Georg Heym: Der Winter
Der Sturm heult immer laut in den
Kaminen,
Und jede Nacht ist blutigrot und dunkel,
Die Häuser recken
sich mit leeren Mienen.
Nun wohnen wir in rings umbauter Enge
Im
kargen Licht und Dunkel unsere Gruben,
Wie Seiler zerrend grauer Stunden
Länge.
Die Tage zwängen sich in niedre Stuben,
Wo heisres
Feuer Krächzt in großen Öfen.
Wir stehen an den ausgrfrorenen
Scheiben
Und starren schräge nach den leeren Höfen.
In dem
Gedicht „Der Winter“ wird im Leser eine kalte und pessimistische
Stimmung geweckt, die durch die Überschrift mit einen Winter in Verbindung
gebracht werden kann. Die Menschen leben einsam und gelangweilt in einer
scheinbar ausgestorbenen Welt. Da aber die meisten Inhalte expressionistischer
Werke symbolisch d.h. als Chiffren oder metaphorisch zu sehen sind, kann man
diese oft mehrdeutig interpretieren, wobei wir auf den Krieg und die
Lebensbedingungen der Arbeiter gekommen sind. Die „blutigrote“ Nacht
ist nicht mit einem Winter in Verbindung zu bringen, sondern schließt auf
den Gedanken von Tod und Zerstörung. Die Einsamkeit der „leeren
Mienen“ stehen im krassen Gegensatz zur „rings umbauten Enge“.
Sie lassen ein Bild von einem dicht bewohnten Bunker erscheinen, indem jedoch
jeder Mensch in seiner eigenen Angst und Einsamkeit verloren ist. Das grausame
Warten auf einen Angriff in den „Gruben zerrt sich wie Seiler“. Die
„leeren Höfe“ zeugen von Einsamkeit.
Im Bezug auf die
Zustände in den deutschen Großstädten kann man das Gedicht als
Wiedergabe des proletarischen Lebens in Arbeitersiedlungen sehen. Heym lebte um
1900 in Berlin und hat wahrscheinlich seine Eindrücke von den Wohnsilos
wiedergegeben. Die gespenstische Einsamkeit mitten in bebauter Umgebung erinnert
an Berliner Hinterhöfe: „Häuser recken sich mit leeren
Mienen“. In der zweiten und dritten Strophe wird das eingezwängte
Leben geschildert, die trostlose Langeweile und Sehnsucht nach Glück. Die
Enthumanisierung der Welt und der Pessimismus zeigen eine Abneigung gegen die
moderne Zivilisation. Es werden in den ersten beiden Strophen das Reimschema aba
verwendet, die letzte Strophe sticht nicht nur durch ihre Vierzeiligkeit sondern
auch durch das neue Reimschema abcb heraus. Auch ohne Katastrophe und Vorzeichen
auf Krieg wird eine skeptische Haltung im Bezug auf die Zukunft geweckt. Die
Intensität wird mit der genauen Bestimmung der Substantive durch Adjektive,
Metaphorik, Farbsymbolik und Synästhesie hervorgerufen. Der
Verfremdungseffekt, neue Wortkompositionen und die bildhafte Sprache sind
weitere Stilmittel. Das Gedicht ist ein typisches Werk der
Arbeiterdichtung.