An den Königl. Preussischen Kammerherrn und Legationsrath von Stein zu Konstantinopel von Susanne von Bandemer

Sey tausendmahl gegrüßet, Freund!
Dort, wo des Phöhus Strahl den halben Mond bescheint,
Mit dem man die Moscheen schmücket;
Dort, wo noch Mahomets geweihte Fahne weht;
Dort, wo der Muselmann nach Mecca Seufzer schicket,
Und für der Brennen König Heil erfleht,
Daß Selims Thron auf unserm Theil der Erde
Nicht durch die größte Frau der Welt zerstöret werde:
 
Dort wirst du, lieber Stein,
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Der Liebling eines Volkes seyn,
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Das ohne neue Moden lebt, der Höfe Galant’rie
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Nicht sonderlich, und die Philosophie
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Wie sie Musarion uns lehret, gar nicht kennet;
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Uns gern Redouten läßt, uns gern Konzerte gönnet,
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Wenn seine Cymbel ihm nur in die Ohren gellt;
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Das nicht Romane lies’t, nicht Taschenbüchlein hält;
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Das unbekannt mit unsrer Poesie,
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Und immer neuem Kraftgenie,
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Still vegetirt, und jeden Harm vergißt
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Wenn es auf weiche Polster sinket,
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Kaffe, Sorbet, und Rauch aus langem Rohre trinket,
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Und dann der Lieblingssklavin winket,
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Die ihren Herrn vielleicht mit Furcht und Zittern küst,
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Doch hüte dich, ο Freund! – (ich bitte
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Im Namen deiner schönen Landsmänninnen – )
 
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Vor dieser wahrhaft abgeschmackten Sitte:
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Die aufgeklärten Europäerinnen,
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Die Jugend, Witz und Schönheit ziert,
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Regieren, werden nicht regiert;
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Und jeder junge Mann verliert,
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Wenn ihn an sanftem Seil kein holdes Mädchen führt.
 
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Dein Beyspiel, bester Stein! wird jene Sitten mildern,
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Die wir vielleicht zu türkenfeindlich schildern;
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Und eh’ ein ganzes Jahr verstreicht,
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Wer weiß, ob Stambul nicht – das sich gewiß belehret –
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Zur Göttinn Mode wird bekehret;
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Und einst Berlin an Ton und feinen Sitten gleicht.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „An den Königl. Preussischen Kammerherrn und Legationsrath von Stein zu Konstantinopel“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
37
Anzahl Wörter
245
Entstehungsjahr
1802
Epoche
Klassik,
Romantik

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht stammt von der deutschen Dichterin Susanne von Bandemer und wurde wahrscheinlich im späten 18. oder frühen 19. Jahrhundert verfasst.

Auf den ersten Blick fällt eine sehr direkte Anrede auf, da das lyrische Ich sich an einen Freund und Kammerherrn namens Stein richtet. Es schildert das Leben und die Traditionen im fernen Konstantinopel und stellt diese den eigenen Gepflogenheiten in Europa gegenüber.

Inhaltlich setzt sich das lyrische Ich vor allem mit den kulturellen Unterschieden auseinander, die es zwischen dem Leben in Europa und in Konstantinopel feststellt. Es beginnt zunächst mit der Beschreibung der islamischen Kultur, die sich in der Verehrung des Halbmonds, der Moscheen und des muslimischen Gebets ausdrückt. Hier wird der Wunsch ausgedrückt, dass der Thron des Sultans Selim nicht von der „größten Frau der Welt“ zerstört werden möge.

Im zweiten Abschnitt wird auf die türkischen Sitten eingegangen, die das lyrische Ich als einfach und bescheiden darstellt. Hier wird das unkomplizierte Leben der Türken, die ohne den Luxus von Moden und Philosophie auskommen, hervorgehoben. Ebenso wird das Leben im Harem thematisiert, was das lyrische Ich jedoch als „abgeschmackte Sitte“ bezeichnet und den Freund Stein vor dieser Lebensweise warnt.

Schließlich fordert das lyrische Ich in der letzten Strophe den Freund auf, durch sein gutes Beispiel die türkischen Sitten zu „mildern“. Es äußert dabei die Hoffnung, dass sich Konstantinopel der europäischen Mode annähern und so Berlin in Bezug auf Ton und feinen Sitten ähneln könne.

Formal besteht das Gedicht aus vier unterschiedlich langen Strophen, die jeweils aus mehreren Versen bestehen. Die Sprache ist recht formell und verwendet einige spezifische Begriffe und Anspielungen, die auf das tiefe kulturelle Wissen des lyrischen Ichs hinweisen. Gestalterische Mittel wie Metaphern oder Vergleiche werden genutzt, um die Unterschiede zwischen den beiden Kulturen zu verdeutlichen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Gedicht vor allem ein Austausch von Kulturen und Ideen darstellt. Es zeigt, dass trotz der Unterschiede, die zwischen den jeweiligen Kulturen bestehen, immer auch die Möglichkeit zur Annäherung und zum Verständnis besteht. Dabei zeugt es von einer tiefen Wertschätzung für die türkische Lebensweise, während es gleichzeitig auch Kritik an bestimmten Aspekten äußert.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „An den Königl. Preussischen Kammerherrn und Legationsrath von Stein zu Konstantinopel“ der Autorin Susanne von Bandemer. Geboren wurde Bandemer im Jahr 1751 in Berlin. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1802. Erscheinungsort des Textes ist Berlin. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Klassik oder Romantik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin vorgenommen werden. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das 245 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 37 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Weitere Werke der Dichterin Susanne von Bandemer sind „An Karl Hadermann“, „An Madame Karschin bey Übersendung eines Blumenstrausses am 1. Dezember 1789“ und „An Madame Unzelmann“. Zur Autorin des Gedichtes „An den Königl. Preussischen Kammerherrn und Legationsrath von Stein zu Konstantinopel“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 86 Gedichte vor.

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