Damötas und Phyllis von Christian Fürchtegott Gellert

Damötas war schon lange Zeit
Der jungen Phyllis nachgegangen;
Noch konnte seine Zärtlichkeit
Nicht einen Kuß von ihr erlangen.
Er bat, er gab sich alle Müh';
Doch seine Spröde hört' ihn nie.
 
Er sprach: »Zwei Bänder geb' ich dir.
Auch soll kein Warten mich verdrießen;
versprich nur, schöne Phyllis, mir,
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Mich diesen Sommer noch zu küssen.«
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Sie sieht sie an, er hofft sein Glück;
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Sie lobt sie, und gibt sie zurück.
 
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Er bot ein Lamm, noch zwei darauf,
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Dann zehn, dann alle seine Herden.
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So viel? Dies ist ein teurer Kauf.
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Nun wird sie doch gewonnen werden?
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Doch nichts nahm unsre Phyllis ein;
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Mit finstrer Stirne sprach sie: »Nein!«
 
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»Wie?« rief Damötas ganz erhitzt,
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»So willst du ewig widerstreben!
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Gut, ich verbiete dir anitzt,
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Mir jemals einen Kuß zu geben.«
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»O!« rief sie, »fürchte nichts von mir,
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Ich bin dir ewig gut dafür.«
 
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Die Spröde lacht; der Schäfer geht,
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Schleicht ungeküßt zu seinen Schafen.
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Am andern Morgen war Damöt
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Bei seinen Herden eingeschlafen;
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Er schlief, und im Vorübergehn
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Blieb Phyllis bei dem Schäfer stehn.
 
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»Wie rot«, spricht Phyllis, »ist sein Mund!
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Bald dürft' ich mich zu was entschließen.
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O! thäte nicht sein böser Hund,
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Ich müßte diesen Schäfer küssen.«
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Sie geht; doch da sie gehen will,
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So steht sie vor Verlangen still.
 
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Sie sieht sich dreimal schüchtern um
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Und sucht die Zeugen, die sie scheute;
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Sie macht den Hund mit Streicheln stumm
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Und lockt ihn freundlich auf die Seite;
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Sie sinnt, bis daß sie ganz verzagt
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Sich noch zween Schritte näher wagt.
 
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Hier steht nunmehr das gute Kind;
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Allein sie kann sich nicht entschließen.
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Doch nein, itzt bückt sie sich geschwind
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Und wagt's, Damöten sanft zu küssen.
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Sie gibt ihm drauf noch einen Blick
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Und kehrt nach ihrer Flur zurück.
 
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Wie süße muß ein Kuß nicht sein!
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Denn Phyllis kömmt noch einmal wieder,
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Scheint minder sich als erst zu scheun
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Und läßt sich bei dem Schäfer nieder;
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Sie küßt und nimmt sich nicht in acht;
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Sie küßt ihn, und Damöt erwacht.
 
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»O!« fing Damöt halb schlafend an,
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»Mißgönnst du mir die sanfte Stunde?«
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»Dir«, sprach sie, »hab' ich nichts getan,
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Ich spielte nur mit deinem Hunde;
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Und überhaupt, es steht nicht fein,
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Ein Schäfer und stets schläfrig sein.
 
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Jedoch, was giebst du mir, Damöt?
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So sollst du mich zum Scherze küssen.«
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»Nun«, sprach der Schäfer, »ist's zu spät,
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Du wirst an mich bezahlen müssen.«
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Drauf gab die gute Schäferin
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Um Einen Kuß zehn Küsse hin.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.4 KB)

Details zum Gedicht „Damötas und Phyllis“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
66
Anzahl Wörter
405
Entstehungsjahr
1715 - 1769
Epoche
Aufklärung

Gedicht-Analyse

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Damötas und Phyllis“ des Autors Christian Fürchtegott Gellert. Im Jahr 1715 wurde Gellert in Hainichen geboren. Zwischen den Jahren 1731 und 1769 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Aufklärung zuordnen. Der Schriftsteller Gellert ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 66 Versen mit insgesamt 11 Strophen und umfasst dabei 405 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Christian Fürchtegott Gellert sind „Krispin und Krispine“, „Das Testament“ und „Der reiche Geizhals“. Zum Autor des Gedichtes „Damötas und Phyllis“ haben wir auf abi-pur.de weitere 164 Gedichte veröffentlicht.

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