Mann, Heinrich - Professor Unrat (Zeitbezüge im Roman)

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Heinrich Mann, Interpretation, Analyse, Referat, Hausaufgabe, Mann, Heinrich - Professor Unrat (Zeitbezüge im Roman)
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Referat

Zeitbezüge im Roman „Professor Unrat“ von Heinrich Mann

In seinem erfolgreichen Roman „Professor Unrat“ bringt Heinrich Mann immer wieder seine gesellschaftskritischen Überlegungen zum Ausdruck, indem er dem Leser einen anschaulichen Einblick hinter die Fassade des moralgetreuen Bürgertums und in die verschiedenen Machtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft gewährt.

Diese sozialhistorischen Stellungen der Schichten zueinander sollen exemplarisch an der Beziehung zwischen den beiden Romanfiguren Lohmann und Professor Unrat mittels erlebter Rede veranschaulicht werden.

Professor Raat, fälschlicherweise und zu seinem Ärgernis Unrat genannt, hat es erbarmungslos auf seine Schüler abgesehen. Daher macht er es sich zur Lebensaufgabe ihnen unsittliches Handeln nachzuweisen, um ihre Schullaufbahn maßgeblich zu erschweren. Hierbei hat er es insbesondere auf die drei Schüler Kieselack, von Ertzum und Lohmann abgesehen. Als er sie mal wieder beabsichtigt zu fassen, macht er Bekanntschaft mit der Barfußtänzerin Fröhlich, welcher er alsbald selbst verfällt. Seine Machtposition gerät ins Wanken und wird durch den unnahbaren Lohmann verstärkt auf die Probe gestellt.

So auch in der Szene, in welcher die beiden Charaktere in Rosa Fröhlichs Garderobe aufeinander treffen und es zur Auseinandersetzung kommt, da Lohmann sich Unrats Befehl, seine Zigarette wegzuwerfen, widersetzt, wie es auch folgender Romanausschnitt bestätigt:
„ ‚Werfen Sie die Zigarette weg!’, schrie er [Unrat] dumpf. Lohmann ließ eine Weile verstreichen. […] Als dies geschehen war: ‚Wie denn! Vorwärts nun also!’
‚Die Zigarette’, versetzte Lohmann, ‚gehört zur Situation. Die Situation ist ungewöhnlich – für uns beide, Herr Professor.’
Unrat, erschrocken über den Widerstand, mit unterirdischem Beben: ‚Die Zigarette wegwerfen, sage ich!’
‚Bedaure’, sagte Lohmann.
‚Sie sollten es wagen!...Bursche!...’

Lohmann machte nur noch eine vornehm ablehnende Bewegung mit seiner spitzen Hand.“ (S. 140, Z. 6-21).

Lohmann wusste ganz genau, wie er Professor Unrat „kriegen“ konnte. Er war sich den kleinen Kniffen und Tricks bewusst, welche seinen Lehrer ins Bangen versetzten. So auch jetzt. Die unterschwelligen Spannungen hatte er schon die ganze Zeit über wahrgenommen, nun spürte er jedoch regelrecht, wie der brodelnde Vulkan in Unrat auszubrechen drohte. Allerdings blickte er dem gelassen, fast schon mit freudigem Erwarten entgegen. Er konnte sich einen Wutausbruch von Unrat durchaus leisten, denn er glaubte sich in unerschütterlicher Sicherheit.

Gleichzeitig stieg ein unbeschreiblicher Nervenkitzel in ihm an, vergleichbar mit dem Gefühl, das sich jedes Mal auftat, wenn er zu Hause sein blasses, gelbliches Gesicht (S.18) hinter der kaum geöffneten Wohnzimmertür verbarg, um seine heimliche Liebe, Dora Breetpoot, mit verborgenen Blicken aufzuzehren, die sich nichtsahnend in Gesellschaft seiner Eltern und ihrem Mann vergnügte. Es waren jene kurze Momente, in denen sein zartes poetisches Herz heftig zu pochen begann, da es sich zwar geschützt fühlte hinter der fast geschlossenen Tür, gleichzeitig jedoch auch den riskanten Reiz der Enttarnung verspürte.

Ähnlich war es nun auch. Er vernahm Unrats tobende Wut, die in ihn innerlich kitzelte, aber andererseits wusste er, dass Unrat ihm nichts konnte, er steckte doch selbst viel zu tief drin. Er würde noch nicht einmal etwas Pinke-Pinke von seinem einflussreichen Vater benötigen, um sich vor möglichen unangenehmen Konsequenzen zu retten.

Denn Lohmann hatte im Gegensatz zu seinen zwei eher einfältigen Freunden, Unrats Fassade der Autorität schon lange durchschaut. Er bemitleidete den armseligen Professor sogar, wie hilflos er sich auf seine Autorität zu berufen versuchte, nicht nur im Unterricht mit machterhaltenden Maßnahmen wie dem Kabuffverweis, sondern selbst jetzt und hier in Rosas Garderobe. Aufgebracht und beinahe bedauernswert probierte Unrat ihn nun zum Gehorsam zu veranlassen, ihn vergeblich zu beugen. Der Lehrer sah sich als Herrscher, der seinen Untertanen Befehle erteilte; in Lohmanns Augen hatte er sich jedoch schon lange zum gestürzten Tyrannen degradiert, welcher hoffnungslos seine verpuffte Machtwolke wieder einfangen wollte. Gelassen stieß er den Zigarettenqualm aus, um sich Unrats Machtzerfall bildlich vor Augen zu führen.

Waren es vielleicht diese Erkenntnisse, die ihn dazu veranlassten, seinen Lehrer zu bedauern? Jenen Lehrer, der seine Machtposition spätesten durch die Hingabe zu Rosa Fröhlich verspielt hatte?

Aber nicht nur diese Fragen, auf die er im Grunde keine Antworten suchte, stellte er sich in diesen Sekunden, sondern vor allem wurde ihm nun klar, dass jedes Stückchen Macht, was Unrat einbüßte, ein bisschen mehr Machtgewinn für ihn selbst bedeutete; nicht weil er dank seiner Familiengeschichte eine sichere gesellschaftliche Position einnehmen konnte, sondern weil Unrat von der gesellschaftlichen Treppe zu fallen drohte und er ihn dafür nur zu schubsen brauchte.

Behaglich lehnte er sich in dieser Feststellung zurück und fühlte sich sowohl dadurch als auch durch Unrats wutentbranntes Beben, noch mehr zur Provokation bestärkt und ein herrschaftliches Gefühl der Sicherheit und Überlegenheit breitete sich in ihm aus.

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