Leben von Ernst Moritz Arndt

Ich war ein Kind,
Wie Frühlingssäusel flogen
Die Lebenssorgen spielend um meine Locken;
Das Gras gab weich die Blumendecke,
Der Himmel das ungemessene Aug'
Leben und Traum noch eins:
Mich wiegte in beiden
Die Wiege der Liebe.
 
Ein Knabe ward ich.
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Oft in den Hain der Eichen
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Nahm mich mein Vater unter die heiligen Lauben;
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Legte hinter die Garben des Feldes
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Oft des Müden Ohr an des Meeres Sausen.
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Ich bebte unter den regen Eichenwipfeln,
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Weinte ob des Meeres Sausen,
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Drückte vor dem Donner des Himmels
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Mit der Lerche, dem Reh mich hinter die Büsche.
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Doch blühten mir Blumen,
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Mir sangen die Lüfte, die Vögel,
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Warm schien die Sonne, der Fruchtbaum golden,
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Sanft trug das Meer oft des Schaukelnden Kahn.
 
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Ich ward ein Jüngling.
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Götter des Himmels all!
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Ihr kamt herab mit eurem seligen Traum.
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Schwellend stand ich am Meer wie Wogen,
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Wollte fließen fort mit den Waffern,
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Stand lebendig unter dem Eichbaum,
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Fühlte mich wie Lüfte gefiedert.
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Adler des Himmels, ihr trugt mich oft
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Glänzend in eure Donnerwolken,
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In eurer Sonnen brünstige Glut;
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Blumen der Erde, heiliger Mond,
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Freundliche Nacht, wie liebt' ich euch,
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Meine erste Liebe, geheim!
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Schimmernd floß mir des Lebens Wolke
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Um die schuldlosen Locken noch;
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Wie prophetischer Raben Silberklang
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Aus einsamer Luft
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Umklangen mich Töne der Zukunft.
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Ich lebt' und war glücklich.
 
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Ich ward ein Mann.
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Die himmlischen Götter all,
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Die spielenden all, in ernster Gestalt
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Stehen sie da: die Ägide
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Schüttelt Minerva, zum höllischen Webstuhl
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Sah ich hinab ins Dunkel der Parzen:
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Sie saßen und webten
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Tränen und Freuden im schrecklichen Schweigen.
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Und des Blutes geflügelte
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Rächerinnen, die Eumeniden,
51 
Standen umher, die grinsende Ate
52 
Flocht verworrene Knoten der Schuld,
53 
Und meinem Donner droben
54 
Fehlte der Klang, doch fraß
55 
Mir sein Blitzstrahl die Hütte.
56 
Flehend sah ich zum Himmel,
57 
Wollte weinen und konnt' es nicht.
58 
Da nahm die Liebe den Mann
59 
Freundlich an die milde Brust,
60 
Füllt' ihm das Herz mit Jugend, das Aug' mit Tränen,
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Gab dem Himmel den Glanz
62 
Wieder, den Blumen den Duft
63 
Und die Sünde ging unter in Liebe,
64 
Und die Eumenis wandelte abwärts,
65 
Blüten kränzten das schuldige Haupt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.1 KB)

Details zum Gedicht „Leben“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
65
Anzahl Wörter
348
Entstehungsjahr
1805
Epoche
Klassik,
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Leben“ wurde von Ernst Moritz Arndt verfasst, einem deutschen Schriftsteller, Historiker, Freiheitskämpfer und Abgeordneten, der vom 26. Dezember 1769 bis zum 29. Januar 1860 lebte. Es ist somit im Kontext der Romantik und des Biedermeier zu verstehen, Epochen in denen persönliche Gefühle und der enge Bezug zur Natur eine wichtige Rolle spielten.

Beim ersten Lesen des Gedichts fällt auf, dass es den Lebenszyklus eines Menschen, von der Kindheit, über die Jugend, bis hin zum Erwachsenenalter und den Herausforderungen des Lebens, thematisiert. Ebenso bemerkenswert ist die starke Verwendung von Naturbildern und mythologischen Anspielungen.

Inhaltlich stellt das lyrische Ich in den ersten beiden Strophen seine Kindheit und Jugend als Zeiten der Unschuld und des Spielens dar, in denen er sich von den Sorgen des Lebens befreit und von der Kraft der Natur und der Liebe umgeben fühlt. Die dritte Strophe porträtiert das lyrische Ich als jungen Mann, der von Ehrfurcht vor der majestätischen Natur ergriffen ist und sich den Strömungen des Lebens und der Liebe hingibt.

In der vierten und letzten Strophe schwenkt das Gedicht jedoch zu einer düsteren Darstellung des Erwachsenenalters um, in der das lyrische Ich mit den Härten des Lebens konfrontiert wird, symbolisiert durch die allegorische Darstellung der Moiren und der Eumeniden aus der griechischen Mythologie, die das menschliche Schicksal weben und verfolgen. Doch gegen Ende des Gedichts kehrt das lyrische Ich zur Liebe zurück, die es von seinen Sünden erlöst und Trost im Leben bietet.

Die Form des Gedichts lässt sich als freier Vers bezeichnen, da es keinem strikten Reim- oder Metrumschema folgt. Dennoch herrscht eine gewisse melodische und rhythmische Kohärenz in den Versen. Arndts Sprache ist reich an Metaphern und Similes, oft angereichert durch mythologische und religiöse Anspielungen, die eine tiefe symbolische Bedeutung hinzufügen. Die Natur spielt eine zentrale Rolle in seiner Lyrik, sie dient als Spiegel für die innersten Emotionen und Erfahrungen des lyrischen Ichs und ist zugleich ein Ort des Trostes und der Spiritualität. Im Ganzen bietet dieses Gedicht eine tiefe Reflexion über die menschliche Existenz, den Kreislauf des Lebens und die Kraft der Liebe.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Leben“ des Autors Ernst Moritz Arndt. 1769 wurde Arndt in Groß Schoritz (Rügen) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1805 zurück. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Klassik oder Romantik zuordnen. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das Gedicht besteht aus 65 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 348 Worte. Weitere Werke des Dichters Ernst Moritz Arndt sind „Laßt wehen, was nur wehen kann“, „Ballade“ und „Die Zaunranke und der Klee“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Leben“ weitere 285 Gedichte vor.

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