Die Psyche begehrt ein Bienelein auf den Wunden Jesu zu sein von Angelus Silesius

1
Du grüner Zweig, du edles Reis,
Du honigreiche Blüte,
Du aufgetanes Paradeis,
Gezweig mir eine Bitte.
Laß meine Seel ein Bienelein
Auf deinen Rosenwunden sein.
 
2
Ich sehne mich nach ihrem Saft,
10 
Ich suche sie mit Schmerzen,
11 
Weil sie erteilen Stärk und Kraft
12 
Den abgematt'ten Herzen.
13 
Drum laß mich doch ein Bienelein
14 
Auf deinen Rosenwunden sein.
 
15 
3
16 
Ihr übertrefflicher Geruch
17 
Ist ein Geruch zum Leben,
18 
Vertreibt die Gift, verjagt den Fluch
19 
Und macht den Geist erheben.
20 
Drum laß mich wie ein Bienelein
21 
Auf diesen Rosenwunden sein.
 
22 
4
23 
Ich nahe mich mit Herz und Mund,
24 
Sie tausendmal zu küssen,
25 
Laß mich zu jeder Zeit und Stund
26 
Den Honigsaft genießen.
27 
Laß meine Seel ein Bienelein
28 
Auf diesen Rosenwunden sein.
 
29 
5
30 
Ach, ach, wie süß ist dieser Tau,
31 
Wie lieblich meiner Seele!
32 
Wie gut ists sein auf solcher Au
33 
Und solcher Blumenhöhle!
34 
Laß mich doch stets ein Bienelein
35 
Auf diesen Rosenwunden sein.
 
36 
6
37 
Nimm mein Gemüte, Geist und Sinn,
38 
Leib, Seel und was ich habe,
39 
Nimm alles gänzlich von mir hin,
40 
Gib mir nur diese Gabe:
41 
Daß ich mag stets ein Bienelein,
42 
Herr Christ, auf deinen Wunden sein.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28 KB)

Details zum Gedicht „Die Psyche begehrt ein Bienelein auf den Wunden Jesu zu sein“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
42
Anzahl Wörter
180
Entstehungsjahr
1624 - 1677
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Psyche begehrt ein Bienelein auf den Wunden Jesu zu sein“ ist von Angelus Silesius, einem bedeutenden lyrischen Dichter des Barocks. Es wurde im 17. Jahrhundert geschrieben und weist alle typischen Merkmale der barocken Dichtung auf.

Auf den ersten Blick ist das Gedicht geprägt von frommer Innigkeit und Begehren, die aus dem Wunsch hervorgehen, in enger Verbindung mit Jesus Christus – symbolisiert durch den „grünen Zweig“, das „edle Reis“ und die „honigreiche Blüte“ – zu stehen.

Der Inhalt des Gedichts dreht sich um das Begehren der Seele, ein Bienelein auf den „Rosenwunden“ von Jesus zu sein. Dies ist eine Metapher für das Verlangen, Trost und Ernährung aus dem Leiden Christi zu schöpfen. Die „Rosenwunden“ könnten dabei auf die Wunden Christi im Zuge seiner Passion verweisen. Die Psyche des lyrischen Ichs sehnt sich nach dem „Saft“ dieser Wunden, der ihrer Aussage nach „Stärk und Kraft“ schenkt.

Form und Sprache des Gedichts sind durch seine strenge Regularität gekennzeichnet. Jede der sechs Strophen besitzt sechs Verse, wodurch ein strukturierter, ritueller Charakter erzeugt wird. Die Sprache ist blumig, reich an Metaphern und verbindet häufig natürliche und religiöse Bilder, wie es für die barocke Dichtung typisch ist.

Die Wiederholung des Wunsches, ein Bienelein auf den Wunden Jesu zu sein, am Ende jeder Strophe dient der Verstärkung des Ausdrucks von Sehnsucht und Begehren. Es spiegelt auch eine tiefe und beständige Hingabe wider.

Die bildhafte und allegorische Sprache des Gedichts ermöglicht eine intensive emotionale Beteiligung und stellt die mystische Vereinigung mit dem Göttlichen in einer poetisch äußerst ansprechenden Art und Weise dar. Es ist nicht nur eine Bitte um Gnade und Schutz, sondern auch eine Darstellung des lyrischen Ichs als Teil des göttlichen Werkzeugs, bereit, alles für die ersehnte Nähe mit dem Göttlichen aufzugeben.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Psyche begehrt ein Bienelein auf den Wunden Jesu zu sein“ ist Angelus Silesius. Silesius wurde im Jahr 1624 in Breslau geboren. Zwischen den Jahren 1640 und 1677 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Barock zu. Der Schriftsteller Silesius ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Epoche des Barocks dauerte von etwa 1600 bis 1720 an. Der Begriff „Barock“ leitet sich vom portugiesischen Wort „barocco“ ab und bedeutet „schiefrunde, unregelmäßige Perle“. Im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges wurden weite Teile des Deutschen Reiches zerstört. Die Bevölkerung, damals durch ein starkes soziales Gefälle zwischen Hof und Provinz geprägt, litt folglich unter den immensen Auswirkungen des Krieges. Viele Menschen starben an den Folgen der Pest und des Krieges. Die Epoche des Barocks wurde davon maßgeblich beeinflusst. Der Barock zeichnet sich primär durch die Antithetik, also einem von Gegensätzen und Widersprüchen geprägtem Bewusstsein, aus. Durch die Antithetik kommt es in der Literatur des Barocks vermehrt zur Verwendung von Gegensatzpaaren, wie zum Beispiel: Jenseits und Diesseits, Tugend und Wollust oder Weltverneinung und Weltzugewandtheit. Die Epoche des Barocks vollzog einen Wandel von lateinischer zu deutscher Literatur. Die bedeutendste Literaturform des Barocks war dabei die Lyrik. Das Sonett war die häufigste Form eines Gedichts, die Verwendung fand. Da in der Zeit des Barocks die äußere Ästhetik und der Wohlklang eines literarischen Werkes eine wichtige Rolle spielten, war die bevorzugte Literaturform jener Zeit das Gedicht. In den Gedichten wurden häufig Metaphern, Symbole und Hyperbolik eingesetzt.

Das Gedicht besteht aus 42 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 180 Worte. Weitere Werke des Dichters Angelus Silesius sind „Der Allerverliebteste, der Allerheiligste“, „Man achtet das Ewige nicht“ und „Der Mensch ist groß vor Gott“. Zum Autor des Gedichtes „Die Psyche begehrt ein Bienelein auf den Wunden Jesu zu sein“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 1832 Gedichte vor.

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