Graf, Oskar Maria - Alter Emigrant (Gedichtanalyse)

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Oskar Maria Graf, Interpretation, Analyse, Referat, Hausaufgabe, Graf, Oskar Maria - Alter Emigrant (Gedichtanalyse)
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Referat

Oskar Maria Graf – „Alter Emigrant“

Das vorliegende Gedicht „Alter Emigrant“ des deutsch-amerikanischen Schriftstellers Oskar Maria Graf, welches im Jahr 1962 veröffentlicht wurde, handelt von dem Leeregefühl, welches das lyrische Ich nach einer Auswanderung in ein fremdes Land verspürt. Dieses wirkt sich im Verlauf des Gedichts immer stärker auf die Gefühle des lyrischen Ichs aus und erzeugt ein eingrenzendes Fremdheitsgefühl.

Die erste Strophe verdeutlicht die Entfremdung vom Vaterland des lyrischen Ichs und das immer stärker ausgeprägte Fehlen des Zugehörigkeitsgefühles zu einer der zwei verschiedenen Heimaten. Die folgende Strophe stellt die Gefühle des lyrischen Ichs dar, welche durch die Emigration immer stärker in den Hintergrund treten. Die letzte Strophe beschreibt die ausweglose Lage des lyrischen Ichs, welche vorbringt, dass die Einsamkeit und das Fremdheitsgefühl eindeutig im Vordergrund stehen und das Heimatgefühl nun vollkommen verflogen ist.

Das gesamte Gedicht besteht aus 3 Strophen, welche aus jeweils 6 Versen zusammengesetzt ist. Der harmonische Strukturaufbau wird einerseits durch den verschränkten Reim abcabc verdeutlicht und andererseits durch den regelmäßigen 4- und 5-hebigen Jambus nur noch ein weiteres Mal hervorgehoben wird. Diese Kombination unterstreicht das Hauptmotiv des Gedichts und setzt die getrübte und ausweglose Stimmung weit in den Vordergrund.

Das Gedicht beginnt mit dem direkten Aufzeigen der Problemstellung. Die Begriffe „Daheim“ und „Zu Haus“ (Vers 1) werden im Kontext der Strophe als eine synonymisierte Wortwiederholung und gleichzeitig auch als eine Akkumulation vorgestellt und bewirken, dass sich der Leser schon mit den zwei ersten Worten einen bildhaften Überblick über die bevorstehende Motivik verschafft. Die Anführungszeichen (Vers 1), welche die zwei genannten Begriffe umklammern, verdeutlichen ein weiteres Mal, dass diese Nennungen eine reine Traumvorstellung und Distanzierung aufzeigen. Die darauffolgenden Vergangenheitsträumereien verdeutlichen ein weiteres Mal die Einsamkeit und die Ausweglosigkeit des lyrischen Ichs, welche ihn nun in seinem neuen Wohnort begrenzen. Denn die Gefühle und Emotionen, welche er damals mit den Begriffen Heimat und Zuhause verbunden hat, gehören inzwischen der Vergangenheit an und können nicht auf seine neue Lebenssituation übertragen werden. Die Verse 1, 2 und 3 sowie 5 und 6 werden jeweils durch ein Enjambement verbunden, was auf den Leser flüssig und einheitlich wirkt. Die vorliegenden Zeilensprünge bewirken im Kontext der ersten Strophe im selben Augenblick auch eine Verdeutlichung der Klimax. In Vers 4 nennt das lyrische Ich sogar die Befürchtung, dass die gesamten Erinnerungen an die Zeit in seiner Heimat vergessen sein könnten, was aufweisen könnte, dass eine längere Zeit vergangen sein musste, seitdem das lyrische Ich sein Vaterland verlassen hat. Diese Zeitspanne wird in den folgenden Versen verdeutlicht, denn während sich das lyrische Ich in den ersten 3 Versen auf die Vergangenheit bezieht, liegt der Fokus in den letzten zwei Versen der ersten Strophe auf der Gegenwart. „Mein Hirn ist taub, mein Herz ist ausgedorrt“ bilden in Vers 5 eine Hyperbel, welche einen Nachdruck verleihen und auf den Leser enorm lebendig, emotional und expressiv wirken. Diese Hyperbel wird nun ein weiteres Mal durch ein Enjambement mit Vers 6 verbunden und erläutert dadurch, dass die endlose Traurigkeit (Vers 6) der ausschlaggebende Grund für die bedrückenden Emotionen des lyrischen Ichs sind. Die Bezeichnung „nie vergeht“ (Vers 6) ist hierbei eine weitere Hyperbel und verdeutlicht die Hoffnungslosigkeit des lyrischen Ichs auf eine Besserung seiner Lebenslage und eine Wiederkehr der positiven Emotionen und Gefühle, welche jedoch seiner Meinung nie wieder zurückkommen werden.

Eine ausgiebige Beschreibung der Lebenszeit leitet die zweite Strophe des Gedichts ein, welche die Vergänglichkeit des Menschen mit den Worten „läuft weg“, „zerrinnt“ (Vers 7) und die nutzlosen Handlungen der Menschen, welche die Zeit nur noch schneller ziehen lässt, mit den Adjektiven „vertan“ und „zerschwätzt“ (Vers 7) beschreibt. Die Personifikation („Der Tag läuft weg“) zu Beginn der zweiten Strophe verdeutlicht, dass nicht die Zeit selbst so schnell zieht, sondern, dass der Mensch verantwortlich ist wie er diese Lebenszeit nutzt. Ähnlich wie auch in der ersten Strophe sind die einzelnen Verse mithilfe eines Enjambements verbunden und ergeben dadurch eine einheitliche Struktur.

Im zweiten Teil der zweiten Strophe betont das lyrische Ich die Einsamkeit („Leere“ Vers 10), welche es im neuen Land verspürt und verdeutlicht dies ein weiteres Mal mit der Hyperbel „nie gekannt“ (Vers 12). Diese Anapher, welche sich in Vers 6 widerspiegelt, zeigt die Hoffnungslosigkeit des lyrischen Ichs auf und verweist auf die Verlorenheit, welche der lyrische Sprecher durch seine Emigration und durch die damit verbundene Einsamkeit verspürt. Diese dramatische Eingeengtheit des lyrischen Ichs wirkt sich auf den Leser enorm stark aus und bewirkt, dass das Gefühl der betrübten Stimmung, welche allmählich ein katastrophales Ausmaß annimmt, auf den Leser widergespiegelt wird. Gleichzeitig verstärkt die Anapher die Wirkung der Kernaussage des lyrischen Ich, dass ein Ausweg aus seiner unglücklichen Lage nicht mehr vorstellbar ist. Des Weiteren bewirkt auch das Oxymoron in Vers 11, dass der Bezug des lyrischen Ich zur Realität sukzessiv in den Hintergrund gerät, da diese alltäglichen und selbstverständlichen Gefühle für den lyrischen Sprecher fremde Emotionen geworden sind. Diese Befürchtung des lyrischen Sprechers kann man sogar noch ein Schritt weiter als eine Entmenschlichung interpretieren, da Emotionen wie Hass und Liebe für jedes Lebewesen als selbstverständlich angesehen werden. Das Zweifeln des lyrischen Ichs, ob er Emotionen wie Hass und Liebe im Leben jemals erlebt habe, sind Gedanken, welche dem Leser die Idee aufwerfen könnte, dass der lyrische Sprecher an seinem neuen Wohnort langsam verrückt wird und ein weiteres Mal den Bezug zur Realität verliert. Das Unwohlsein und die Einsamkeit, welche das lyrische Ich verspürt, bewirken, dass jegliche positiven Erinnerungen aus der Vergangenheit in Vergessenheit geraten und nicht wieder auffindbar sind.

Die letzte Strophe wird durch zwei rhetorische Fragen (Vers 13) eingeleitet, welche das Leben des lyrischen Ichs infrage stellen. Die erste Frage „Was will ich noch“ (Vers 13) betont, dass selbst das lyrische Ich nicht genau weiß, was das letztendliche Ziel seines Lebens sein soll. Dies lässt vermuten, dass die Trauer womöglich selbst verschuldet ist und das Selbstmitleid letztendlich zu den bedrückenden Emotionen des lyrischen Ichs geführt hat. Die zweite rhetorische Frage (Vers 13) bezieht sich konkret auf das Fehlen einer Heimat, zu welcher sich das lyrische Ich hingezogen fühlt. Denn seit seiner Emigration in ein anderes Land verlor das lyrische Ich jeglichen Kontakt zu seinem Vaterland und kann nun keine Ersatzheimat auffinden. Die Trauer, welche hierdurch immer stärker in den Vordergrund rückt, wird in Vers 3 und 4 beschrieben. Die hindurchziehende Klimax, welche mithilfe der Verben „gestockt“, „ergraut“ und „verwelkt“ ein dramatisches Ausmaß annimmt und dadurch die Trauer und Einsamkeit des lyrischen Ichs ein weiteres Mal betont. Der Neologismus „Leichenlicht“ in Vers 15 leitet eine düstere Stimmung ein und stellt gleichzeitig die Todesmotivik neu in den Raum. Des Weiteren betont der lyrische Sprecher, dass er überall fremd ist (Vers 16) und emotional keine Verbindung zu seinen möglichen Wohnorten aufbauen kann. Letztendlich betitelt das lyrische Ich sich selbst als „stumpfes Fleisch“ in seiner Haut (Vers 17), was wiederum eine Entmenschlichung ist und gleichzeitig ein weiteres Mal eine Hyperbel. Den Höhepunkt erreicht das Gedicht in Vers 18 mit der Aussage „Oft riecht der Tod mich an“, was den Leser vermuten lässt, dass mehrere schwere Krankheiten oder lebensgefährliche Unfälle den lyrischen Sprecher eingefangen haben, der Tod ihn jedoch nicht mag (Vers 18) und er daher noch am Leben ist. Die brutale Wahrheit, welche das Gedicht beendet, betont ein weiteres Mal die Einsamkeit des lyrischen Ichs, denn nicht mal der Tod möchte den lyrischen Sprecher zu sich aufnehmen. Diese brutale Tatsache erzeugt beim Leser ein erschreckendes Bild der Hilflosigkeit und Ausweglosigkeit, auf welche sogar mit dem Ende des Gedichts keine Lösung gefunden werden kann.

Der deutsche Dichter Oskar Maria Graf, welcher im Jahre 1884 in München geboren ist, emigrierte kurz vor dem Ausbruch des II. Weltkrieg 1938 in die USA und blieb in Amerika bis zu seinem Tod im Jahre 1967. Anhand des vorliegenden Gedichts lässt sich vermuten, dass selbst der lange Aufenthalt in Amerika niemals dazu geführt hat, dass Oskar Maria Graf sich vollkommen zu Hause gefühlt hat und dieses Gefühl in Amerika niemals verspürt hat.

„Alter Emigrant“ beschreibt die hoffnungslose Suche eines Emigranten nach einer neuen Heimat und einem Ort, welches dieser als sein zu Hause betiteln kann. Diese Suche endet im Kontext des vorliegenden Gedichts leider ohne Erfolg, verdeutlicht jedoch dadurch die brutale Realität und die Tatsache, dass man nicht überall in der Welt eine Heimat finden kann, denn der Begriff „zu Hause“ beinhaltet mehr als nur ein Dach über dem Kopf.

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