Walser, Martin - Jagd (Analyse Auszug Lebendiger Mittagstisch)

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Martin Walser, Roman Jagd, Lebendiger Mittagstisch, Familie Zürn, Interpretation, Referat, Hausaufgabe, Walser, Martin - Jagd (Analyse Auszug Lebendiger Mittagstisch)
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Referat

Analyse „Lebendiger Mittagstisch“

In dem Auszug „Lebendiger Mittagstisch“ aus Martin Walsers Roman „Jagd“ geht es um ein Gespräch am Mittagstisch der Familie Zürn, das aufgrund eines Missverständnisses eskaliert. Da eine schlechte Stimmung herrscht, fordert die Mutter ihre zwei Töchter und ihrem Mann dazu auf, doch nicht „mit solchen Gesichtern am Tisch [zu] sitzen“, was ihre Tochter Julia falsch versteht („Ich habe kein anderes“). Die Absicht der Mutter ist es eigentlich, ihre Familie dazu aufzufordern, fröhlichere Gesichter aufzusetzen, doch diese Redensart ist Julia anscheinend nicht bekannt. Die Nachricht der Mutter soll den Appell „Schaut doch bitte fröhlicher“ übertragen und zusätzlich zum anschließenden „Das halte ich nicht aus“ klar machen, dass die Mutter mit der Situation nicht zufrieden ist. Dadurch, dass Anna wie alle anderen Familienmitglieder durch vorherige Ereignisse gereizt ist, vermittelt sie diese Gereiztheit auch auf der nonverbalen Ebene. Hier findet sich die Störquelle des Gesprächs, nämlich die Nichtübereinstimmung der verbalen mit der nonverbalen Ebene. Aus dem Text lässt sich entnehmen, dass Anna der beabsichtigte entspannte Ton nicht glückt, sondern die durch andere äußere Umstände („jeder war von irgendjemandem an diesem Vormittag beleidigt worden“) verursachte Gereiztheit mitklingt, wodurch die Aussage eine andere Bedeutung bekommt, nämlich dass die Mutter von ihrer Familie genervt ist.

Julia hingegen interpretiert in diese Nachricht anscheinend auch eine Definition der Beziehung hinein und fühlte sich persönlich angegriffen, was dadurch, dass sie diese Redensart wahrscheinlich nicht kennt, ausgelöst wird. Sie fühlt sich durch den Bezug auf ihr Aussehen beleidigt, was sie im weiteren Verlauf des Gesprächs noch ausführt („Ringe unter den Augen“, „Bindegewebsschwäche“). Für sie ist unverständlich, warum auch ihre Familie in diesem Punkt über sie herfällt, da sie doch nichts dafür kann, sondern ihr diese Merkmale gerade von ihren Eltern vererbt wurden. Die Eltern sind dieses Verhalten von ihrer Tochter anscheinend schon gewohnt („…dass Julia, bitte, nicht schon wieder ihre alte Klage- und Vorwurfsplatte abspiele…“) und gehen deshalb nur wenig auf sie ein und geben sich nicht genug Mühe, das Missverständnis zu klären.

Durch die nicht beabsichtigte und von Julia falsch verstandene Offenheit ihrer Mutter fühlt diese sich auch dazu ermuntert, ehrlich zu ihren Eltern zu sein („dann sei jetzt Schluss mit dem Verschweigen“). Von ihrem Vater darauf angesprochen, ob sie heute eine Klassenarbeit geschrieben hätte, offenbart sie ihren Eltern, dass sie im Herbst die Schule beenden will und es ihre Eltern nichts anginge, was sie danach vorhat. An dieser Stelle eskaliert das Gespräch, die sich wahrscheinlich ebenfalls verletzt fühlende Anna springt auf und läuft ins Schlafzimmer. Am Tisch bleiben eine verbitterte Julia, ihre erschrockene Schwester sowie der ratlose Vater zurück.
Es ist interessant zu sehen, wie aus einer Bemerkung, die eigentlich die Stimmung am Tisch heben sollte, eine solche Eskalation der Situation hervorgehen kann. Nur dadurch, dass Anna ihre Aufforderung unbeabsichtigt in einem anderen Ton spricht und Julia die von ihr verwendete Redensart nicht kennt, kommt es dazu, dass sich Julia beleidigt fühlt und durch ihre Offenheit wiederum ihre Mutter verletzt. 

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