Andersch, Alfred: Sansibar oder der letzte Grund

Schlagwörter:
Alfred Andersch, Interpretation, Inhaltsangabe, Referat, Hausaufgabe, Andersch, Alfred: Sansibar oder der letzte Grund
Themengleiche Dokumente anzeigen

Referat

Christoph Jamy-Stowasser

Sansibar oder der letzte Grund

Autor: Alfred Andersch

Hauptpersonen:

  • der Junge
  • Judith
  • Knudsen (Fischer)
  • Helander (Pfarrer)
  • Gregor (Kurier)

Inhaltsangabe:

Die Geschichte beginnt damit, dass an einem Herbsttag des Jahres 1937 Gregor, ein Kurier des Zentralkomitees der verbotenen Partei, in das Hafenstädtchen Rerik an der Ostsee kommt. (Dazu gleich einmal eine Erklärung, und zwar bezeichnet Andersch die zwei Parteien, die in diesem Werk vorkommen, als die Verbotenen und die Anderen, er meint damit aber sicher die Kommunisten bzw. die Nationalsozialisten.)

Sein Auftrag lautet, dem einzigen noch aktiven Mitglied der Partei, dem Fischer Knudsen, das neue Fünfergruppensystem der Partei zu überbringen. Dieses geheime Treffen findet in der Kirche von Rerik statt. Deren Pfarrer Helander versucht gleichzeitig, Knudsen dazu zu überreden, dass er eine Holzplastik, den „lesenden Klosterschüler“ von Ernst Barlach, zu einem befreundeten Pfarrer nach Schweden transportiert, da diese Holzplastik „entartete Kunst“ sei und so von den Anderen beschlagnahmt werden würde. Zur gleichen Zeit versucht auch noch Judith, ein jüdisches Mädchen aus Hamburg, von Rerik aus ins Ausland zu fliehen.

Und als fünfte Person kommt nun noch der vaterlose Schiffsjunge von Knudsen dazu, der, von Fernweh und Abenteuerlust getrieben, nach einer Möglichkeit sucht, aus dem langweiligen Rerik zu entkommen.

Schließlich kreuzen sich die Handlungsfäden bis sie in eine einzige gemeinsame Aktion münden: Und zwar bringt Gregor Knudsen dazu, Judith und den „lesenden Klosterschüler“ nach Schweden zu „schmuggeln“, er selbst bleibt aber allein zurück, da er vorgibt, auf anderem Wege fliegen zu wollen.

Lesestelle Seite 206 bis 209 und zwar ist das jetzt der Pfarrer.

Charakteristik des Jungen:

In diesem Roman nimmt der Junge eine spezielle Rolle ein, denn alle Kapital des Jungen sind in kursiver Schrift gedruckt und Andersch beginnt und beendet sein Werk mit einem Kapitel des Jungen.

Der Junge ist fünfzehn Jahre alt und arbeitet als Schiffsjunge bei dem Fischer Knudsen. Er lebt bei seiner Mutter, von der er sich aber überhaupt nicht verstanden fühlt und leidet sehr darunter, ohne Vater aufgewachsen zu sein. Dieser galt in Rerik als Säufer, der mit seinem Boot kenterte und in der Ostsee ertrank, als der Junge fünf Jahre alt war. In seiner Freizeit liest er Abenteuerromane wie Huckleberry Finn oder Karl May, mit denen er sich identifizieren kann. Er träumt davon, als Matrose auf einem Frachter über die Meere zu segeln. Da seine Mutter dies verhindert, weil sie nicht möchte, dass ihm dasselbe Schicksal wie seinem Vater widerfährt, möchte er weg aus Rerik. Seine Fluchtgedanken begründet er mit den drei Argumenten,

  1. dass in Rerik nichts los sei,
  2. dass Rerik seinen Vater getötet habe und
  3. dass es hinter der offenen See Sansibar gebe.

Während des Romans macht der Junge einen Reifeprozess durch, und zwar entwickelt er sich vom naiven, träumerischen Kind zu einem Jugendlichen, der lernen muss, Verantwortung zu übernehmen. Weiters stellt er fest, dass er seine Situation nicht mit jener aus den Abenteuerromanen vergleichen kann.

Durch diese Nacht- und Nebelaktion mit der Fahrt nach Schweden sieht er, dass in Rerik doch etwas los ist und er entdeckt auch einen „Hauch“ von Sansibar, indem er die offene See zum ersten Mal überquert. Dadurch verlieren die drei Argumente ihre Wirksamkeit und er gibt die Gedanken an ein alleiniges Absetzen in die Schwedischen Wälder auf und kehrt mit Knudsen wieder nach Rerik zurück.

Charakteristik von Knudsen:

Knudsen ist ein Dorschfischer, der zusammen mit seiner geisteskranken Frau Bertha in Rerik lebt. Er ist das letzte Mitglied der verbotenen Partei und von ihr schwer enttäuscht, da sie nichts gegen die Anderen unternahm.

Vom ersten Augenblick missfällt ihm der Parteifunktionär Gregor, da er sofort merkt, dass jener desertieren will. Sein Hass auf Gregor vergrößert sich, als er von ihm gezwungen wird, den „lesenden Klosterschüler“ zu retten. Knudsen sieht eben diese Aktion als seine letzte für die Partei an. Er fühlt sich auch von Gregor getäuscht, als ihn dieser im letzten Moment auch noch mit Judith konfrontiert, doch nach einer tätlichen Auseinandersetzung mit Gregor, in der er ihm unterliegt, erklärt er sich dazu bereit, auch sie mitzunehmen. Schlussendlich bietet er sogar Gregor eine Mitfahrgelegenheit an, die dieser aber ablehnen muss, da er Knudsen gegenüber keine Schwäche zeigen will.

Charakteristik von Helander:

Helander ist ein evangelischer Pfarrer in Rerik und er spielt sicherlich die schicksalhafteste Figur in diesem Roman. Im Ersten Weltkrieg wurde ihm nach einer Verletzung ein Bein amputiert und da in letzter Zeit seine Schmerzen immer stärker werden, weiß er, dass er nicht mehr allzu lange zu leben hat.

Weiters befindet er sich in einem Glaubenskonflikt: Er fühlt sich vor allem von Gott allein gelassen und auch innerhalb der Kirche ist er isoliert, da sich seine Amtsbrüder längst mit den Machthabern der Anderen arrangiert haben. Er betet gegen die Lehre und wartet die ganze Zeit auf ein Zeichen Gottes, das für ihn ein Hinweis auf das gottesunwürdige Handeln der Anderen wäre. Da dieses Zeichen nicht erscheint, zürnt er Gott und wirft ihm vor, ein Spieler zu sein, der das Reich den Anderen überlässt.

Helanders besondere Sorge gilt dem „lesenden Klosterschüler“, den er nicht als Kunstwerk, sondern als größtes Heiligtum der Kirche betrachtet. Der „lesende Klosterschüler“ ist für ihn ein Symbol der geistigen Freiheit und er entdeckt in ihm auch Eigenschaften wie beispielsweise Kritikfähigkeit und Individualität. Deshalb hat für ihn seine Rettung oberste Priorität.

Kurz bevor er von den Anderen getötet wird, sieht er endlich Gottes Zeichen und in diesem Augenblick erlebt er den Zustand der absoluten Freiheit.

Charakteristik von Gregor:

Gregor wird an der Moskauer Lenin-Akademie (in dialektischem Materialismus) ausgebildet und muss bei den stalinistischen Säuberungen mit ansehen, wie seine deutsche Freundin verhaftet und dann wahrscheinlich getötet wird. Dadurch bekommt er Zweifel an den starren Ideologien und möchte sich nach diesem Auftrag ins Ausland absetzen.

Als er den „lesenden Klosterschüler“ das erste Mal zu Gesicht bekommt, bemerkt er dessen kritische Haltung, die seinen Ablösungsprozess von der Partei beschleunigt. In ihm sieht er einen, der ohne Auftrag lebt. Einen, der lesen kann und aufstehen und fortgehen kann. Nun kann er, innerlich frei, zu neuen Taten schreiten.

Interpretation:

In Andersch’ Roman ist die Freiheit das zentrale Motiv zur Flucht. Ein Bild für diese Freiheit ist „Sansibar“. Jede Person in diesem Roman symbolisiert eine bestimmte Gruppe von Menschen, die von den Anderen, also den Nazis, verfolgt oder mehr und mehr in ihrem Handeln eingeschränkt wurde: Judith steht symbolisch für die Juden, Knudsens Frau für die vom Euthanasieprogramm Betroffenen, Helander für die Gegner der opportunistischen Kirche, Gregor für die illegalen, kommunistischen Widerstandskämpfer und Barlachs Statue für unerwünschte Künstler.

Jetzt zum „lesenden Klosterschüler“: Er steht auf der Liste von Kunstwerken, die in der öffentlichkeit nicht mehr gezeigt werden dürfen – er gehört zur entarteten Kunst. Alfred Andersch stellt die Skulptur als Verkörperung der individuellen, der kritischen und der geistigen Freiheit dar. Die kritische Lesehaltung des Schülers fordert die Romanfiguren zum Handeln auf. Jede Person dieses Romans sieht in dem Schüler etwas Anderes:

Judith erkennt in der Holzfigur einen, der liest was er will. Und deswegen muss er jetzt auch wohin, wo er lesen kann was er will.

Knudsen meint, er sei ein seltsames Wesen aus Holz in der Dunkelheit.

Gregors Aussage über die Figur ist, dass er ganz anders sei. Er sehe aus wie einer, der jederzeit das Buch zuklappen und aufstehen könne, um etwas ganz anderes zu tun.

Zur Erklärung: Der Bildhauer Ernst Barlach schuf im Jahr 1930 diese Holzplastik. Die 55 cm hohe Figur steht heute in Güstrow. In der nationalsozialistischen Zeit wurde er in seiner Arbeit eingeschränkt und behindert und seine Skulpturen wurden aus Kirchen und Museen entfernt.

Schlussendlich findet jede Person ihre Freiheit: Judith real, die anderen innerlich. Ihre Flucht wird möglich, da sich alle Charaktere aus freiem Willen für einen anderen einsetzen. Weiters will Andersch die Erinnerungen an die Tyrannei im Nazi-Deutschland wach halten. Er meint: „Es ist eine Warnung an alle, die es angeht.“ Und er protestiert mit dem Werk gegen die Mächtigen, welche den Einzelnen mehr und mehr einschränken – z.B. Entscheidungsfreiheit, Meinungsfreiheit.

+: Die Interpretation erfasst die Botschaft des Werkes. Inhaltsangabe und Charakterdarstellung sind in Ordnung.
-: Einige Worte über den Autor hätten nicht geschadet.

Zurück