Enzensberger, Hans Magnus - Bildzeitung (Gedichtinterpretation)

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Hans Magnus Enzensberger, Referat, Hausaufgabe, Enzensberger, Hans Magnus - Bildzeitung (Gedichtinterpretation)
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Referat

„Bildzeitung“ von Hans Magnus Enzensberger (Gedichtinterpretation)

Bildzeitung
von Hans Magnus Enzensberger

Du wirst reich sein
Markenstecher Uhrenkleber:
wenn der Mittelstürmer will
wird um eine Mark geköpft
ein ganzes Heer beschmutzter Prinzen
Turandots Mitgift unfehlbarer Tip
Tischlein deck dich:
du wirst reich sein.
 
Manitypistin Stenoküre
10 
du wirst schön sein:
11 
wenn der Produzent will
12 
wird dich Druckerschwärze salben
13 
zwischen Schenkeln grober Raster
14 
mißgewählter Wechselbalg
15 
Eselin streck dich:
16 
du wirst schön sein.
 
17 
Sozialvieh Stimmenpartner
18 
du wirst stark sein:
19 
wenn der Präsident will
20 
Boxhandschuh am Innenlenker
21 
Blitzlicht auf das Henkerlächeln
22 
gib doch Zunder gib doch Gas
23 
Knüppel aus dem Sack:
24 
du wirst stark sein.
 
25 
Auch du auch du auch du
26 
wirst langsam eingehn
27 
an Lohnstreifen und Lügen
28 
reich, stark erniedrigt
29 
durch Musterungen und Malz-
30 
kaffee, schön besudelt mit Straf-
31 
zetteln, Schweiß,
32 
atomarem Dreck:
33 
deine Lungen ein gelbes Riff
34 
aus Nikotin und Verleumdung
35 
Möge die Erde dir leicht sein
36 
wie das Leichentuch
37 
aus Rotation und Betrug
38 
das du dir täglich kaufst
39 
in das du dich täglich wickelst.

(„Bildzeitung“ von Hans Magnus Enzensberger ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (25.9 KB) zur Unterstützung an.)

Einleitung

Das mir vorliegende Gedicht „Bildzeitung“ von Hans Magnus Enzensberger ist durch Form und Aussage der Politischen Lyrik unterzuordnen. Meine erste Interpretationshypothese ist, dass uns der Autor mit diesem Werk darauf hinweisen möchte, dass die „Bildzeitung“ schlecht für das Volk ist und dem Leser Märchen und Lügen suggeriert.

Hauptteil

Formale Aspekte

Das Gedicht besteht aus 4 Strophen. Die ersten drei Strophen bestehen aus 8 Zeilen, nur die letzte Strophe besteht aus 15 Zeilen. Zunächst finden wir in diesem Werk kein Reimschema und kein Metrum. Die Verse der zweiten und dritten Strophe stimmen jedoch – mit Ausnahme des ersten Verses – in der Anzahl der Silben genau überein. Die Strophen eins bis drei gleichen sich sowohl inhaltlich als auch in ihrer Versstruktur, während sich die letzte Strophe deutlich abhebt; durch ihre Länge einerseits, andererseits durch die inhaltliche Wende, die stattfindet.
Das Gedicht richtet sich direkt an den Leser der Bildzeitung. Dies lässt sich schon bei der Überschrift des Werkes erahnen. Jeweils der vorletzte Vers der ersten drei Strophen zitiert einen Auszug aus Grimms Märchen.

Sprachliche Aspekte und deren Wirkung und Funktion

Der Verfasser verwendet durchgehend die Montagetechnik. An jedem Strophenanfang spricht er so auf entstellende und verfremdende Weise verschiedene Typen bzw. Berufsbezeichnungen von Bildzeitungslesern an. So wird aus Z. 2: „Markenstecher Uhrenkleber“ der Markenkleber und Uhrenstecher, aus Z. 9: „Manitypistin Stenoküre“ die Stenotypistin und die Maniküre, aus Z. 17: „ Soziolvieh Stimmenpartner“ wird Stimmenvieh und Sozialpartner.

Des Weiteren verwendet er Zitate aus Grimms Märchen wie z.B. in Z. 7.:(Tischlein deck Dich) welche in Verbindung mit jeweils des zweiten und des letzten Verses der ersten drei Strophen zu bringen sind.

Diese Technik zieht sich durch das gesamte Gedicht. Nur so kann die Bedeutung der zweiten Strophe erkannt werden. Denn zwischen diesen ganzen Begriffen aus der Zeitung taucht plötzlich in Zeile 13. das Wort „Schenkel“ auf. Um sich dessen Bedeutung bewusst zu werden, muss man einige Begriffe in dieser Strophe wieder entfremden. Aus der Kombination in Z. 10: „du wirst schön sein“, Z.11-12: „Wenn der Produzent will wird Dich Druckerschwärze salben“, und die Aufforderung aus Z. 15: „ Eselin streck Dich“ wird durch den Kontext deutlich, dass der Verfasser damit ausdrücken will, dass die durch die Zeitung gepriesenen Schönheiten die aus einer Manitypistin Stenoküre eine Diva machen teilweise zustande kommen, wenn diese Frauen mit den Produzenten den Beschlaf vollziehen. Dieses macht er auch noch mal durch das Adjektiv „salben“ deutlich. Salben kommt aus dem kirchlichen Sprachgebrauch und drückt in diesem Zusammenhang aus, dass jemand in der Zeitung gelobt und gepriesen wird.

Nun möchte ich auf die Zitate aus Grimms Märchen und den so entstehenden Kontext innerhalb der Strophen eingehen. In den ersten drei Strophen werden die Versprechungen der Bildzeitung dargestellt. Diese Märchen sind die Zentralen Motive des Gedichtes. : „du wirst reich sein“, „du wirst schön sein“ und „du wirst stark sein“. Im jeweils vorletzten Vers der ersten drei Strophen (also Z. 7, 15, 23). Diese Versprechungen sind alle im Kontext zu den Märchenzitaten der ihnen zugehörigen Strophe zu verstehen. So wird aus „Tischlein deck Dich“ (Z.7) die Lotterie, aus Z. 15 „Eselin streck Dich“ (s.o.), und aus Z. 24 „Knüppel aus dem Sack“ könnte man als Symbol für die Staatsgewalt verstehen, wenn man den Knüppel mit dem Stock der Polizisten assoziiert.

Des Weiteren finden wir den Namen Turandot (Z.6). Laut Wikipedia ist auch dieses eine Märchenfigur. Sie war eine schöne, aber gefühlskalte chinesische Prinzessin, die nur den Freier erhören wollte, der drei von ihr gestellte Rätsel lösen konnte. Wer versagte wurde enthauptet. Den Bezug zur Realität zeigt er uns, indem er sie den „unfehlbarer Tip“ (Z. 6) der das „Heer beschmutzter Prinzen“ (Z. 5) zu Reichtum führen soll abgeben lässt, mit dem Mittel der Montage.

Die Versprechungen der Bildzeitung, welche durch ihre Märchen Wirklichkeit werden, enttarnt er in der letzten Strophe durch die Verwendung verschiedener Stilmittel als Lügen. Er beginnt die Strophe anders als zuvor. Zwar spricht er den Leser wieder direkt an, lässt aber die Verfremdung, sondern verstärkt die direkte Anrede durch die Wiederholung von „Du“ was in Z. 25 „Auch Du auch Du auch Du“ deutlich wird.

Des Weiteren greift er die Adjektive „stark“, „schön“ und „reich“ wieder auf und bringt diese in einen negativen Kontext. So schreibt er in Z. 28: „reich, stark erniedrigt“, Z.27/28.: „an Lohnstreifen und Lügen/ reich“, Z. 30.: „schön besudelt“. Bei Z. 28 verwendet er auch zum ersten Mal ein Satzzeichen (Komma) und beginnt mit Pausen als Stilmittel zu arbeiten, womit er z.B. dem Adjektiv „reich“ durch die gesetzte Betonung auch eine besondere Bedeutung im Kontext verleiht.

Im letzten Teil des Gedichtes bringt er die Bildzeitung mit dem Tod in Verbindung. Der Tod des Lesers Z. 35: „Möge die Erde dir leicht sein“. Die Bildzeitung ist „das Leichentuch/ aus Rotation und Betrug“ (Z. 36/ 37), in das sich täglich gewickelt wird. Daraus entsteht ein Fazit, welches ausdrückt, dass sich der Bildleser mit dieser Zeitung jeden Tag aufs neue in eine Welt aus Lüge und Betrug begibt und somit ein lebloser Geist auf Erden ist.

Abschluss und persönliche Wertung

Nach der Analyse und Interpretation des Textes möchte ich nun abschließend auf meine Interpretationshypothese kommen, welche sich bestätigt hat. Der Verfasser möchte uns mittels diesem Werk die Gefahren aufzeigen, welche entstehen, wenn man den Lügen und Märchen der Bildzeitung Glauben schenkt. Er möchte uns warnen leblose Geister zu werden.

Ich könnte mir gut vorstellen, dass er dieses nicht nur auf die Bildzeitung bezieht, sondern das dieses eine allgemeine Lehre ausdrückt, welche besagt, dass man sich davor hüten soll den Märchen und Lügen der Welt mit Leichtgläubigkeit und Naivität entgegenzugehen ohne Kritik und verstand, da man sonst zu einem Willenlosen und Steuerbaren, geistlosen Individuum wird.

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