Brecht, Bertolt - Entdeckung an einer jungen Frau (Inhalt & Interpretation)

Schlagwörter:
Bertolt Brecht, Formale Aspekte, Gedichtinterpretation, Kommunikationssituation, Motive, Referat, Hausaufgabe, Brecht, Bertolt - Entdeckung an einer jungen Frau (Inhalt & Interpretation)
Themengleiche Dokumente anzeigen

Referat

Bertolt Brecht: „Entdeckung an einer jungen Frau“ (1925/26)

Epoche: Neue Sachlichkeit (1920-1940)

Gliederung / Inhalt

Formale Aspekte

  • 4 Strophen (2 Quartette und 2 Terzette)
    → Sonett; Gelegenheitslyrik
  • kein einheitliches Metrum → epischer Charakter
  • Reimschema:
    1.Quartett: Kreuzreim abab
    2.Quartett: umarmender Reim cddc
    1.Terzett: efg
    2.Terzett: egf
  • Vor der Tür mit Beobachtung:
    1. Quartett: Darstellung der Abschiedssituation mit Feststellung des Altern und des Entschlusses nicht zu gehen
    2. Quartett: Betroffenheit des lyrischen Ichs aufgrund seiner Feststellung
  • Folgerung aus der Beobachtung
    1. Terzett: Appell, die Zeit zu nutzen („carpe diem“ – Motiv)
    2. Terzett: Aufkommen von Begierde mit Aufforderung, Sinnesfreuden zu genießen
  • klare Struktur

[zurück zum Inhaltsverzeichnis]

Inhalt

  • zwei inhaltliche Abschnitte (Verwicklung und Lösung)
    • vor der Tür mit Beobachtung
  • → 1.Quartett: Darstellung der Abschiedssitation mit Feststellung des Alterns und dem Entchluss, nicht zu gehen
  • → 2.Quartett: Betroffenheit des lyrischen Ichs aufgrund seiner Feststellung
    • Folgerung aus der Beobachtung
  • → 1.Terzett: Appell, die Zeit zu nutzen („carpe diem“)
  • → 2.Terzett: Aufkommen von Begierde mit Aufforderung, Sinnesfreuden zu genießen
  • Das lyrische Ich appelliert in einer konkreten Alltagssituation an die Frau, den schon beendeten Liebesakt wiederaufzunehmen.
  • Trotz körperlicher Nähe ist eine Distanz da: Aus eher beobachtender Position wird die Geliebte als „eine Frau“(V.1) bezeichnet.
  • Das lyrische Ich stellt explizit nur die Vergänglichkeit der Frau fest (V.13).
  • Aufgreifen barocker Motive unter konkreter Beobachtung
    • „Vanitas“: konkrete Beobachtung des Alterns (V.3+13)
    • „Carpe diem“: Wahrnehmung erotischer Liebe (V.10,12+14)
    • „Memento mori“: metaphorischer Gebrauch von „zwischen Tür und Angel“ (V.2,11) als Ort des Abschieds vom Leben

[zurück zum Inhaltsverzeichnis]

Gedichtinterpretation / Analyse

Das Gedicht „Entdeckung an einer jungen Frau“ wurde von Bertolt Brecht im Jahre 1925/26 geschrieben.

Eugen Berthold Friedrich Brecht (geboren am 10. Februar 1898 und gestorben am 14. August 1956), beruflich bekannt als Bertolt Brecht, war ein deutscher Theatermacher, Dramatiker und Dichter.

In München während der Weimarer Republik lebend, hatte er erste Erfolge mit Theaterstücken, deren Themen oft von seinem marxistischen Denken beeinflusst wurden. Er war der Hauptvertreter des Genres Episches Theater (das er lieber als "dialektisches Theater" bezeichnete). Während der Nazizeit und des Zweiten Weltkriegs lebte er im Exil, zuerst in Skandinavien und dann in den Vereinigten Staaten. Nach dem Krieg kehrte er nach Ostberlin zurück und gründete mit seiner Frau und langjährigen Mitarbeiterin, der Schauspielerin Helene Weigel, die Theatergruppe Berliner Ensemble.

Das Gedicht „Entdeckung an einer jungen Frau“ beschreibt auf eine sehr nüchterne und distanzierte Weise, typisch für die Epoche der Neuen Sachlichkeit, den Abschied eines Liebespaares nach einer gemeinsamen Nacht, wobei dem männlichen Partner die Vergänglichkeit der Frau bewusst wird, sodass er daraufhin an sein Gegenüber appelliert, den Tag zu nutzen.

Das Gedicht ist in Sonettform verfasst, bestehend aus vier Strophen mit zwei Quartetten und anschließend zwei Terzetten. Eine klare Grundstruktur wird dadurch verliehen.

Im ersten Quartett wird knapp die Situation beschrieben, in der sich das lyrische Ich befindet. Es scheint sich nach einer Liebesnacht von einer Frau zu verabschieden, jedoch auf eine sehr distanzierte Art („Des Morgens nüchterner Abschied, eine Frau“, V. 1). Eine graue Strähne im Haar der Frau macht dem Sprecher allerdings deren Vergänglichkeit bewusst, sodass er sich beschließt, eine weitere Nacht zu bleiben (V. 3ff.)

Im zweiten Quartett wird dem lyrischen Ich von seinem weiblichen Gegenüber die Frage gestellt, warum er nun, entgegen der vorher getroffenen Abmachung, eine weitere Nacht bleiben möchte. In der nächsten Strophe, dem ersten Terzett, wird die Antwort gegeben. Aufgrund des plötzlich erwachten Bewusstseins für ihre Vergänglichkeit und Sterblichkeit, solle nun die Zeit hinreichend genutzt werden, um das Leben weiterhin zu genießen.

Das zweite Terzett greift noch einmal den Wunsch auf, den Tag und die Zeit zu nutzen aufgrund des Verfalls der jungen Frau. Deshalb keimt zudem plötzliche Begierde in dem Sprecher auf.

Im Gedicht ist kein einheitliches Reimschema zu finden. So lässt es sich im ersten Quartett als Kreuzreim (abab) beschreiben, wodurch Inhalt und Reim miteinander verschränkt werden. Das zweite Quartett hingegen ist in Form eines umarmenden Reims (abba) verfasst. Auf diese Weise wird der Strophe ein Rahmen gegeben, wodurch der Inhalt in sich abgeschlossen wirkt. Die beiden Terzette unterscheiden sich ein weiteres Mal von den bereits verwendeten Reimschemata. Ein eindeutiges Schema ist nicht auszumachen, jedoch sind die Reime strophenübergreifend (abcacb). Die Inhalte der beiden Strophen scheinen miteinander zu korrespondieren, da jeweils auch die gleichen Motive aufgegriffen werden. Sprich, das Motiv vanitas und die daraus resultierende Forderung den Tag zu nutzen (carpe diem) (vgl. V. 10f.; 12f.)

Wie schon das Reimschema ist auch das Metrum nicht eindeutig zu identifizieren. Das Gedicht scheint vielmehr einen Erzählfluss als einen typisch lyrischen Rhythmus zu haben. Orientiert am Gebrauchswert seines Gedichts fügte der Dichter ihm durch Enjambements (vgl. V. 5f.; 12f.) einen epischen und dokumentarischen Charakter bei. Dadurch wird das Lesen und Verstehen deutlich einfacher. Brecht wollte damit das Gedicht einer größeren Bevölkerungsschicht zugänglich machen. Das Gedicht sollte leicht zu verstehen sein und jeder sollte die Inhalte auf sich selbst übertragen können.

Die Sprache erscheint generell recht kühl und distanziert. Dies ist als ein typisches Merkmal der Neuen Sachlichkeit zu werten. Brecht verzichtet auf eine emphatische Darstellung des Inhalts und lenkt durch Sachlichkeit und Objektivität die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Erkenntnis des lyrischen Ichs, dass jeder Mensch vergeht und eines Tages stirbt. So steht die Frau „Kühl zwischen Tür und Angel[…]“ (V.2), was nicht nur ihren Aufenthaltsort beschreibt, sondern auch die Zeit des Umbruchs, in der sie sich befindet. Die Jugend vergeht und der Mensch wird alt bis er gänzlich vergeht. Dieses Wissen lässt den Sprecher erschrecken, sodass er entgegen der scheinbar vorher getroffenen Abmachung nur eine Nacht zu bleiben, länger verweilt und beginnt auf sie einzureden.

Verdeutlicht wird dies durch das Repetitio der Metapher „zwischen Tür und Angel“ (vgl. V. 2, 11). Er fordert sie auf, nun den Tag zu nutzen und betont auch das Motiv carpe diem genau wie vanitas mehrmals (vgl. V. 10, 12). Letztlich lässt die Sorge „Begierde“ (V. 14) in dem Sprecher aufflammen auch als Beweis dafür, dass nun die Zeit genutzt wird und werden muss, vermutlich mittels einer sexuellen Handlung. Auch dies ist ein typischer thematischer Schwerpunkt in Brechts lyrischen und literarischen Darstellungen. Sowohl Thematik als auch Sprache werden volksnäher und verständlicher für jedermann.

Mit Blick auf die Sprechersituation des Gedichts, lässt sich grundsätzlich feststellen, dass „Entdeckung an einer jungen Frau“ sich vorrangig am Nutzen für die Leserschaft orientiert, die es verstehen, verinnerlichen und auf dieser Grundlage zu einer eigenen Meinung gelangen sollen. Das Gedicht lässt sich daher der Gebrauchslyrik zuordnen. Innerhalb des Gedichts scheint es, als würde in der zweiten, dritten und vierten Strophe ein Dialog zwischen dem Sprecher und der Frau stattfinden. Die beiden kommunizieren miteinander, auch wenn die Frau nur indirekt in Erscheinung tritt und somit lediglich das lyrische Ich den aktiven und direkten Part übernimmt. Es scheint, als würde das Gespräch von dem Sprecher wiedergegeben werden, da keine wörtliche Rede zu finden ist, er sie aber indirekt zitiert („[…] und als sie fragte/ Warum ich Nachtgast […]“, V. 5f.). Ihre Gedanken werden dem Leser ansonsten nicht weiter offenbart, die des Sprechers, der schon fast wie ein Erzähler erscheint, hingegen schon („Und es verschlug Begierde mir die Stimme“, V. 14)

Bei „Entdeckung an einer jungen Frau“ handelt es sich um ein typisches Gedicht der Neuen Sachlichkeit. Durch eine volksnahe Sprache wendet sich Brecht an eine breite Bevölkerungsschicht. Somit kann jeder Leser diese einfache und schnörkellose Situation, die das Gedicht beschreibt auf sein Leben projizieren. Letztlich orientierte sich Brecht beim Verfassen des Gedichtes vorrangig am Nutzwert des Textes, der jedem Leser die Vergänglichkeit des einzelnen Menschen aufgrund seiner Sterblichkeit aufzeigen soll. Die recht kurze Dauer des Verweilens auf Erden soll dem Leser vor Augen geführt werden. Meine Verstehenshypothese, die ich am Anfang meiner Ausführungen aufgestellt habe, betrachte ich damit als bestätigt. Die graue Strähne erweckt in dem lyrischen Sprecher ein neues Bewusstsein für die Vergänglichkeit, wodurch er sich zum Handeln gezwungen fühlt und ebenfalls sein Gegenüber zum Tun auffordert. Als ersten Schritt in diese neue Welt des carpe diem steht der Begriff der Begierde, der sowohl für sexuelles Verlangen als auch die Lust auf mehr im Leben beschreibt. Die neue Lust des Sprechers als auch der des Lesers, die eigene verbleibende Zeit ausreichend zu nutzen, ist geweckt.

[zurück zum Inhaltsverzeichnis]

Gedichtform

Sonett (Anlehnung an barocke Traditionen)

Durch den eher epischen Stil in Verbindung mit der Alltagssprache entsteht ein Gegengewicht zu der streng durchkomponierten Form des Sonetts → literarische Spannung

Barockes Sonett: 2 Strophen mit je vier Versen (Quartette) und zwei Strophen mit je drei Versen (Terzette). Übliches Versmaß ist der Alexandriner mit 6-hebigen Jamben mit starken Zäsuren, häufig in der Versmitte. Auch inhaltlich ein „antithetischer Aufbau“: Terzette belegen die in den Quartetten aufgestellten Behauptungen → Auflösung der Spannung.

[zurück zum Inhaltsverzeichnis]

Kommunikationssituation

  • Das lyrische Ich appelliert in einer konkreten Alltagssituation an die Frau, den schon beendeten Liebesakt wieder aufzunehmen
  • Trotz der körperlichen Nähe ist eine Distanz festzustellen: Aus eher beobachtender Position wird die Geliebte unpersönlich und sachlich als „eine Frau“ bezeichnet.
  • Das lyrische Ich stellt explizit nur die Vergänglichkeit der Frau fest- „Wir vergaßen ganz, daß du vergehst.“ (V. 13)

[zurück zum Inhaltsverzeichnis]

Gedicht der Neuen Sahlichkeit

  • authentisches Erleben von Liebe im Alltag → Gelegenheitslyrik
  • Betonung der sexuellen Dimension von Liebe
  • Subjektivität
  • distanzierte Beobachtung, nüchterne Schilderung des Geschehens

→ Liebesvorstellung

  • nüchterne Alltagssprache
  • epischer Stil

→ formale Aspekte

[zurück zum Inhaltsverzeichnis]

Motive

Aufgreifen barocker Motive unter konkreter Wahrnehmung

  • „vanitas“: konkrete Beobachtung des Alterns (vgl. V.3, 13)
  • „carpe diem“: Wahrnehmung erotischer Liebe (vgl. V.10, 12 u. 14)
  • „memento mori“: metaphorischer Gebrauch von „zwischen Tür und Angel“ (V.2, 11) als Ort des Abschieds vom Leben

[zurück zum Inhaltsverzeichnis]

Gelegenheitsgedicht:

Momentaufnahme / Reaktion auf konkrete Situationen im Alltag

  • das Gedicht gibt sich eher unspektakulär
  • authentisches Erleben der Liebe im Alltag
  • Appell, die Gunst der Stunde zu nutzen, basiert auf einer Beobachtung des lyrischen Ich, das erst Betroffenheit und dann Begierde empfindet.
  • Liebe wird auf sexuell-sinnliche Begegnung reduziert

[zurück zum Inhaltsverzeichnis]

Wirkungsabsicht

  • Neue Sachlichkeit (1920 – 1940)
    • Beobachtungen des realen Alltags → objektive und kritisch-distanzierte Wiedergabe
    • Schlichte und sachliche Ausdrucksweise
    • Thema: politisches, alltägliches, zwischenmenschliches Geschehen, das auf den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen der Zeit beruht
  • Übertragung auf Brechts „Entdeckung an einer jungen Frau“
    • Das lyrische Ich wirkt in seiner Betrachtungsweise eines recht emotionalen Themas (eine - auf das Sexuelle reduzierte - Liebesbeziehung zu einer Frau) eher distanziert
    • Schlichte Sprache, sachlich-kühle Ausdrucksweise, nüchterne Schilderung des Geschehens durch das lyrische Ich
    • Wiedergabe eines kurzen Dialogs in indirekter und direkter Rede
  • Form des Sonetts könnte deshalb auch als Ironisierung der traditionellen Liebesvorstellung angesehen werden

[zurück zum Inhaltsverzeichnis]

Zurück