Gryphius, Andreas - Thränen des Vaterlandes (Gedichtinterpretation)

Schlagwörter:
Andreas Gryphius, Krieg, Barock, 30-jähriger Krieg, Gedicht, Interpretation, Referat, Hausaufgabe, Gryphius, Andreas - Thränen des Vaterlandes (Gedichtinterpretation)
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Referat

Andreas Gryphius (1616 – 1664) „Thränen des Vaterlandes“ (1636)

Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr dann ganz verheeret!
Der frecher Völker Schar, die rasende Posaun,
Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun
Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret.

Die Türme stehn in Glut, die Kirch ist umgekehret,
Das Rathaus liegt um Graus, die Starken sind zerhaun,
Die Jungfraun sind geschänd't, und wo wir hin nur schaun,
Ist Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfähret.

Hier durch die Schanz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut;
Dreimal sind's schon sechs Jahr, als unsrer Ströme Flut,
Von Leichen fast verstopft, sich langsam fortgedrungen;

Doch schweig' ich noch von dem, was ärger als der Tod,
Was grimmer denn die Pest und Glut und Hungersnot:
Daß auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen.

„Noch einmal stürmt, noch einmal Freunde!“, so bezog schon Shakespeare zu seiner Zeit Stellung zum Thema Krieg. Wenn man heute gefragt wird, was man mit diesem Begriff assoziiert, hört man vor allem Antworten, wie: Bomben, Waffen, Tod, Hunger, Elend etc.
Im Jahre 1636 zur Zeit des 30-jährigen Krieges, sah dies nicht anders aus, nur sprach man hier noch nicht von Bomben, sondern eher von Schwertern, Geschützen, oder Ähnlichem. Tod, Elend, sowie Krankheit und Hunger waren den Menschen der damaligen Zeit aber ebenfalls bekannt. Über diesen Zustand des Krieges äußert sich Andreas Gryphius 1636, mitten im 30-jährigen Krieg. Dieser Autor, welcher von 1616 – 1664 lebte, und dessen Werke oft von starkem Pessimismus geprägt waren, verfasste nicht nur lyrische Werke, sondern beschäftigte sich ebenso mit der Dramatik, als auch mit Trauer- und Lustspielen. In seiner Kindheit durch den 30-jährigen Krieg stark geprägt, verfasste er mehrere Gedichte über diesen, ebenso, das mir vorliegende „Thränen des Vaterlandes“, welches 1636, 18 Jahre nach Beginn des Krieges entstanden ist und der Literaturepoche des Barock zuzuordnen ist. Der erste Leseeindruck wirkte dem Inhalt und der Form eher positiv gegenüber. Nicht in dem Sinne, dass ich das Motiv des Krieges als positiv empfinde, sondern die Machart, der Ausdruck an sich. Beim Lesen bekommt man das Gefühl, als befände man sich selbst auf diesem grausigen Schauplatz.

Bei genauerer Betrachtung der äußeren Form, fällt es als erstes auf, dass das vorliegende Gedicht eine Überschrift besitzt, was nicht für jedes Gedicht als selbstverständlich gilt. Dieses Werk setzt sich aus zwei Quartetten und zwei Terzetten zusammen, was darauf schließen lässt, dass es sich hier um ein Sonett handelt. In den beiden Quartetten beläuft sich das Reimschema auf einen umarmenden Reim, wobei man in der ersten und vierten Zeile jeweils eine weibliche und in der zweiten und dritten Zeile jeweils eine männliche Kadenz vorfindet. Die beiden Terzette bilden einen Schweifreim, wobei die ersten beiden Zeilen eine männliche und die jeweils dritte Zeile eine weibliche Kadenz aufweist. Trotz des Reimschemas sind auch unreine Reime zu finden. Als Beispiel könnte man hier „umgekehret“ (Z.5) und „durchfähret“ (Z.8) nennen. Beim Lesen wird unter anderem deutlich, dass ein Alexandriner mit deutlicher Mittelzäsur genutzt wurde, dessen Anwendung für den Barock typisch ist.

Bereits in der Überschrift befindet sich ein Hinweis auf das Entstehungsjahr (Anno 1636). Zudem kann man den Titel „Thränen des Vaterlandes“ bereits als Personifikation sehen, welche den Titel sehr bildhaft wirken lässt. Hinzu kommt, dass das Nomen „Thränen“ eine eher negative Wirkung besitzt, da man es sofort mit Trauer in Verbindung bringt. Hier könnte man schon darauf schließen, dass es sich um eine Klage handelt.
Gleich am Anfang bezieht sich das lyrische Subjekt durch das Personalpronomen „Wir“ (Z.1) selbst in das Werk mit ein. Somit kann es unterschwellig seine Meinung kundgeben. Kurz darauf wird ein Correctio und zugleich auch eine Wortwiederholung genutzt, wahrscheinlich, um die Aussage des Unglücks („verheeret“ (Z.1)) zu verstärken. Das gesamte Quartett ist geprägt von verstärkenden Adjektiven, welche für mehrere Metaphern genutzt werden. Gerade Wortgruppen, wie „die rasende Posaun“ (Z.2), sind hier als Hyperbel, sowie als Personifikation zu verstehen, welche Hektik und Grausamkeit des Krieges hervorhebt. Als nächstes nutzt Gryphius den Binnenreim „Schweiß/ und Fleiß/“ (Z.4) und eine Aufzählung „Schweiß/ und Fleiß/ und Vorrath“ (Z.4), welche die Vielzahl der körperlichen und seelischen Opfer aufzeigen. Ebenfalls macht das lyrische Ich darauf aufmerksam, dass die Organisation und Politik in der damaligen Zeit stark geschädigt wurde und nutzt hierzu die Formulierung „Das Rathauß ligt im Grauß […].“ (Z.6), die wiederum auch einen Binnenreim darstellen. Unter anderem zeigt die Wortgruppe „[…] die Starcken sind zerhaun/[…]“ (Z.6), dass bereits nach 18 Jahren, kaum noch starke Streitkräfte vorhanden waren und die Selbstzerstörung des 30-jährigen Krieges begonnen haben könnte. Zudem findet man in Bezug auf die nächste Zeile einen Parallelismus („die Starcken sind zerhaun“ (Z.6); „die Jungfern sind geschänd’t“ (Z.7)), was darauf schließen lassen könnte, dass Gryphius beides als gleichermaßen schlimm empfindet. Weitergehend nutzt er die Klimax „ist Feuer/ Pest und Tod […]“ (Z.8), was gegenüber dem darauf folgenden Teil „[…] der Herz und Geist durchfähret.“ (Z.8) eine Antithese bildet. Diese lässt sich folgendermaßen erklären. Feuer, Pest und Tod sind jeweils sehr negativ belastete Wörter, während Herz und Geist eine eher positive Wirkung besitzen. Hier könnte man zu dem Schluss kommen, dass all die schrecklichen Einflüsse des Krieges, die Liebe und Seele des Menschen zerstören, oder bereits zerstört haben. „Hir durch die Schantz und Stadt/ rinnt allzeit frisches Blutt.“ (Z.9) lässt vermuten, dass viele Soldaten verschieden stationiert wurden, aber durch Schlachten, oder Kämpfe starben bzw. die mit Menschen gefüllten Städte wurden durch Krankheit und Hunger immer mehr dahingerafft. Hierzu wird „frisches Blutt“ als Metapher und bildhafte Sprache genutzt, um dies näher zu beschreiben. Wahrscheinlich um den Leser wissen zu lassen, wie lang dieser Kriegszustand schon andauert, nutzt Gryphius die Aussage „Dreymal sind schon sechs Jahr/[…]“ (Z.10). Für das lyrische Subjekt vergeht diese Zeit sehr langsam („sich langsam fort gedrungen“ (Z.11)) und es meint, dass „[…] unser Ströme Flutt/ Von Leichen fast verstopft“ (Z.10/11). Hier nutzt es diese Übertreibung, um zu zeigen, dass es mittlerweile unzählige Tote gibt. Unterschwellig könnte man hier seine Meinung heraushören, welche besagt, dass es nun langsam genug Opfer gab. Im darauf folgenden Teil bringt sich das lyrische Ich selbst wieder mit ein, indem es das Personalpronomen „Ich“ (Z.12) benutzt. Das könnte es nutzen, um an dieser Stelle vorsichtig eine eigene Meinung mit einzubringen. Außerdem leitet es einen Gegensatz, oder eine Ankündigung ein, indem das Wort „Doch“ (Z.12) genutzt wird. Jetzt könnte man davon ausgehen, dass es noch etwas gibt, was schlimmer, als alle vorher berichteten Dinge ist. Es hebt dies hervor, indem in den folgenden Wortgruppen Steigerungen, wie „ärger als der Tod“ (Z.12) und „grimmer denn die Pest“ (Z.13) eingebaut wurden. Außerdem findet man in diesen auch Vergleiche, welche durch Wörter wie, „als“ und „denn“ hervorgehoben sind. Daraufhin wird ein Doppelpunkt als Zeichen der Ankündigung genutzt, welches darauf schließen lässt, dass es noch schlimmere Dinge als Hunger, Tod und Krankheit gibt und zwar die Zerstörung der eigenen Seele, „der Seelen Schatz“. Auch das Verb „abgezwungen“ (Z.14) verdeutlicht, dass dies unfreiwillig geschieht.

Die Absicht des Autors wird in diesem Gedicht sehr deutlich. Er empfindet den Krieg als grausam und sinnlos, auch, weil es keinerlei Streitkräfte gibt, und ein Großteil des Landes bzw. der Bevölkerung vernichtet wurde. Die Absicht des Autors war möglicherweise auch die düstere Grundstimmung des Werkes, welche durch Schlüsselwörter, wie „Thränen“, „Tod“ (Z.12), „Hungersnoth“ (Z.13), „die Starcken zerhaun“ (Z.6), usw. untermalt wird. Diese Begriffe zeigen auch das Motiv auf, welches eindeutig den Krieg betrifft. Die Haltung des lyrischen Subjekts, wird nur teilweise und unterschwellig deutlich, sobald es sich selbst durch Personalpronomen, wie „wir“ (Z.1) und „ich“ (Z.12) mit einbezieht. Diese Meinung sieht dann aber meist eher negativ aus, denn wer Übertreibungen, wie „von Leichen fast verstopft“ (Z.11) nutzt, wird wohl nicht auf die positive Ausstrahlung des Krieges anspielen.

Dass es sich hier um ein Gedicht aus der Epoche des Barock handelt, lässt sich anhand vieler Punkte nachweisen. Zum einen das Alexandriner Metrum, welches für die damalige Zeit typisch war, zum anderen die häufige Nutzung antithetischer Phrasen, wie „die Kirch ist umgekehret“ (Z.5). Zudem ist ein Muster erkennbar, nach dem der Dichter gearbeitet hat (hier das Sonett), sowie Worthäufungen und Aufzählungen, durch welche die Epoche des Barock ebenso geprägt war.

Für mich stellt dieses Gedicht eine sehr direkte Beschreibung des 30-jährigen Krieges dar. Es ist unglaublich, mit welchen Mittel, zum Beispiel bildhafte Sprache, es Gryphius gelingt, den Krieg so direkt und ehrlich, in seiner ganzen Grausamkeit darzustellen. Vor allem wächst meine Sympathie diesem Gedicht gegenüber, wenn man bedenkt, dass es wahrscheinlich kein Auftragswerk war, wie es sonst sehr häufig in dieser Zeit vorkam. Ein Gedicht, welche so viel Elend und Grausamkeit aufzeigt würde, meiner Meinung nach, wohl kaum als Vortragsgedicht die gewünschte Begeisterung hervorrufen. Bewundernd finde ich unter anderem auch, dass er es geschafft hat, seine Meinung immer unterschwellig kund zu tun, und trotz allem soweit Abstand aus diesem Gedicht zu nehmen, dass niemand seine Einstellung kritisieren kann.

Der Krieg ist auch heute, leider noch immer ein aktuelles Thema, mit dem sich viele Wissenschaftler, Politiker, etc. beschäftigen, aber den „wahren Frieden“ hat bis heute noch niemand erreicht. Wird vielleicht nie jemand erreichen. Und so müssen wir mit dem Fakt leben, dass ein Kriegszustand, wie Gryphius ihn während des 30-jährigen Krieges beschreibt, auch uns, rein theoretisch, einmal passieren könnte.
„Noch einmal stürmt, noch einmal Freunde!“ Ein Aufruf sich in den Krieg zu stürzen. Um Ehre zu erlangen. Um sein Vaterland zu retten und zu schützen.

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