An einen Freund von Christiana Mariana von Ziegler

Ein gantz besondrer Trieb zwingt warlich mich zu dichten,
Und die Begierde stöhrt vor dißmahl meinen Geist,
Drum muß ich dir so gleich, mein werther Freund, berichten,
Daß mein Verlangen groß nach deinen Wohlstand heist.
Ich dencke Tag vor Tag, was muß Herr N- machen?
Sein Phöbus liegt vielleicht mit ihm zugleich auch kranck,
Ich höre nichts von ihm; bey so gestalten Sachen,
Weiß ich dem Musen-Gott wahrhafftig schlechten Danck.
O könt ich doch ein Kraut und ächtes Pflaster finden,
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Wenn ja dein Pegasus auf lahmen Füssen steht;
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Ich wolt ihn, glaub es mir, mit eigner Hand verbinden,
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Weil mir dergleichen Fall recht nah zu Hertzen geht.
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Sag, warum wilst du nicht die süssen Thone rühren,
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Ist denn dein Sayten-Spiel so gantz und gar verstimmt?
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Will deine Muse nicht den Helicon mehr zieren?
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Wann noch ein Fünckgen Gunst in deinen Hertzen glimmt,
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So hilff Apollens Ruhm noch fernerhin besingen,
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Du bist sein liebster Sohn, der ihm zur Seiten sitzt,
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Denn deiner Lieder Schall, die gantz besonders klingen,
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Erweisen, daß er dich vor allen andern schützt.
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O laß mich von der Gunst die Brosamen geniessen,
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Wenn euch Calliope der Musen Tafel deckt,
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Du wirst verhoffentlich nicht schon die Freundschafft schliessen,
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Durch deine Zuschrifft wird mein Geist recht aufgeweckt.
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Er liegt ein halbes Jahr und länger noch im Schlummer,
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Dein Schweigen macht, daß mir Hertz, Geist und Muth entfällt;
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Ich mache warlich mir darüber grossen Kummer,
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Und sinne hin und her, was dich zurücke hält.
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Ergreiffe deinen Kiel und laß mich balde wissen,
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Ob du mein Freund annoch wilst heissen und auch seyn,
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So will ich Hofnungs-voll hier meine Reime schliessen;
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Doch nein! es fällt mir noch was zu berichten ein.
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Herr N- der artge Mann, den ich nicht anders kannte,
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Als nur dem Rufe nach, nun aber von Person,
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Nach dessen Känntniß ich recht vor Verlangen brannte,
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Denn jeder rühmte mir ihn als Amphions Sohn,
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Der würde, hofft ich, mir von seiner Kunst was weisen;
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Allein mein Bitten ward mir leider! nicht gewährt
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Er war gleich in Begriff schon wieder wegzureisen,
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Doch hat er gegen mich sich endlich noch erklährt,
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Nach seiner Ankunfft mir etwas zu überschicken,
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Daß er aufs Clavicin mit eigner Hand gesetzt,
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Wanns Ouverturen sind und starck gesetzte Stücken
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So wird mein Ohr dadurch schon zum voraus ergötzt.
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Dergleichen Symphonie kan mich vergnüget machen,
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Ach rede doch mein Wort, so viel als möglich ist,
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Und lege was darzu von deinen eignen Sachen,
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Weil du mit ihm in Streit um Rang und Vorzug bist.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.9 KB)

Details zum Gedicht „An einen Freund“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
415
Entstehungsjahr
1695 - 1760
Epoche
Aufklärung

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „An einen Freund“ stammt aus der Feder der Autorin bzw. Lyrikerin Christiana Mariana von Ziegler. Ziegler wurde im Jahr 1695 in Leipzig geboren. Im Zeitraum zwischen 1711 und 1760 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten der Autorin lassen eine Zuordnung zur Epoche Aufklärung zu. Bei Ziegler handelt es sich um eine typische Vertreterin der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 415 Worte. Weitere Werke der Dichterin Christiana Mariana von Ziegler sind „Damons Antwort-Schreiben an die hochmüthige Marillis“, „Auf den sich klug dünckenden Nympsius“ und „Als er sich über die viele Arbeit beschwerte“. Zur Autorin des Gedichtes „An einen Freund“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 121 Gedichte vor.

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