck, dass es dem Mann gleichgültig ist, wer ihm zuhört, wichtig ist für ihn nur die Tatsache, dass er jemanden von dem Erlebten erzählen kann. Vielleicht hat er zu Hause keinen mehr, dem er die Erlebnisse schildern kann und der ihm helfen könnte, alles zu verarbeiten. Oft kam es vor, dass die Soldaten aus dem Krieg nach Hause kamen und niemanden mehr vorfanden oder die Verbliebenen mit den eigenen Erlebnissen zu kämpfen hatten.

Der Mann erzählt die Geschichte um, beim Darübersprechen das Gesehene und Erlebte zu verarbeiten, denn oft werden die Menschen noch lange von den schrecklichen Bildern des Krieges verfolgt. Wie im Falle des Soldaten, der miterleben muss, wie neben ihm sein Kamerad erschossen wird (Z. 57-58). Auffällig ist, dass der Ich-Erzähler diesen Tatumstand wie eine Randbemerkung erzählt, als ob dies nicht von Bedeutung wäre. Durch den darauffolgenden Einschub „[…]der kostet nichts mehr[…]“ (Z. 58) führt der Soldat wieder auf die Kostenfrage zurück und es scheint, als wolle er den Beamten damit beruhigen. Auf den Leser jedoch hat diese Situationsschilderung eine schockierende Wirkung, denn mit einem Schlag wird ihm bewusst, dass hier über ein Menschenleben gesprochen wird, scheinbar emotionslos und nur unter Betrachtung des finanziellen Aspektes.

Natürlich ist dem Beamten bewusst, dass ein junger Mann meist auch eine Familie hat, die zurückbleibt und ernährt werden muss, aber auch in diesem Punkt kann der Kriegsverletzte ihn beruhigen. Die Frau des Soldaten ist gesund und kräftig genug sich selbst zu ernähren. Für den Beamten bedeutet das, dass dieser Soldat „furchtbar billig“ ist (vergleiche Z. 58-61).

An dieser Textstelle ist der Sarkasmus, mit dem der Ich-Erzähler spricht, für den Leser deutlich spürbar, er klärt somit seinen Standpunkt gegenüber der Tatsache, Menschenleben mit Geld aufzuwiegen.

Nach dem Tod des Kameraden war der Soldat allein. Um diese Stimmung klar zu machen, verwendet der Ich-Erzähler in seinem Bericht negativ behaftete Wörter wie „allein, Angst, kalt“ (Z. 65), was bewirkt, dass der Leser sich in die Situation des Soldaten versetzen kann und für ihn Verständnis hat. Somit ist es für den Leser auch nicht verwunderlich, als der Soldat gesteht, dass er weglaufen wollte (Z. 66-67). Durch die hier verwendete Satzkonstruktion wird erreicht, dass sich der Lesende die enorme psychische Belastung, die auf dem Soldaten lastet, vorstellen kann.

Die Unterbrechung der Schilderungen des Soldaten, durch den Beamten, wirkt auf den Leser störend und die erneute Ermahnung „Meine Zeit ist kurz“ (Z. 68) machen den Beamten nicht zum Sympathieträger. Doch wenn das Verhalten des Angestellten genauer betrachtet wird, wird dem Leser bewusst, dass diese Geschichten, die er wahrscheinlich nicht zum ersten Mal hört, auch für ihn eine große Belastung darstellen und ihn teilweise verlegen machen, denn er weiß nicht, wie er solchen Leuten Trost spenden soll. Die Unsicherheit, die er in dieser Minute verspürt, hebt die plötzliche Suche nach seinem Bleistift hervor(Z. 68-69). Diese ‚Schwäche’ bzw. dieses versteckte Mitgefühl für den Soldaten bringt auch den Beamten dem Leser etwas näher und an dieser Stelle kann der Lesende die Beweggründe, aus denen beide Personen heraus handeln, gut nachvollziehen.

Jedoch lässt sich der Soldat nicht von dem Beamten beirren und fährt in seinen Ausführungen fort. Er beschwert sich nachträglich darüber, dass nachdem er die Truppen gewarnt hat, die selbigen ihn einfach zurückgelassen haben (vergleiche Z. 70-78). Der Nachschub „[…] verstehen Sie?“(Z. 78) verstärkt die verzweifelten Ausführungen des Soldaten, seine Gefühle, Gedanken etc. und ruft beim Leser ein Gefühl der Beklemmung hervor.

Nun kommt der Kriegsinvalide zum sarkastischen Punkt seines Berichts. Er rechnet dem Beamten vor, wie viele Menschen durch seine Warnung gerettet werden konnten und das diesen nun ebenfalls Geld für die Rente und den jetzigen Unterhalt ausgezahlt werden müsste. Damit kommt er zu der Schlussfolgerung, dass der Wert seines Beines ins Unermessliche gestiegen sei (Z. 79-91).

Das Einzige, was der Beamte darauf antworten kann, ist „Sie sind doch verrückt“(Z. 92). Was jedoch kein Zeichen dafür ist, dass er ihn wirklich für verrückt hält, sondern soll die Unsicherheit vertuschen und wahrscheinlich auch den Schreck darüber, dass der junge Mann ihn mit seinen eigenen Waffen geschlagen hat, nämlich das Leben der Menschen in Geldbeträgen zu sehen.

Der darauffolgende Wunsch des Soldaten, dass er kurz „[…]bevor das mit dem Bein kam, totgeschossen[…]“ (Z. 96) worden wäre, erschüttert den Leser zutiefst und es kristallisiert sich heraus, dass der Soldat sowohl seine Behinderung, als auch die Geschehnisse des Krieges noch nicht verarbeitet hat.

Er lehnt das Stellenangebot endgültig ab und verlässt das Amt (Z. 99). Der Leser kann die Gründe für diese Entscheidung nachvollziehen. Der Mann trifft diese Entscheidung nicht nur, weil ihm ein schlechter Job angeboten wird, den er körperlich kaum ausführen kann, sondern auch aufgrund seines Stolzes.

Heinrich Böll ist es gelungen, dass der Leser Sympathie für den jungen Mann, dem ein Bein fehlt, entwickelt. Böll hat für seine Kurzgeschichte eine typische Nachkriegsthematik gewählt und diese am Einzelschicksal verdeutlicht. Durch die Form des Ich-Erzählers hat er die Möglichkeit dem Leser auf eine sehr intensive Weise die Gefühle eines Kriegsinvaliden nahezubringen.

Auch der Texttyp wurde bewusst gewählt, denn so war es ihm möglich, einen unvermittelten Einstieg und ein abruptes Ende zu finden. In Deutschland wurden zumeist nach 1945 Kurzgeschichten geschrieben. Die Schriftsteller nutzten die Möglichkeit, in sehr knapper, konzentrierter Form eindringliche Lebensmomente zu gestalten.

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