Das Gebet von Christian Fürchtegott Gellert

Dein Heil, o Christ, nicht zu verscherzen,
Sei wach und nüchtern zum Gebet!
Ein Flehn aus reinem guten Herzen
Hat Gott, dein Vater, nie verschmäht.
Erschein vor seinem Angesichte
Mit Dank, mit Demut, oft und gern,
Und prüfe dich in seinem Lichte,
Und klage deine Not dem Herrn.
 
Welch Glück, so hoch geehrt zu werden
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Und im Gebet vor Gott zu stehn!
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Der Herr des Himmels und der Erden,
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Bedarf der eines Menschen Flehn?
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Sagt Gott nicht: Bittet, daß ihr nehmet?
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Ist des Gebetes Frucht nicht dein?
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Wer sich der Pflicht zu beten schämet,
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Der schämt sich, Gottes Freund zu sein.
 
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Sein Glück von seinem Gott begehren,
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Ist dies denn eine schwere Pflicht?
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Und seine Wünsche Gott erklären,
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Erhebt dies unsre Seele nicht?
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Sich in der Furcht des Höchsten stärken,
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In dem Vertraun, daß Gott uns liebt,
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Im Fleiß zu allen guten Werken,
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Ist diese Pflicht für dich betrübt?
 
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Bet oft in Einfalt deiner Seelen;
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Gott sieht aufs Herz, Gott ist ein Geist.
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Wie können dir die Worte fehlen,
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Wofern dein Herz dich beten heißt?
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Nicht Töne sind's, die Gott gefallen,
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Nicht Worte, die die Kunst gebeut.
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Gott ist kein Mensch. Ein gläubig Lallen,
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Das ist vor ihm Beredsamkeit.
 
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Wer das, was uns zum Frieden dienet,
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Im Glauben sucht, der ehret Gott.
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Wer das zu bitten sich erkühnet,
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Was er nicht wünscht, entehret Gott.
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Wer täglich Gott die Treue schwöret,
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Und dann vergißt, was er beschwur;
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Und klagt, daß Gott ihn nicht erhöret,
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Der spottet seines Schöpfers nur.
 
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Bet oft zu Gott, und schmeck in Freuden,
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Wie freundlich er, dein Vater, ist.
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Bet oft zu Gott, und fühl in Leiden,
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Wie göttlich er das Leid versüßt.
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Bet oft, wenn dich Versuchung quälet;
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Gott hört's, Gott ist's, der Hülfe schafft.
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Bet oft, wenn innrer Trost dir fehlet;
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Er gibt den Müden Stärk und Kraft.
 
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Bet oft, und heiter im Gemüte
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Schau dich an seinen Wundern satt.
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Schau auf den Ernst, schau auf die Güte,
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Mit der er dich geleitet hat.
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Hier irrtest du in deiner Jugend,
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Im Alter dort. Er trug Geduld,
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Rief dich durch Glück und Kreuz zur Tugend;
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Erkenn und fühle seine Huld.
 
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Bet oft, und schau mit selgen Blicken
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Hin in des Ewigen Gezelt,
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Und schmeck im gläubigen Entzücken
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Die Kräfte der zukünftgen Welt.
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Ein Glück von Millionen Jahren,
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Welch Glück! Doch ist's von jenem Glück,
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Das dem der Herr wird offenbaren,
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Der ihm hier dient, kein Augenblick.
 
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Bet oft; durchschau mit heilgem Mute
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Die herzliche Barmherzigkeit
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Des, der mit seinem teuren Blute
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Die Welt, der Sünder Welt befreit.
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Nie wirst du dieses Werk ergründen;
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Nein, es ist eines Gottes Tat.
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Erfreu dich ihrer, rein von Sünden,
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Und ehr im Glauben Gottes Rat.
 
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Bet oft; entdeck am stillen Orte
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Gott ohne Zagen deinen Schmerz.
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Er schließt vom Herzen auf die Worte,
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Nicht von den Worten auf das Herz.
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Nicht dein gebognes Knie, nicht Tränen,
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Nicht Worte, Seufzer, Psalm und Ton,
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Nicht dein Gelübd rührt Gott; dein Sehnen,
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Dein Glaub an ihn und seinen Sohn.
 
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Bet oft; Gott wohnt an jeder Stätte,
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In keiner minder oder mehr.
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Denk nicht: Wenn ich mit vielen bete:
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So find ich eh bei Gott Gehör.
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Gott ist kein Mensch. Ist dein Begehren
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Gerecht und gut: so hört er's gern.
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Ist's nicht gerecht: so gelten Zähren
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Der ganzen Welt nichts vor dem Herrn.
 
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Doch säume nicht, in den Gemeinen
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Auch öffentlich Gott anzuflehn,
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Und seinen Namen mit den Seinen,
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Mit seinen Brüdern, zu erhöhn;
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Dein Herz voll Andacht zu entdecken,
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Wie es dein Mitchrist dir entdeckt,
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Und ihn zur Inbrunst zu erwecken,
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Wie er zur Inbrunst dich erweckt.
 
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Bist du ein Herr, dem andre dienen:
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So sei ihr Beispiel, sei es stets,
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Und feire täglich gern mit ihnen
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Die selge Stunde des Gebets.
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Nie schäme dich des Heils der Seelen,
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Die Gottes Hand dir anvertraut.
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Kein Knecht des Hauses müsse fehlen;
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Er ist ein Christ, und werd erbaut!
 
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Bet oft zu Gott für deine Brüder,
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Für alle Menschen, als ihr Freund;
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Denn wir sind eines Leibes Glieder;
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Ein Glied davon ist auch dein Feind.
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Bet oft; so wirst du Glauben halten,
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Dich prüfen, und das Böse scheun,
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An Lieb und Eifer nicht erkalten,
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Und gern zum Guten weise sein.

Details zum Gedicht „Das Gebet“

Anzahl Strophen
14
Anzahl Verse
112
Anzahl Wörter
695
Entstehungsjahr
1715 - 1769
Epoche
Aufklärung

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Das Gebet“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Christian Fürchtegott Gellert. Gellert wurde im Jahr 1715 in Hainichen geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1731 und 1769. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Aufklärung zuordnen. Bei Gellert handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 695 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 112 Versen mit insgesamt 14 Strophen. Der Dichter Christian Fürchtegott Gellert ist auch der Autor für Gedichte wie „Das Glück und die Liebe“, „Die beiden Wandrer“ und „Die Lerche“. Zum Autor des Gedichtes „Das Gebet“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 164 Gedichte vor.

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