An Antonia Amalia, Herzogin von Württemberg von Ernst Moritz Arndt

Knabe war ich, es drang kein Klang von gewaltigen Dingen
Unter das strohene Dach, welches die Kindheit geschirmt,
Einfalt wohnte mit mir und stille freundliche Sitte,
Frömmigkeit lullte mich ein, Frömmigkeit weckte mich auf,
Liebe führte mich mild durch Büsche, Felder und Auen,
Liebe zeigte mir fromm Götter und Sterne zuerst;
Und es hüteten noch mit mir die Engel des Himmels
Herden des Vaters im Hain, Herden am brausenden Meer,
Kamen als Träume herab, als schöne, helle Gesichte,
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Wie in der ältesten Zeit, spielten als Kinder mit mir.
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O was ruf' ich zurück in Tagen des Jammers, der Sünde,
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O was ruf' ich zurück, Kindheit, dein seliges Bild,
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Als mein Taubenschlag noch die fliegendsten Wünsche begrenzte,
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Als mein Mädchen mir noch deuchte die weiteste Welt,
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Als die Bibel mein Buch, mein einziges Buch und mein Licht war,
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Und mein höchstes Gesetz Spruch aus dem Muttermund?
 
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Ach! Es rollte sich bald die Hülle der Unschuld herunter,
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Frühe zeigte sich mir mit der unendlichen Welt
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Auch die unendliche Macht, die hoch über Donnern und Blitzen
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Wettert und leuchtet - ich sah, eisernes Schicksal, dich früh,
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Und ich trug es so jung dein unerbittlich Verhängnis,
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Trug es im schweigenden Ernst, trug es im trauernden Blick,
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Oft ermahnte mich dann mein fröhlicher Vater: »Sei fröhlich!«
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Öfter die Mutter und schalt: »Bube, warum so allein?«
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Wenn ich mit Arbeit den Tag, mit bretternem Lager die Nächte
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Feierte, schüttelten sie traurig das liebende Haupt;
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Denn sie meinten, es werde der Sohn, ein finsterer Träumer,
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Sich und andern die Lust töten in künftiger Zeit.
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Ich aber sprach: »Wer weiß, wozu die Übung mir frommet?«
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Ich aber sprach: »Wer weiß, was mir das Schicksal bestimmt?«
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Leichthin sprach ich's, doch schwer erdrückten mich Lasten der Liebe,
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Die nur ein eisernes Herz, nimmer ein menschliches trägt;
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Abwärts weint' ich allein und traurig, daß ich so traurig
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Machte, die zärtlich ihr Herz senkten in meines hinab.
 
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Jahre, ihr seid nun verrollt, ihr schlimmen und trüblichen Jahre,
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Lange erleuchtet ist mir Schicksal und Menschheit und Gott,
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Aber gekommen ist doch, was frühe dem Knaben geahnet,
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Arbeit und Not und Gefahr, Unheil, Zwietracht und Krieg.
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Nicht umsonst warst du, o Tag, voll bitterer Kämpfe,
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Nicht umsonst dein Ernst, stille, denkende Nacht:
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Wohl bedurfte der Mann der festen und stahlenen Rüstung,
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Welche der Knabe sich schon hart um den Busen gewölbt.
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Freude gabest du mir, o Leben, Freude und Liebe,
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Du, o reiche Natur, Freude und Liebe genug:
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Doch die Ahndung hat auch ihr dunkles Verhängnis erfüllet,
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Bis auf den heutigen Tag alles mit Strenge erfüllt.
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Zeugen mögt ihr mir nun, ihr heiligen Geister der Liebe,
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Freundlicher Vater, und du, tapfere Mutter, mit ihm,
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Zeugen mögt ihr mir nun dort oben im sternigen Reigen,
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Wie ich die Zukunft gefühlt, wie ich das Schicksal gefühlt.
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O ihr zeuget mir oft, ihr haucht wie heilige Lichter
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Himmlischen Atem mir ein, göttliche Wonne mir zu.
 
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Tochter Germaniens, sei begrüßt mir, herrliche Fürstin!
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Nimm den prophetischen Klang, nimm das errötende Herz,
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Nimm das verhallende Wort, den flüchtigen Atem der Stunde
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O du bist menschlich und fromm - nimm das Menschliche hin!
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Kühnliches hörest du gern und Tapfres kannst du verstehen,
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Nimmer in banglicher Furcht zaget dein fürstlicher Sinn.
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Über den blutigen Staub und über die wilden Getümmel,
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Welche der Augenblick tönt, hebt sich dein freudiger Mut!
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Laß ihn fliegen und leuchten und blitzen in heiligen Flammen!
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Stolzem Vertrauen drückt gern göttliches Siegel sich auf.
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Sieh! Ich verkünde es dir, so wahr mir der Gott in die Seele
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Künftiger Tage Geschick, Deutung der Zukunft gelegt:
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Herrliches wirst du noch sehn: das heilige Volk der Germanen,
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Wieder ein ritterlich Volk, stehen gerüstet mit Kraft;
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Herrliches wirst du noch sehn: die Heldengestalten der Väter
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Wieder in Enkeln erblühn, blühn mit dem Zepter und Schwert.
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Dann wird Freiheit den Erdball umwalten, Gerechtigkeit herrschen,
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Klingen gefürchtet das Wort, blitzen gefürchtet das Schwert
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Über den blutigen Staub und über die Lüge des Tages
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Schweben die Wahrheit, das Recht, glänzende Engel, dahin.
 
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Nimm denn die Wonne dir, nimm die Gewißheit mit liebendem Herzen,
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Nimm den herrlichen Wahn, fürstliche Seele, denn hin!
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Selig, welche bestanden und unbefleckt von der Schande
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Hielten den heiligen Stolz, hielten den gläubigen Sinn!
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Gott wird richten und hat gerichtet, der mächtige Walter,
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Klinge, prophetischer Klang! Halle, verfliegendes Wort!

Details zum Gedicht „An Antonia Amalia, Herzogin von Württemberg“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
78
Anzahl Wörter
707
Entstehungsjahr
1812
Epoche
Klassik,
Romantik

Gedicht-Analyse

Der Text „An Antonia Amalia, Herzogin von Württemberg“ ist ein Gedicht des Autors Ernst Moritz Arndt. Arndt lebte von 1769 bis 1860 und hat das Gedicht vermutlich im 19. Jahrhundert verfasst.

Auf den ersten Blick fällt die Struktur des Gedichts auf. Es besteht aus fünf Strophen mit einer variierenden Anzahl von Versen, was ungewöhnlich ist, da Gedichte oft eine konstante Versanzahl pro Strophe aufweisen. Das Gedicht wird an die Herzogin Antonia Amalia von Württemberg gerichtet und scheint eine autobiografische Darstellung des lyrischen Ichs zu sein.

Inhaltlich erzählt das Gedicht hauptsächlich von der Kindheit des lyrischen Ichs, seiner Erziehung und seinen frühen Erfahrungen und Gefühlen. Das lyrische Ich reflektiert seine Kindheit, die durch Einfachheit und Frömmigkeit geprägt war. Im weiteren Verlauf spricht es von seinen Jugendjahren, in denen es seine Unschuld verlor und mit der Realität der Welt konfrontiert wurde. Die Eltern des lyrischen Ichs wurden erwähnt, die sowohl besorgt als auch unterstützend waren. Das lyrische Ich spricht auch von Schmerz und Kummer, die es in seiner Jugend ertrug.

In der dritten Strophe beschreibt das lyrische Ich die Jahre, die seit seiner Jugend vergangen sind, und wie sich seine vorherigen Erfahrungen auf sein aktuelles Leben auswirken. Es erwähnt Krieg und Unheil, was darauf hindeutet, dass das Gedicht in einer turbulenten Zeit geschrieben wurde.

Die vierte Strophe widmet sich der Herzogin Antonia Amalia von Württemberg und bietet eine Prophetie über die Zukunft Deutschlands. Arndt prophezeit, dass das deutsche Volk wieder stark werden wird und Freiheit und Gerechtigkeit herrschen werden. Er lobt die Herzogin für ihr Verständnis und ihren starken Geist.

Die letzte Strophe endet mit einer kraftvollen Proklamation des Glaubens und der Hoffnung auf gerechte Urteile.

Formal gesehen ist das Gedicht in freien Versen verfasst und weist keine Reime auf. Die Sprache ist hochgestochen und erhaben, mit zahlreichen Verweisen auf wichtige soziale und spirituelle Konzepte wie Glaube und Gerechtigkeit. Die Wortwahl und der prophetische Ton tragen zur feierlichen Stimmung und ernsten Botschaft des Gedichts bei. Arndts Verwendung von lebendigen Bildern und Metaphern verleiht dem Gedicht Tiefe und emotionale Intensität.

Weitere Informationen

Ernst Moritz Arndt ist der Autor des Gedichtes „An Antonia Amalia, Herzogin von Württemberg“. Im Jahr 1769 wurde Arndt in Groß Schoritz (Rügen) geboren. 1812 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Klassik oder Romantik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 707 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 78 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Ernst Moritz Arndt sind „Der Weihnachtsbaum“, „Klage um Auerswald und Lichnowsky“ und „Das Glück, das glatt“. Zum Autor des Gedichtes „An Antonia Amalia, Herzogin von Württemberg“ haben wir auf abi-pur.de weitere 285 Gedichte veröffentlicht.

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