Trakl, Georg - De profundis (Gedichtinterpretation)

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Georg Trakl, Analyse, Interpretation, Referat, Hausaufgabe, Trakl, Georg - De profundis (Gedichtinterpretation)
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Referat

Gedichtinterpretation: „De profundis“ von Georg Trakl

De profundis
von Georg Trakl

Es ist ein Stoppelfeld, in das ein schwarzer Regen fällt.
Es ist ein brauner Baum, der einsam dasteht.
Es ist ein Zischelwind, der leere Hütten umkreist
Wie traurig dieser Abend.
 
Am Weiler vorbei
Sammelt die sanfte Waise noch spärliche Ähren ein.
Ihre Augen weiden rund und goldig in der Dämmerung
Und ihr Schoß harrt des himmlischen Bräutigams.
 
Bei der Heimkehr
10 
Fanden die Hirten den süßen Leib
11 
Verwest im Dornenbusch.
 
12 
Ein Schatten bin ich ferne finsteren Dörfern.
13 
Gottes Schweigen
14 
Trank ich aus dem Brunnen des Hains.
 
15 
Auf meine Stirne tritt kaltes Metall
16 
Spinnen suchen mein Herz.
17 
Es ist ein Licht, das in meinem Mund erlöscht.
 
18 
Nachts fand ich mich auf einer Heide,
19 
Starrend von Unrat und Staub der Sterne.
20 
Im Haselgebüsch
21 
Klangen wieder kristallne Engel.

(„De profundis“ von Georg Trakl ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (24.6 KB) zur Unterstützung an.)

Georg Trakl, einer der bedeutendsten Lyriker seiner Zeit, zeigt in seinem Gedicht „De profundis“ explizit „seine“ Welt. Das lyrische Ich schlägt die Augen auf und öffnet gleichzeitig den Blick des Lesers auf eine verzerrte Welt, die erdrückend und trostlos wirkt.

Eine Welt, die den Eindruck einer Albtraumsequenz vermittelt und in der das „Ich“ als Beobachter seine Umwelt betrachtet und seine subjektiven Empfindungen verarbeitet. Das Gedicht beginnt unvermittelt mit der Beschreibung, der das lyrische Ich umgebenden Welt. Es sieht sich um und beschreibt in Strophe 1 „ … ein Stoppelfeld, in das schwarzer Regen fällt.“(Z.1), das zweite Bild „… ist ein brauner Baum, der einsam dasteht.“ (Z.2). Beide Verse wirken, wie aneinander gereihte Bildsequenzen, die eine trostlose, düstere und verlassene Welt suggerieren. Die einzelnen Verse hinterlassen durch die verwendete Farbsymbolik und den Zeilenstil einen visuellen Eindruck, dieser grauen kalten Welt. Auffällig ist die Verwendung der Farben braun und schwarz, die an Verwesung und Tod erinnern. Bäume, die traditionell symbolisch für Leben stehen, werden durch die Farbsymbolik überlagert und tragen hier die Bedeutung des Verfalls. Dieser scheinbar fast tote Baum, der zudem einsam dasteht, impliziert das Gefühl der Verlassenheit. Regen, der Lebensgrundlage für die lebende Natur bildet, wird durch die Farbe Schwarz zu einem negativen Bedeutungsträger und bewirkt nicht mehr das Wachstum, sondern den Verfall des Baumes. Auch dieser letzte Baum, der verlassen und einsam dasteht, wird absterben. Das lyrische Ich nimmt sogar den Wind in seiner Umgebung wahr, der als Zischelwind näher beschrieben wird und „[…] leere Hütten umkreist.“(Z.3). Das Wahrnehmen des Windes verstärkt das äußerst realistische Empfinden des Traumes durch das lyrische Ich. Leere Hütten lassen darauf schließen, dass alles Leben verschwunden zu sein scheint. Mithilfe der Anapher in Vers 1-3 „Es ist ein […]“ versucht das lyrische Ich für sich selbst zu realisieren, dass das, was es sieht wirklich ein Stoppelfeld oder ein Baum ist, wobei beide Elemente auf einen Abend im Herbst hindeuten. Es scheint, als wolle sich das lyrische Ich die traurige Welt, von der es umgeben ist, bewusst machen. Diese Erkenntnis äußert sich dann in der 4. Zeile, indem es bemerkt „Wie traurig dieser Abend“ ist. Mit diesem letzten Vers der 1. Strophe schließen sich die einzelnen Elemente zu einem Gesamtbild der Umgebung des lyrischen Ichs.

Die 2. Strophe öffnet ein neues Bild und zeichnet ein schrittweises Erkunden, der scheinbar befremdlich wirkenden Welt, indem das lyrische Ich seinen Weg skizziert. Dieser Weg kennzeichnet sich vom Stoppelfeld bis zum Weiler, wo das lyrische Ich ein junges Mädchen beobachtet. Sie wird als sanfte Waise beschrieben, die scheinbar die letzten Ähren einsammelt. Auch hier greift Trakl das Symbol der Verlassenheit auf. In Vers 7 wird deutlich, dass das Mädchen keine Ähren im eigentlichen Sinne sammelt, sondern „Ihre Augen weiden rund und goldig in der Dämmerung und ihr Schoß harrt des himmlischen Bräutigams“. Durch das symbolische Element des „himmlischen Bräutigams“ kristallisiert sich der Bezug zur göttlichen Instanz heraus, sowie das Vertrauen in Gott und verdeutlicht erste Parallelen zum Titel des Gedichts. Das Mädchen welches sich in die Natur begibt, um so in einen „Dialog mit Gott“ zu treten und durch ihren Blick in die Dämmerung Hoffnung sucht, hebt die Erwartungshaltung an die christliche Religion hervor. Dies geschieht durch die Verknüpfung von sexuellen und religiösen Elementen. Sie hofft auf ihre Erlösung durch Gott, denn dieser ist es, worin die Menschen Zuversicht suchen, wenn alle anderen Instanzen durch Hoffnungslosigkeit geprägt sind.

Das als Sonett gestaltete Gedicht zeigt mit der 3. Strophe nicht nur eine äußere Zäsur, sondern auch einen Umbruch auf der Inhaltsebene. Zwischen diesen Strophen befindet sich ein zeitlicher Abstand, denn das lyrische Ich beschreibt die Heimkehr seines Weges. Dort wird der schon verweste Leib des Mädchens von Hirten in einem Dornenbusch aufgefunden.

Das Auffinden der verwesten Leiche im Dornenbusch beinhaltet mehrere religiöse Aspekte.

Die tragende Bedeutung der Hirten und des Dornenbusches, die einen klaren Bezug zur Bibel aufweisen, liegt in der Verneinung des Glaubens an einen Gott. Die Hirten, die als Metapher für Gott in Erscheinung treten, finden das Mädchen verwest im Dornenbusch, was symbolisch für den Verlust des Gottvertrauens steht. Das Gedicht provoziert nahezu einen biblischen Bezug und das Vorhandensein eines Gottes, dennoch wird die Präsenz der christlichen Religion nihiliert. Das Symbol des Dornenbuschs steht für Missachtung, denn in der Bibel setzten die Römer Jesus den Dornenkranz auf, um ihn zu verspotten. Auch hier spiegelt sich der Nihilismus der göttlich weltlichen Instanz wider.

Das lyrische Ich hat seinen Glauben an Gott verloren, dieser Gott, der Zuversicht schenken soll ist für ihn entkräftet. Es beschreibt sein Dasein mit der Metapher Schatten und kennzeichnet somit, wie wenig Kraft und Lebensmut es ausfüllen. „Ein Schatten bin ich ferne finsteren Dörfern.“ (Z.12) Der Verlust des Gottvertrauens und der dadurch bedingte Verfall des lyrischen Ichs, wird durch die zentrale Position in der Strophe, der Erkenntnis „Gottes Schweigen“ (Z.13), intensiviert. Selbst der Hain, der in der Bibel als geweihter Wald auftritt, bietet dem lyrischen Ich keine religiöse Zuversicht, denn es kommt zu der Erkenntnis, dass auch dort Gott „schweigt“. Das Wandeln, die Suche des lyrischen Ichs nach einem Gott, findet ein jähes Ende in Vers 15.

„Auf meine Stirne tritt kaltes Metall/ Spinnen suchen mein Herz.“ (Z.15-16) Zerbrochen an seiner trostlosen Umwelt und seiner tiefen Melancholie, sucht das lyrische Ich verzweifelt nach Regungen im Herzen und stellt fest, dass es kalt zu sein scheint. So kalt und emotionslos, dass Spinnen es schon symbolisch vereinnahmen, die ebenso eine Bedrohung darstellen. Zuvor beschreibt das lyrische Ich, wie kaltes Metall an seine Stirn tritt, was auf den Entschluss hindeutet, Selbstmord zu begehen.

Und selbst dieser Aspekt, lässt das Herz des lyrischen Ichs kalt, Leben und Tod scheinen bedeutungslos geworden zu sein. Mit dem Auslöschen des Lichts, das als Metapher für den Odem des Lebens fungiert, entweicht auch seine Seele. „Es ist ein Licht, das in meinem Mund erlöscht.“ (Z.17) Das Bewusstwerden der Einsamkeit, der Leblosigkeit und der Abwesenheit Gottes ziehen einen Verlust des Menschseins nach sich und findet seinen Höhepunkt in der Auslöschung des Lebens, da die erhoffte Erlösung durch Gott nicht stattgefunden hat. Der Zustand des Todes kennzeichnet die Endgültigkeit, die alle Grenzen eines menschlichen Lebens destruiert. An dieser Stelle zeigen sich die deutlichsten Parallelen zum Titel des Gedichts. Das lyrische Ich ist auf der Suche nach der göttlichen Instanz und gleichzeitig auf der Flucht vor dieser schwermütigen trostlosen Welt, zu der es jeglichen Bezug verloren hat. Während dieser Suche setzt die Erkenntnis ein, dass Gott selbst in der Natur nicht mehr zu finden ist. Das „De profundis“ ist für das lyrische Ich ein Gebet der Hoffnungslosigkeit, denn selbst die Quelle des Guten, kann sein schmerzliches Empfinden, welches durch die Welt geprägt ist, nicht lindern.

Strophe 6 scheint sich aus der beschriebenen Traumsequenz zu lösen und bildet ein eigenständiges Bildelement, das Element des Wieder-Erwachens aus der Traumwelt.

Denn inzwischen ist es Nacht geworden und das lyrische stellt fest: „Nachts fand ich mich auf einer Heide, / Starrend von Unrat und Staub der Sterne.“ (Z.18-19). Der Zeitsprung auf der Inhaltsebene und das Wieder-Zu-Sich-Finden verstärkt den Aspekt der Traumsequenz. Aber auch die Realität scheint die gleiche Welt zu zeigen, wie der Albtraum des lyrischen Ichs und diese Realität scheint noch nüchterner, angsteinflößender und erschreckender zu wirken, da sie die wahre Welt widerspiegelt. Eine Welt, die „Starrend von Unrat und Staub der Sterne“, sowie Einsamkeit und voller enttäuschter Hoffnung ist (Z.19). Dennoch hört das lyrische Ich „Im Haselgebüsch […] wieder kristallne Engel“ klingen, die vielleicht als Boten Gottes oder menschliche Seelen fungieren, obwohl das Gedicht aufgrund seiner melancholischen Schwermütigkeit kaum Spielraum für jegliche Zuversicht lässt (Z.20-21).

Das lyrische Ich zeigt das Bild der Realität durch seine Augen, um dieses subjektive Empfinden zu verdeutlichen und zum Ausdruck zu bringen. Die Wahrnehmung der Umwelt wird in einen verzerrten Traum transformiert, wobei die Natur mit Chiffren des Grausamen in Opposition treten, wie zum Beispiel das Stoppelfeld und „ein schwarzer Regen“. (Z.1) Die Verkettung biblischer Symbole deuten auf eine prophetische Funktion hin, die als unbewusste Dimension des lyrischen Ichs in Erscheinung tritt. Auffällig ist der Aspekt der Reimlosigkeit und eine Vielzahl von Enjambements, die eine Verbindung zwischen den einzelnen Versen herstellen und somit die Deutung des Inhalts erschweren, wie in Zeile 9-10.

„Bei ihrer Heimkehr / Fanden die Hirten den süßen Leib / Verwest im Dornenbusch.“

Das lyrische Ich stellt nicht zwangsläufig den Verfasser des Gedichts dar, dennoch zeigt es charakteristische Merkmale Trakls, der größtenteils in gesellschaftlicher Isolation lebte. Es konturiert das Leben in der Abgeschiedenheit und empfindet seine Umwelt als trostlos, erdrückend, desillusionierend und zieht sogar den Abschied vom Leben in Erwägung, wie Trakl es später nach Erscheinen des Gedichts in der Realität vollzogen hat. Selbst der Hilferuf an Gott kann diese desillusionierende Situation nicht entschärfen und die Erkenntnis der Gottlosigkeit der Welt endet im Verfall des Einzelnen.

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