Abendlied von Ernst Moritz Arndt
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Der Tag ist nun vergangen, |
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Und dunkel schläft die Welt, |
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Die hellen Sterne prangen |
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Am blauen Himmelszelt; |
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Nur in den grünen Zweigen |
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Singt noch die Nachtigall, |
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Im weiten, tiefen Schweigen |
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Der einz'ge Lebensschall. |
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Ich aber, Vater, stehe |
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In meiner Hüttentür |
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Und schau' hinauf zur Höhe |
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Und schau' hinauf zu dir; |
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Wie gerne möcht' ich klingen |
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Als helle Nachtigall, |
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Dir Preis und Dank zu bringen |
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Mit tiefem Schmerzenschall. |
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Ja, mit dem Schall der Schmerzen: |
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Denn geht die Nacht herauf, |
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So springt in meinem Herzen |
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Ein Quell der Tränen auf, |
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Der Tränen und der Klagen |
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Du, Vater, weißt es best, |
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Was singen nicht und sagen, |
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Was sich nicht sprechen läßt. |
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Du kennest meinen Kummer, |
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Der auf gen Himmel blickt, |
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Wann für den süßen Schlummer |
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Die ganze Welt sich schickt, |
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Womit so schwer beladen |
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Mein Herz nach oben schaut, |
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Nach deinem Born der Gnaden, |
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Der Labsal niedertaut. |
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Ja, deine süße Liebe, |
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Die tröstet mir den Schmerz, |
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Ja, deine süße Liebe, |
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Die stillet mir das Herz, |
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Die löst in heißen Tränen |
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Das Eis des Busens auf |
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Und stellet Sinn und Sehnen |
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Zum hohen Sternenlauf. |
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O laß mich ewig schauen |
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Im stillen Kindersinn |
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Zu jenen güldnen Auen, |
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Woher ich kommen bin! |
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O richte Herz und Sinne, |
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Mein Vater, für und für |
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Zu deiner süßen Minne, |
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Zum Himmel hin, zu dir. |
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So mag ich froh mich legen |
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Nun mit der Welt zur Ruh', |
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Mein Amen und mein Segen, |
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Mein Wächter, das bist du; |
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So mag in deinem Frieden |
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Ich fröhlich schlafen ein, |
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Dort oben und hienieden |
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Im Schlaf und Wachen dein. |
Details zum Gedicht „Abendlied“
Ernst Moritz Arndt
7
56
255
1818
Klassik,
Romantik,
Biedermeier
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht „Abendlied“ stammt von Ernst Moritz Arndt, der in der Zeit von 1769 bis 1860 lebte. Er ist besonders bekannt für seine öffentliche Haltung gegen die Sklaverei und für die nationale Einigung Deutschlands, Produkte der Aufklärung und des 19. Jahrhunderts.
Weil es „Abendlied“ heißt, stimmt es uns auf einen ruhigen, nachdenklichen Ton ein. Es besteht aus sieben Oktaven. Inhaltlich kümmert sich das lyrische Ich um die Isolation und Einsamkeit, die mit dem Einbruch der Nacht einhergehen. Es ist dabei allein mit seinen Gedanken und Gefühlen und wendet sich an eine höhere Macht - „Vater“. Dies könnte als Anspielung auf Gott interpretiert werden, bezeichnet Arndt doch die Nacht, die gewöhnlich Dunkelheit und Unsicherheit symbolisiert, als Zeit der persönlichen Reflexion und des Gebets.
Im ersten Teil des Gedichts beschreibt das lyrische Ich, wie der Tag vergeht und die Natur zur Ruhe kommt, nur unterbrochen durch den Gesang der Nachtigall. Dieses Naturelement erscheint als Metapher für das lyrische Ich selbst, das trotz der nächtlichen Stille „weiter singt“, d. h. weiter lebt und fühlt.
Dieses „Singen“ wird im zweiten Teil als Ausdruck von Schmerz und Dankbarkeit definiert, wobei das lyrische Ich betont, dass es sich nicht vollständig ausdrücken kann - manche Gefühle und Gedanken sind zu komplex oder schmerzhaft, um sie in Worte zu fassen. Ersichtlich wird auch die Schwere des Herzens, welche durch die Hoffnung auf Barmherzigkeit („Born der Gnaden“) und Liebe gemildert wird, wobei hier die Erlösung und das Loslassen von Schmerz und Leid thematisiert wird.
Form und Sprache des Gedichts sind klar und einfach gehalten, Arndt verzichtet auf komplexe Metaphorik und verwendet stattdessen direkte und persönliche Ansprachen, um das innere Empfinden des lyrischen Ichs zu offenbaren. Wiederholungen von Worten und Phrasen wie „süße Liebe“ und die bildliche Sprache (z.B. „dein Born der Gnaden, Der Labsal niedertaut“) unterstreichen das tiefgreifende Bedürfnis des lyrischen Ichs nach Trost und Liebe.
Zusammenfassend könnte das Gedicht als ein Ausdruck tiefer Sehnsucht und inniger Verbindung mit Gott interpretiert werden. Es thematisiert die menschliche Suche nach Trost, Liebe und Verständnis und die heilende Wirkung des Glaubens.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Abendlied“ ist Ernst Moritz Arndt. 1769 wurde Arndt in Groß Schoritz (Rügen) geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1818 entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Klassik, Romantik oder Biedermeier zu. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 255 Wörter. Es baut sich aus 7 Strophen auf und besteht aus 56 Versen. Weitere Werke des Dichters Ernst Moritz Arndt sind „Der Mann“, „Der Weihnachtsbaum“ und „Klage um Auerswald und Lichnowsky“. Zum Autor des Gedichtes „Abendlied“ haben wir auf abi-pur.de weitere 285 Gedichte veröffentlicht.
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- Das Glück, das glatt
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- Die Zaunranke und der Klee
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- Die Biene und der Lenz
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Zum Autor Ernst Moritz Arndt sind auf abi-pur.de 285 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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