Die Psyche ist ein Reh und ihr Geliebter ein Jäger worden von Angelus Silesius

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Ihr Schäferinnen, höret an,
Was unsere Psyche hat getan,
Was sich mit ihr begeben!
Sie hat in eine Wüstenei
Die Flucht genommen, um da frei
In Einsamkeit zu leben.
 
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Sie hat gleichwie ein junges Reh
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Durchs ebne Feld hin auf die Höh
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Der Berge sich geschwungen.
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Hat manches Tal und manche Kluft,
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Die ihrem Laufen nachgeruft,
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Gar listig übersprungen.
 
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Als dies gehört des Höchsten Sohn,
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Hat er verlassen seinen Thron
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Und ist ein Jäger worden.
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Er ist gelaufen früh und spat
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Auf ihrer Spur nach ihrem Pfad
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Von Osten bis zum Norden.
 
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Er hat mit großem Fleiß gesucht,
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Daß er sie könnt aus dieser Flucht
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Mit seinem Netze fangen.
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Und endlich hat er sie allein
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Bei einem frischen Brünnelein
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Erblicket und ergangen.
 
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Da hat er sie in schneller Eil
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Mit seinem scharfen Liebespfeil
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Verwundet und gefället.
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Er hat ihr abgeschiednes Herz
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Genommen und mit süßem Schmerz
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Dem seinen zugesellet.
 
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Nun liegt sie ohne Herz und Kraft
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In bittersüßer Liebeshaft
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Und führt ein sterbend Leben.
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Ihr ganz Gemüt und ganzer Sinn
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Geht nur nach Jesu Herze hin,
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Mit welchem ihrs umgeben.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „Die Psyche ist ein Reh und ihr Geliebter ein Jäger worden“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
42
Anzahl Wörter
180
Entstehungsjahr
1624 - 1677
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht stammt von Angelus Silesius, einem Lyriker des 17. Jahrhunderts. Silesius war ein bekannter Dichter, Priester und Arzt, der bedeutende Werke in der Barockzeit verfasste. Das zentrale Thema seines Werkes ist die christliche Mystik und seine Lyrik zeichnet sich durch prägnante Bildsprache und hohe Symbolhaftigkeit aus.

Beim ersten Eindruck fällt auf, dass das lyrische Ich in diesem Gedicht den Hörern eine Geschichte erzählt. Es wendet sich direkt an Schäferinnen und berichtet von der Psyche, die hier als selbstständige, handelnde Figur dargestellt wird. Man sollte das Gedicht im religiösen, speziell christlichen Kontext, verstehen, da es von der Seele, Gott und der Sehnsucht nach einer spiritiven Vereinigung handelt.

In einfacheren Worten handelt es sich um ein Gedicht über die Flucht der menschlichen Seele (Psyche), die wie ein Reh vor einem Jäger flieht. Dieser Jäger wird in der Mitte des Gedichtes als der „Höchste Sohn“ bezeichnet, also Jesus Christus. Die Flucht der Seele endet, als der Jäger sie bei einem Brunnen findet und sie mit seinem Liebespfeil durchdringt, was als eine Metapher für die spirituelle Vereinigung mit Gott zu verstehen ist. Das Gedicht endet damit, dass die Psyche nur noch für Jesus lebt, ganz umgeben von seiner Liebe.

Die Sprache des Gedichts ist von Barockdichtung typisch. Die Verse sind klar und melodisch und die Bilder sind stark, farbenfroh und bewegend. Das Gedicht hat eine gleichbleibende Strophenlänge und einen deutlichen Aufbau. Es nutzt eine Mischung aus Reimen und Halbreimen sowie eine wechselnde Betonung, um ein rhythmisch interessantes und attraktives lyrisches Werk zu erzeugen.

Die Bedeutung und Aussage des Gedichts liegen in der Ausdruckskraft der christlichen Mystik. Silesius zeigt die Sehnsucht der menschlichen Seele, sich mit dem Göttlichen zu vereinigen, und die Notwendigkeit der Seelenrettung durch christliche Liebe. Diese Themen sind typisch für Silesius' Werk und zeigen sein tiefes Interesse an der spirituellen und mystischen Dimension des Christentums.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Psyche ist ein Reh und ihr Geliebter ein Jäger worden“ ist Angelus Silesius. Silesius wurde im Jahr 1624 in Breslau geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1640 und 1677. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Barock zuordnen. Bei Silesius handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Der die Jahre 1600 bis 1720 umfassende Zeitraum gilt als Epoche der Barockliteratur, die sich in Deutschland während und nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) entfaltete. Als Epochenbezeichnung wird das aus dem Portugiesischen stammende Wort „Barock“ erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts genutzt. Der Dreißigjährige Krieg, der in die Zeit von 1618 bis 1648 fiel, gilt als das maßgebende Bezugselement des Barocks. Der Dreißigjährige Krieg hinterließ ein politisch, wirtschaftlich und kulturell verfallenes Deutsches Reich. Aufgrund der Auseinandersetzungen wurden ganze Landstriche entvölkert. Es wurden Tod, Gewalt und Zerstörung zum Teil des Alltags der Menschen der damaligen Zeit. Hungersnöte und Seuchen, wie die Pest, verschlimmerten die bedrohliche Situation der Bevölkerung weiter. Allein der Ausbruch der Pest dezimierte die Bevölkerung um ein Drittel. Speziell Pest und Krieg in der Zeit des Barocks zeigen auch ein gewichtiges Merkmal auf: der Gegensatz. Zum einen Armut, Elend und Tod, zum anderen Glanz, Prunk und Macht. So lebte die einfache Bevölkerung in Armut, während Adelige einen verschwenderischen Lebensstil bevorzugten. In der Dichtung des Barocks trat das Deutsche an die Stelle des Lateinischen, welches die Sprache der populärsten deutschen Lyriker im 16. Jahrhundert gewesen war. Gleichwohl war weiterhin die Elite Träger der Literatur. Zu den bekanntesten Schriftstellern des Barocks gehören: Grimmelshausen, Andreas Gryphius, Casper von Lohenstein, Martin Opitz, Paul Fleming und Caspar Ziegler.

Das vorliegende Gedicht umfasst 180 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 42 Versen. Angelus Silesius ist auch der Autor für Gedichte wie „Vom Gewissen“, „Der Allerverliebteste, der Allerheiligste“ und „Man achtet das Ewige nicht“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Psyche ist ein Reh und ihr Geliebter ein Jäger worden“ weitere 1832 Gedichte vor.

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