Spazierende Gedanken von Ernst Moritz Arndt
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Schau' ich wandelnd die prächtigen Häuser mir an, |
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Wird's mir schier, als möcht' ich noch bauen, |
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Und sollte doch ein so steinalter Mann |
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Himmelauf nur und himmelein schauen; |
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Wird doch seinem flüchtigen Bleiben allhier |
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Rappell bald zum Abmarsch geblasen, |
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Und wird ihm auf Erden sein letztes Quartier |
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Gebettet bald unter dem Rasen. |
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Ei Fabel! Was fabl' ich das Alte mir vor, |
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Die Kluft zwischen Himmel und Erde? |
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Weitauf steht der Welten unendliches Tor, |
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Wo ich Kleiner schon durchschlüpfen werde: |
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Sankt Peter mit aller Kardinalpolizei, |
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Mit all ihrer schrecklichen Presse |
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Schaut meinen Paß an und rufet: »Passiere nur frei! |
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Dein Paß ist der beste der Pässe. |
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Dir flammet im Herzen der göttliche Mut, |
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Dir flammen im Kopfe die Blitze, |
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Für solche sind Himmel und Erde gleich gut, |
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Sie bauen nicht bleibende Sitze. |
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Frei durch denn! Und wolltest du wieder heraus, |
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Bei dem Tor sind unzählige Pforten: |
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Soweit Licht scheint, bauen Götter und Geister ihr Haus, |
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Ihnen tönt's nicht von Stätten und Orten.« |
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So pilgr' ich und finde mich leidlich zurecht |
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Das übrige wisse Sankt Peter |
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So schrei' ich über Erden- und Himmelgeflecht |
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Nicht kläglich Mordio! und Zeter! |
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Denn der's geflochten, das weiß ich, der wird seinerzeit |
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Alle Fäden aufs schönste entwirren: |
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Ihm trau' ich, drum lass' ich zu wild und zu weit |
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Die Gedanken mein Hirn nicht umschwirren. |
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Nein, kein Jung und kein Alt und kein Dort und kein Hier! |
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Weg, Gedanken, ihr grauen und falben! |
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Weicht von mir! Ich stelle mein lustig Quartier |
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Bei dem Ältsten, er heißt Allenthalben: |
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Bei dem Ältsten der Tage, da nehm' ich den Sitz |
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Er blies auch durch mich seinen Odem. |
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Auf mit Flügeln, mein Geistchen! Und funkle wie Blitz! |
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Blitze Leben aus Kaltem und Totem! |
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Sei mutig! Dem Kühnen verwelket kein Kranz, |
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Ein ewiger Lenz ist sein Eigen; |
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Tanze mit in der Welten unsterblichem Glanz |
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Der Wonne unsterblichen Reigen. |
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Sei mutig! Und gleich wird das engste Revier, |
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Wo du weilest, der weiteste Himmel, |
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Das Unten und Oben, das Dort und das Hier |
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Verschwimmt in der Wonne Gewimmel. |
Details zum Gedicht „Spazierende Gedanken“
Ernst Moritz Arndt
6
48
333
1849
Realismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht, „Spazierende Gedanken“, ist von dem deutschen Schriftsteller Ernst Moritz Arndt, der zwischen 1769 bis 1860 lebte. Die Entstehungszeit des Gedichtes ist notabene nicht exakt angegeben, lässt sich aber im Kontext von Arndts Lebensdaten einordnen.
Auf den ersten Blick handelt es sich bei dieser lyrischen Arbeit um eine tiefgründige und weltoffene Betrachtung des Lebens, des Alterns und des Übergangs zum Tod, sowie auch des Jenseitigen und des Göttlichen.
Der Inhalt des Gedichtes beschreibt die introspektiven Überlegungen des lyrischen Ichs, indem es durch das Leben wandert und die Welt und die Architektur um sich herum beobachtet (Strophe 1). Das Ich stellt dabei fest, dass seine Lebenszeit kurz ist und letztendlich in den Tod mündet. In der zweiten Strophe bemerkt das lyrische Ich, dass es trotz der Kluft zwischen Leben und Tod, keinen Grund zur Furcht gibt, wobei die metaphorische Anspielung auf den Heiligen Petrus als Türsteher des Himmels verwendet wird. Die dritte Strophe widmet sich den freien Geistern, die weder auf Erden noch im Himmel feste Wohnsitze haben und daher weder an Orten noch Zuständen gebunden sind. In der vierten Strophe heißt es, das lyrische Ich vertraue darauf, dass der Schöpfer des Universums, im richtigen Moment, alle Schwierigkeiten oder Verwirrungen lösen wird. In der fünften und sechsten Strophe schließlich, gewinnt das lyrische Ich an Zuversicht und strebt an, im Ewigen zu leben und eine himmlische Existenz zu genießen.
In punkto Form besitzt das Gedicht sechs gleich lange Strophen mit je acht Versen. Die Verse sind im allgemeinen eher kurz; das Gedicht hat kein einheitliches Reimschema. Die Sprache des Gedichts ist eher gehoben und von Würde getragen, wie es typisch für die Romantik ist. Das Gedicht verwendet eine Fülle von Metaphern und Allusionen, die das Konzept des Todes und der Ewigkeit darstellen. Collagenartig evozieren die Strophen verschiedene Bilder und Gedanken, die gemeinsam eine lebhafte und facettenreiche Reflexion über das Leben und Sterben liefern.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Spazierende Gedanken“ des Autors Ernst Moritz Arndt. 1769 wurde Arndt in Groß Schoritz (Rügen) geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1849. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Realismus zu. Die Richtigkeit der Epoche sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das 333 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Die Gedichte „Das Glück, das glatt“, „Laßt wehen, was nur wehen kann“ und „Ballade“ sind weitere Werke des Autors Ernst Moritz Arndt. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Spazierende Gedanken“ weitere 285 Gedichte vor.
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Weitere Gedichte des Autors Ernst Moritz Arndt (Infos zum Autor)
- Der Mann
- Der Weihnachtsbaum
- Klage um Auerswald und Lichnowsky
- Das Glück, das glatt
- Laßt wehen, was nur wehen kann
- Ballade
- Die Zaunranke und der Klee
- Elegie
- Die Biene und der Lenz
- Leben
Zum Autor Ernst Moritz Arndt sind auf abi-pur.de 285 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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