Philippine Welserin von Karoline Pichler

?Horch, die Thurmuhr hat geschlagen
Und er naht den Augenblick!
Darf ich hier zu bleiben wagen?
Zieh' ich furchtsam mich zurück?
Tiefer noch den Pfeil zu drücken
In die schwer verletzte Brust,
Sollt' ich flieh'n aus seinen Blicken,
Flieh'n, als wär' ich schuldbewußt?
 
?Und was hab' ich denn begangen?
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Jugend, Schönheit, Edelsinn
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Zieh'n in schüchternem Verlangen
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Meine Seele zu ihm hin.
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Ach, er ist so mild, so freundlich,
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Ist so tapfer, ist so schön!
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War es möglich, kalt und feindlich
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Solchem Reiz zu widersteh'n?
 
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?Ja, ich weiß, ich darf nicht hoffen,
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Mich bethört kein eitler Wahn,
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Mein Geschick liegt vor mir offen,
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Eine dornenvolle Bahn.
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Tollkühn zu dem Kaisersohne
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Hob sich mein verweg'ner Blick;
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Und der Glanz der Fürstenkrone
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Schrecket strafend mich zurück.
 
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?Doch was ist dort für Bewegung?
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Wie das Volk zusammenströmt!
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Alles scheint in froher Regung ?
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Guter Gott! Er ist's! Er kömmt!
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Herrlich ragt er aus der Menge,
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Die er freundlich nickend grüßt,
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Aus dem fluthenden Gedränge,
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Das sein Berberroß umfließt!" ?
 
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Und schon hat er sie erspähet
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Hinter der Gardinen Flor:
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Zu dem Fenster, wo sie stehet,
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Fliegt sein heißer Blick empor;
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Denn die keinen Rang erkennet,
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Liebe zieht ihn zu ihr hin,
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Und der Sohn des Kaisers brennet
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Für die schöne Welserin.
 
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Täglich zieht er nun vorüber,
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Täglich wird die süße Qual,
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Seines Busens Schmerz ihm lieber,
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Täglich wächst der Hoffnung Strahl;
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Und schon wagt er zu gestehen,
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Was die Seel' ihm glühend füllt;
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Zitternd höret sie sein Flehen,
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Denn sie schreckt der Zukunft Bild.
 
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Und sie mahnt ihn seines Ranges,
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Seines Vaters, seiner Pflicht!
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Doch voll süßen Liebesdranges
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Achtet er ihr Warnen nicht;
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Weiß sie bald zu überzeugen,
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Daß sein Glück in ihr nur lebt,
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Ihren strengen Sinn zu beugen,
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Der ihm zagend widerstrebt.
 
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Kann sie wohl sein Glück zerstören,
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Ungerührt von seinem Fleh'n,
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Ihn von Leid und Gram verzehren,
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Diese Blicke welken seh'n?
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Zwischen Lieben, Zweifeln, Scheuen
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Reicht sie ihm besiegt die Hand,
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Und des Priesters Segen weihen
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Das geheimnißvolle Band.
 
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Philippine, Philippine!
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Rasch ist dieser Schritt gethan,
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Doch es naht die ernste Sühne,
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Es zerstiebt der schöne Wahn:
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Denn der Kaiser hat vernommen,
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Was ihr frevelnd hier gewagt,
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Und sein Zorn ist rasch entglommen,
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Hat euch schwer und streng verklagt.
 
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?Ja, ihr habt den Weg gefunden,
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Wo ihr meine Macht verhöhnt;
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Denn was Priesters Hand gebunden,
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Wird durch Menschen nicht getrennt.
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Doch dies sei euch laut verkündigt:
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Die mich tief gekränkt, die schwer
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Sich an meiner Huld versündigt,
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Seh'n mein Antlitz nimmermehr!"
 
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Wie ein Blitz aus heitern Lüften
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Trifft die Liebenden dies Wort,
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Ihre Freuden zu vergiften
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Tönt's in ihren Herzen fort;
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Mischt, ein düsteres Geleite,
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Sich in jeden frohen Reih'n,
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Läßt an Philippinens Seite
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Ferdinand nicht glücklich sein.
 
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Kummervoll sieht sie ihn trauern,
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Es zerreißt ihr liebendes Herz:
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?Nein, die Qual soll nicht mehr dauern,
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Nein, ich ende diesen Schmerz;
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Hab' ich, Theurer, Dich betrogen
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Um des Vatersegens Glück ?
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Was die Liebe Dir entzogen,
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Bringt die Liebe Dir zurück!"
 
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Im entschlossenen Gemüthe
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Reift ein Anschlag, klug und kühn.
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Wohl kennt sie des Kaisers Güte,
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Und zu dieser will sie fliehn;
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Unerkannt soll er sie sehen,
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Und wenn sie ihr Leid geklagt,
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Ihr die Milde zugestehen,
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Die er Keinem noch versagt.
 
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An den Ort, wo jetzt er thronet,
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Zieht sie hin, zum fernen Prag,
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Wo ihr nie ein Freund gewohnet,
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Wo sie Niemand kennen mag.
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Als bedrängte Fremde stehet
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Sie vor ihres Kaisers Blick,
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Die um Schutz und Hülf' ihn flehet,
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Von ihm hofft ihr Lebensglück.
 
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Und sein Blick ruht mit Vergnügen
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Auf der lieblichen Gestalt,
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Auf den engelsmilden Zügen
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Wo sich Zucht und Güte malt.
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Mit geheimer zarter Regung
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Fühlt er sich zu ihr geneigt,
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Hört mit inniger Bewegung,
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Welch ein Schmerz die Holde beugt.
 
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Freundlich läßt er sie erzählen,
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Wie ein Ritter sie geliebt,
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Wie das stille Glück der Seelen
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Jetzt des Vaters Härte trübt,
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Dessen Zorn ihr Bund entflammet,
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Der die Schnur zwar nie gekannt,
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Doch sie mit dem Sohn verdammet
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Und sie ewig von sich bannt.
 
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?Wahrlich! das soll nicht geschehen! ?
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Ruft der Kaiser ? Fasset Muth!
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Laßt euch vor dem Vater sehen,
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Glaubt mir, dann wird Alles gut!"
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??Ach, wie dürft ich dieses wagen?
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Mich verbannt sein strenger Spruch;
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In der Ferne muß ich tragen
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Meinen Schmerz und seinen Fluch"".
 
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?Nun, so will ich mit ihm sprechen,
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Nennt mir ihn, und seinen Sinn,
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Wär er noch so eisern, brechen,
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Traun! so wahr ich Kaiser bin!"
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??Wollt Ihr das? Ihr wollt verzeihen?
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? Ruft sie, stürzet vor ihn hin: ?
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O laßt euch dies Wort nicht reuen,
144 
Denn ich bin die Welserin!""
 
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Staunend tritt der Fürst zurücke ?
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Unmuth, Mitleid, Zweifel, Lust
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Kämpfen in dem Augenblicke
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Heftig in des Kaisers Brust.
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Soll er ? darf er sie verstoßen,
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Die sich zitternd an ihn schmiegt,
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Die in Thränenström' ergossen,
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Schluchzend ihm zu Füßen liegt?
 
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Muß er nicht des Wort's gedenken,
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Das den raschen Zorn ihm band?
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Kann er wohl dem Sohn verdenken,
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Was er selbst beinah' empfand?
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Nein! er kann nicht widerstreben,
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Enden muß er ihren Harm.
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?Komm! ? ruft er ? Dir sei vergeben!
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Komm in Deines Vaters Arm!
 
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?Ja, ihr habt mich überlistet,
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Schlau begegnet meinem Droh'n;
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Doch ich zürne nicht, ihr büßtet
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Eure Schuld durch Reue schon.
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Was gescheh'n ist, sei vergeben,
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Himmelslust liegt im Verzeih'n;
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Laßt das neue, schöne Leben
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Uns der Lieb' und Eintracht weih'n!"

Details zum Gedicht „Philippine Welserin“

Anzahl Strophen
21
Anzahl Verse
168
Anzahl Wörter
872
Entstehungsjahr
1769 - 1843
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Karoline Pichler ist die Autorin des Gedichtes „Philippine Welserin“. Pichler wurde im Jahr 1769 in Wien geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1785 und 1843. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her lässt sich das Gedicht den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das Gedicht besteht aus 168 Versen mit insgesamt 21 Strophen und umfasst dabei 872 Worte. Weitere Werke der Dichterin Karoline Pichler sind „Kaiser Maximilians Zweikampf“, „Die Geretteten“ und „Was weinst du, Pilger dieser Erden?“. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „Philippine Welserin“ keine weiteren Gedichte vor.

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