Der junge Drescher von Christian Fürchtegott Gellert

1	Dem Drescher, der im weichen Gras
2	Vor seinem Topf mit Milch und schwarzem Brote saß,
3	Dem wollte seine Milch nicht schmecken.
4	Er fing verdrießlich an, sich in das Gras zu strecken,
5	Dacht' ängstlich seinem Schicksal nach
6	Und dehnte sich dreimal und sprach:
7	»Du bist ein schlechter Kerl, du hast kein eignes Dach
8	Und mußt dich Tag vor Tag mit deinem Flegel plagen!
9	Du tätst ja gern mit deinem Schatze schön;
10	Allein, du Narr, mußt in der Scheune stehn
11	Und kannst nach langen vierzehn Tagen
12	Kaum einmal in die Schenke gehn
13	Und einen Krug mit Bier und deine Mieke sehn.
14	Du bist noch jung und kannst hübsch lesen und hübsch schreiben
15	Und wolltest stets ein Drescher bleiben?
16	Des Schulzens Tochter ist dir gut,
17	Ist reich und kann sich hübsch gebärden:
18	So nimm sie doch. Du kannst, mein Blut!
19	Wohl mit der Zeit noch Schulze werden:
20	Alsdann ißt du dein Stücke Fleisch in Ruh'
21	Und trinkst dein gutes Bier dazu
22	Und hast gleich nach dem Pfarr die Ehre
23	O! wenn ich doch schon Schulze wäre!«
24	Indem Hans noch so sprach, kam seine Schöne her.
25	Sie tat, als käme sie nur so von ungefähr;
26	Allein sie kam mit Fleiß, weil sie ihn sprechen wollte
27	Und er verwegen sein und sie recht herzen sollte;
28	Denn Mädchen, wenn sie gleich das Dorf erzogen hat,
29	Sind wie die Mädchen in der Stadt.
30	Hans zieht die Schöne sanft zu sich ins Grüne nieder,
31	Lobt ihren neuen Latz, schielt, öfters auf ihr Mieder,
32	Fast wie ein junger Herr; nur mit dem Unterscheid,
33	Er hatte mehr Schamhaftigkeit.
34	Kurz, er fing an, sie recht verliebt zu küssen,
35	Bat um ihr Herz und trug ihr Herz davon
36	Und ward, wie viele noch auf diesem Dorfe wissen,
37	Des reichen Schulzen Schwiegersohn.
38	Kaum hatt' er sie: so ward der Alte schon
39	Durch schnellen Tod der Welt und seinem Dorf entrissen.
40	Wen wird man nun Herr Schulze grüßen?
41	Wen anders als den Schwiegersohn?
42	Er eilt ins Amt, kömmt bald und freudig wieder
43	Und wirft sich auf die Bank als Schulz' im Dorfe nieder.
44	So wie ein durch den Fleiß vollendeter Student
45	Nach einem glücklichen Examen
46	Sich selbst vor trunkner Lust nicht kennt,
47	Wenn ihn die Magd in seiner Schöne Namen
48	Nach einem tiefen Kompliment
49	Das erste Mal Herr Doktor nennt:
50	So wußt' auch Hans vor großer Freude
51	Nicht, wo er Händ' und Füße ließ,
52	Als ihn Schulmeisters Adelheide
53	Das erste Mal Herr Schulze hieß.
54	Wie glücklich pries er sich in seiner Ehrenstelle!
55	Er aß sein Fleisch und that den Gästen oft Bescheid.
56	Allein es kamen mit der Zeit
57	Auch viel unangenehme Fälle:
58	Denn welches Amt ist wohl davon befreit?
59	Nach einer nicht gar langen Zeit
60	Warf sich Herr Hans verdrießlich auf die Stelle,
61	Auf der er sich sein Glück erfreit
62	Und oft gewünscht: Wenn ich doch Schulze wäre!
63	»Ich«, fing er zu sich selber an,
64	»Ich habe Haus und Hof und Ehre
65	Und bin mit alledem doch ein geplagter Mann.
66	Bald soll ich von der Bauern Leben
67	Im Amte Red' und Antwort geben;
68	Da fährt mich denn der Amtmann an
69	Und heißt mich einen dummen Mann.
70	Bald quälen mich die teuflischen Soldaten
71	Und fluchen mir die Ohren voll.
72	Bald weiß ich mir bei den Mandaten,
73	Bald in Quatembern nicht zu raten,
74	Die ich dem Landknecht schaffen soll.
75	Die Bauern brummen, wenn ich strafe;
76	Und straf' ich nicht, so lachen sie mich aus.
77	Sonst störte mich kein Mensch im Schlafe,
78	Itzt pocht mich jeder Narr heraus,
79	Und wenn es niemand thut, so hunzt die Frau mich aus.
80	O wäre mir's nur keine Schande!
81	Ich griffe nach dem ersten Stande
82	Und stürb' als Drescher auf dem Lande.«
83	Wer weiß, ob mancher Große nicht
84	Im Herzen wie der Schulze spricht?
85	Wer weiß, wie viele sonst zu Fuße ruhig waren,
86	Die itzund mißvergnügt in stolzen Kutschen fahren?
87	Wer weiß, ob manches Herz nicht viel zufriedner schlug,
88	Eh' es der Fürsten Gunst an einem Bande trug?
89	O lernt, ihr unzufriednen Kleinen,
90	Daß ihr die Ruh' nicht durch den Stand gewinnt!
91	Lernt doch, daß die am mindsten glücklich sind,
92	Die euch am meisten glücklich scheinen!

Details zum Gedicht „Der junge Drescher“

Gedicht-Analyse

Christian Fürchtegott Gellert ist der Autor des Gedichtes „Der junge Drescher“. Im Jahr 1715 wurde Gellert in Hainichen geboren. Im Zeitraum zwischen 1731 und 1769 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Aufklärung zu. Gellert ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 675 Wörter. Es baut sich aus 7 Strophen auf und besteht aus 92 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Christian Fürchtegott Gellert sind „Das Kind mit der Schere“, „Der junge Krebs und die Seemuschel“ und „Das Glück und die Liebe“. Zum Autor des Gedichtes „Der junge Drescher“ haben wir auf abi-pur.de weitere 164 Gedichte veröffentlicht.

Weitere Gedichte des Autors Christian Fürchtegott Gellert (Infos zum Autor)

• Der Selbstmord
• Nicht jede Besserung ist Tugend
• Der Jüngling und der Greis
• Krispin und Krispine
• Das Testament
• Der reiche Geizhals
• Der Leichtsinn
• Das Kind mit der Schere
• Der junge Krebs und die Seemuschel
• Das Glück und die Liebe

Zum Autor Christian Fürchtegott Gellert sind auf abi-pur.de 164 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.