Die Leibwache von René Schickele
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Und bin ich auch in mancher Stunde wie verdammt, |
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Ich weiß, daß doch ein Schein von meinem Blut, |
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Wo ich mich rühre, wo ich raste, mich umflammt |
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Wie eine große Glorie innerlicher Glut. |
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Darin ist alles das enthalten, was die Väter, |
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Ob sie Soldaten, Bauern, Sünder oder Beter, |
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Von ihrem Innersten ins Äußere geglüht, |
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Daß es mein eigen Blut noch heute fühlt. |
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Denn ja, ich fühl's wie Rüstung, Schild und Feuerwall |
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Und Festung, die mich überall umgibt, |
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Und wieder so, daß es der Schöpfung wirren Schwall |
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Mit Netzen wie aus Blut und Sonnenstäubchen siebt, |
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Damit in meiner Augen Nähe kommt |
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Nur, was für Ewigkeiten ihnen frommt, |
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Und immer nur in meinem Herzen Wurzeln schlägt |
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Und darin gräbt, wes Wachstum dies mein Herz verträgt; |
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Und was es tiefer noch verankert in den Grund, |
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Von dem ich nichts weiß, als daß zu Beginn |
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Ein heißer Wille schwoll, der dann von Mund zu Mund |
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Sich fortgepflanzt bis her zu mir, der ich jetzt bin. |
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Und bei mir sind, die mich vor schwerstem Leid bewahren! |
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Ich recke mich inmitten himmlischer Husaren, |
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Heb ich die Hand, so winken tausend Hände mit, |
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Und halte ich, so hält mit mir der Geisterritt. |
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Im Schlaf spür ich sie wie im Biwak um mich her, |
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Sie liegen da, die Zügel umgehängt, |
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Sie atmen, regen sich wie ich, sind leicht und schwer, |
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Und manchmal, wenn sich einer an den andern drängt, |
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Ersteht ein Klingen, dessen Widerhallen |
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In meinem Körper bebt wie Niederfallen |
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Von eines Brunnens Strahl in einem Vestibül. |
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Dann ist's, daß ich das Herz der Mütter zittern fühl! |
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Dann ist's, daß wild und süß die Liebe überfließt |
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In mir und jeder Kreatur, |
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Rakete um Rakete in den Himmel schießt, |
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Im Dunkel still steht jede Uhr. |
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Und klare Meere spiegeln lichte Sterne, |
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Die Früchte zeigen schamlos ihre Kerne, |
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Es strömt ein Licht von mir zum fernsten Land, |
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Es schlägt ein Wellenschlag von mir zum fernsten Strand. |
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Drum, bin ich auch in mancher Stunde wie verdammt, |
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Ich weiß trotzdem: ein Schein von meinem Blut, |
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Wo ich auch bin, ob schlafend oder wach, umflammt |
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Mein Tun mit einer Glorie innerlicher Glut. |
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Darin ist alles das enthalten, was die Väter, |
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Ob sie Soldaten, Bauern, Sünder oder Beter, |
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Mit ganzem Herzen ausgelebt zu meiner Hut. |
Details zum Gedicht „Die Leibwache“
René Schickele
6
47
371
1883 - 1940
Naturalismus,
Moderne,
Expressionismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Die Leibwache“ wurde vom elsässischen Schriftsteller René Schickele verfasst, der von 1883 bis 1940 lebte. Damit ordnet sich das Gedicht zeitlich in die Phase der Moderne ein, einer Epoche, die von starken gesellschaftlichen Umbrüchen geprägt war.
Auf den ersten Blick scheint das lyrische Ich intensiv über sein eigenen Ich und seine Verbindung zur Vergangenheit zu reflektieren, wobei dichte, emotionale Sprache verwendet wird.
Im Inhalt betrachtet der Sprecher seine eigene Existenz in Zusammenhang mit der seiner Vorfahren (Soldaten, Bauern, Sünder oder Beter). Er fühlt sich von einer Glorie umgeben, die von seinem Blut ausgeht und die Essenz des Lebens seiner Vorfahren darstellt. Dabei beschreibt er seine Sensibilität für die Welt und alles Leben um sich herum. Er thematisiert den Zyklus der Schöpfung, die Weitergabe von Leben und hintertreibt dabei das Thema der Kontinuität der Kulturen und Traditionen.
Formal besteht das Gedicht aus sechs Strophen mit mehrheitlich acht Versen. Die Sprache ist teilweise metaphorisch und bildreich, mit starken Natur- und emotionalen Bildern, sowie spirituellen und mystischen Anklängen. Der Autor wechselt zwischen konkreten Szenen und abstrakten Konzepten, was eine intensive, teils verwirrende, Atmosphäre schafft, die zum Nachdenken anregt.
Insgesamt legt Schickeles Gedicht „Die Leibwache“ Wert auf die stetige Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, und betont die Wichtigkeit des Bewusstseins über die eigene Herkunft und den Einfluss unserer Vorfahren auf unser eigenes Leben. Mit seiner bildgewaltigen Sprache schafft es Schickele, großes Pathos zu erzeugen und den Leser zum Nachdenken über die eigene Position in der Welt und der Geschichte anzuregen.
Weitere Informationen
René Schickele ist der Autor des Gedichtes „Die Leibwache“. Im Jahr 1883 wurde Schickele in Oberehnheim im Elsass geboren. Zwischen den Jahren 1899 und 1940 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Naturalismus, Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus, Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zu. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das Gedicht besteht aus 47 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 371 Worte. Der Dichter René Schickele ist auch der Autor für Gedichte wie „Erwartung im Garten“, „Ferne Musik“ und „Der Knabe im Garten“. Zum Autor des Gedichtes „Die Leibwache“ haben wir auf abi-pur.de keine weiteren Gedichte veröffentlicht.
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