Storm, Theodor - Die Stadt (Gedichtinterpretation)

Schlagwörter:
Theodor Storm, Analyse, Interpretation, Referat, Hausaufgabe, Storm, Theodor - Die Stadt (Gedichtinterpretation)
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Referat

„Die Stadt“ – Theodor Storm (1817 – 1888)

Die Stadt
von Theodor Storm

Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt;
Der Nebel drückt die Dächer schwer,
Und durch die Stille braust das Meer
Eintönig um die Stadt.
 
Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
Kein Vogel ohn’ Unterlaß;
Die Wandergans mit hartem Schrei
Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
10 
Am Strande weht das Gras.
 
11 
Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
12 
Du graue Stadt am Meer;
13 
Der Jugend Zauber für und für
14 
Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
15 
Du graue Stadt am Meer.

(„Die Stadt“ von Theodor Storm ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (23.9 KB) zur Unterstützung an.)

In dem vorliegenden Gedicht „Die Stadt“ von Theodor Storm, zeichnet das lyrische Ich ein Stimmungsbild seiner Heimatstadt.

Das Gedicht besteht aus drei Strophen mit jeweils 5 Versen. Das Metrum ist der Jambus. Alle Verse haben eine männliche Kadenz. Das steigende Metrum und die betonten Versenden entsprechen der dritten Strophe, in der das lyrische Ich die Stadt nach den ersten eher negativen Eindrücken in Strophe 1 und 2 preist. Das Reimschema ist der Kreuzreim, abab, wobei das zweite ‘a’ jeweils doppelt auftritt. Gleichzeitig wird der a-Reim der ersten Strophen in der 3. Strophe als b-Reim wiederholt, womit rein äußerlich ein Rahmen geschaffen wird.

In der ersten Strophe entwirft das lyrische Ich zunächst ein recht düsteres, tristes Bild einer Stadt, die es als bekannt voraussetzt – es wird der bestimmte Artikel verwendet: „die Stadt“ (Vers 2) -, aber nicht näher benennt. Die düstere Stimmung wird vor allem durch das Adjektiv „grau“, das im ersten Vers gleich zweimal verwendet wird, und die Adverbien „schwer“ (Vers 3) und „eintönig“ (Vers 5) hervorgerufen. Zu dieser Stimmung passt auch die Lage der Stadt: „seitab“, d.h. fern von allem anderen, und der Nebel, der schwer auf die Dächer drückt. Die Wiederholung in Vers 1: „Am grauen […], am grauen […]“, die schmucklose nur durch „und“ verbundene Aufzählung in Vers 1/2 und 3/4 sowie das Enjambement in Vers 4/5 und die hervorhebende Initialstellung des Adverbs „eintönig“ am Anfang des Verses 5 verstärken noch diesen Eindruck einer andauernden Eintönigkeit.

Die Natur als negativ handelndes Element – grauer Nebel, der schwer drückt, und Meer, das eintönig braust – wird in der zweiten Strophe weiter verfolgt. Hier fällt v.a. die zweimalige Negation – „kein“ in Vers 6 und 7 – auf. Diese Negation wird durch das Enjambement und die Initialstellung des zweiten „Kein“ noch verstärkt. Alles, was man vielleicht erwartet und was dieses triste Bild beleben könnte, was Leben ausdrückt wie rauschender Wald oder singende, zwitschernde Vögel, fehlt. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch „die Wandergans“ (Vers 8), die „mit hartem Schrei nur“ (Vers 8f) vorbeifliegt. Zunächst wird hier die ununterbrochene Einsamkeit hervorgehoben, vom Mai in Vers 6 bis zur Herbstnacht in Vers 9, d.h. im Frühling und Sommer und damit in den Jahreszeiten, in denen normalerweise das Leben blüht und gedeiht, bieten die Stadt und die Natur kein anderes Bild als im Herbst oder Winter – grauer Strand, graues Meer, Nebel. Zugleich wird durch die Wandergans deutlich, dass hier kein Lebewesen auf Dauer seine Heimat findet. Nur die Wandergans, deren „harter Schrei“ (Vers 8) wieder in dieses negative, unnatürliche Bild passt, fliegt vorbei. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch lyrische Elemente, die hier verneint eingebaut werden, so z.B. das Rauschen des Waldes (Vers 6), das Schlagen der Vögel im Mai (Vers 6f), mit dem hier traditionelle Elemente angesprochen werden.

Nach dieser negativen Einstimmung überrascht das lyrische Ich in der dritten Strophen durch dieses an den Vers- und Strophenanfang gesetzte „Doch“ in Vers 11. Zwar wird die erste Strophe und damit der erste Eindruck durch die Komprimierung der Teile „grau, Meer und Stadt“ zu „graue Stadt am Meer“ wieder aufgenommen, aber bereits durch die persönliche Beziehung, die durch die zweimalige Anrede „Du“ und das dreimal verwendete Personalpronomen „dir“ (Vers 12, 15 und Vers 11, 14) erzeugt wird, wird eine andere Stimmung geschaffen. Die Stadt wird hier personifiziert, sie wird persönlich angesprochen. Und in dieser Strophe taucht auch das einzig positiv belegte Adjektiv – „lächelnd“ (Vers 14) – auf. Die Einstellung des lyrischen Ichs zu dieser Stadt wird darüber hinaus in Vers 11 – „hängt mein ganzes Herz an dir“ – deutlich. Das Herz, das an etwas hängt, steht als Symbol für Verbundenheit, noch verstärkt durch das Adjektiv „ganz“. In Vers 13 gibt das lyrische Ich mit dem „Zauber der Jugend“ eine Begründung für sein Verhältnis zu dieser auf den ersten Blick „grauen“ und „eintönigen“ Stadt. Hier hat es offensichtlich eine schöne Jugend verbracht, die es fast übernatürlich anmutet, vgl. das Motiv „Zauber“ (Vers 13). Die in Strophe 1 und 2 festgestellten Verdoppelungen lassen sich auch in dieser Strophe finden, nur dass sie hier fast liedartigen Charakter haben: „für und für“ (Vers 13) und „auf dir, auf dir“ (Vers 14). In der Dopplung „für und für“, d.h. immer, zu jeder Zeit, wird zudem die Zeit wie in der 2. Strophe wieder aufgenommen, nur diesmal positiv. Während sich in Strophe 2 an dieser unnatürlichen Stille das ganze Jahr über nichts ändert, so bleibt der „Zauber“ bis heute bestehen.

Interessant ist, dass im ganzen Gedicht nicht von den Menschen dieser Stadt, von Gebäuden, Straßen oder Plätzen die Rede ist. Es fehlt eigentlich alles, was man zunächst bei dem Titel „Die Stadt“ erwartet. Für das lyrische Ich zählt offensichtlich nur die Natur, die trotz allem Negativen in Strophe 1 und 2 doch eine positive Stimmung oder Erinnerung in ihm erzeugt, wobei das Positive nur mit „der Jugend Zauber“ (Vers 13) und nicht mit individuellen Erlebnissen begründet wird. Damit bietet es dem Leser die Möglichkeit, eine solche Erfahrung unabhängig von seinen eigenen, individuellen Erfahrungen nachzuvollziehen.

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