An den Kirchhof zu Y * * * von Susanne von Bandemer

Kleiner Kirchhof, nimm im Frieden
Mich in deiner Mitte auf,
Denn kein Trost ist mir beschieden
Für des Lebens längern Lauf:
Schenke freundlich mir ein Grab
Wo ich ruhig schlummern mag.
 
Weder Kranz noch Steine schmücken
Deiner Hügel leichten Sand;
Aber Blümchen kann man pflücken
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Von des Rasens grünem Rand,
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Liebe Kinder freuen sich
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Deiner Blümchen so wie ich.
 
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Weiße Blüthe deckt die Bäume
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Die dir frischen Schatten leihn;
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Auf dir schlummern alle Träume
 
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Falscher Lebensfreuden ein;
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Und aus deinem Schoos entseht
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Eine Saat, von Gott gesät.
 
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Schlummert sanft, ihr Guten! Lieben!
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Frey von jeder Erdenpein;
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Nie wird euch ein Schmerz betrüben,
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Jeder Gram euch fremde seyn,
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Ruh’ umsäuselt, gleich dem West,
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Eures Staubes Überrest.
 
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Wohl mir, wenn mein Grabeshügel
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Sich an eurer Seite thürmt!
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O, die Seele wünscht sich Flügel
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Fort von hier, wo alles stürmt;
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Wo gleich dunkler Wetternacht
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Mir kein Stern der Hoffnung lacht.
 
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Bilder der Verwesung schweben
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Meinem trüben Geiste vor;
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Und mit leisen Ahnungsbeben
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Blick ich, Gott! zu dir empor,
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Der den Baum mit neuer Pracht,
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Schmückte nach der Winternacht.
 
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Dir will ich entgegen lächeln,
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Tod, wie meinen besten Freund;
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Denn du kühlst mit sanften Fächeln
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Dieses Auge das noch weint;
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Schließ es sanft zur langen Ruh,
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Und des Herzens Wunden zu.
 
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Sey gesegnet, Muttererde!
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Nimm mich auf in deinen Schoos,
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Kette mich von der Beschwerde
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Dieses Jammerlebens los.
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Frey entschwingt mein beßres Ich,
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Zu der Wesen Quelle sich
 
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Gott, tu dir! wo reine Klahrheit
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Diesen müden Geist umgiebt;
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Wo die Tugend und die Wahrheit
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Keiner Natter Gift mehr trübt.
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Wo Verfolgung, Neid und List,
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Ewig, ewig fremde ist.
 
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Von den Menschen hart betrogen,
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Stets verfolget und gekränkt,
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Wurde mir Gefühl gelogen,
 
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Und, ach! kein Asyl geschenkt.
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Darum sehn’ ich mich zu dir,
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Kleiner Kirchhof, sey es mir.
 
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Dieses Herz, das man verkannte
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Wird dann ewig ruhig seyn:
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Was ich Lieb’ und Freundschaft nannte,
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Werd’ ich nicht mehr Thränen weihn.
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Holder Genius der Ruh’.
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Führ mich dieser Freystatt zu.
 
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Wo bedeckt mit leichter Erde
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Mancher biedre Landmann ruht,
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Frey von drückender Beschwerde,
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Und der Ärndte Tage Gluth;
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Dort wird mir auch ohne Stein,
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Eine Zähre heilig seyn.
 
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Die gedankenvoll und trübe
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Mir verschwiegner Kummer weint.
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Wo die Freundschaft und die Liebe
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Traurend um mich sich vereint;
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Dann schwebt sanft mein Geist herab,
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Segnend – liebend – um mein Grab.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.1 KB)

Details zum Gedicht „An den Kirchhof zu Y * * *“

Anzahl Strophen
15
Anzahl Verse
78
Anzahl Wörter
382
Entstehungsjahr
1802
Epoche
Klassik,
Romantik

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „An den Kirchhof zu Y * * *“ wurde von Susanne von Bandemer verfasst, die von 1751 bis 1828 lebte. Von Bandemer war eine deutsche Schriftstellerin, die in der Aufklärung wirkte. Es ist bedeutsam, dass sie als Frau in einer Zeit schrieb, in der literarisches Schaffen hauptsächlich von Männern ausgeübt wurde.

In dem Gedicht äußert das lyrische Ich eine Sehnsucht nach Frieden und Ruhe, die es im Tod, beziehungsweise im Grab zu finden hofft. Es ist ein sehr persönliches und emotionales Gedicht, das eine tiefe Traurigkeit und Resignation ausdrückt. So spricht das lyrische Ich direkt an den Kirchhof, symbolhaft für den Tod, und äußert den Wunsch, dort aufgenommen zu werden, da es im Leben keinen Trost mehr sieht.

Formal ist das Gedicht in mehrere Strophen untergliedert, die jeweils sechs oder drei Verse enthalten. Die Sprache ist eher gehoben und teils altertümlich, was den Gehalt des Gedichts unterstreicht und zur melancholischen Stimmung beiträgt. Darüber hinaus verwendet die Dichterin zahlreiche Naturmetaphern, um ihre Gedanken und Gefühle zu visualisieren.

Das Gedicht reflektiert Verzweiflung und Resignation, aber auch eine Hoffnung auf Erlösung im Tod. Das lyrische Ich sieht den Tod nicht als Ende, sondern als eine Befreiung von den Leiden des Lebens an. Ein wiederkehrendes Motiv ist dabei die Natur, insbesondere der Kirchhof und die darauf wachsenden Blumen, die als Symbole für Tod und Vergänglichkeit, aber auch für Ruhe und Frieden stehen.

Zudem gibt es immer wieder Hinweise auf Enttäuschungen und Verletzungen, die das lyrische Ich im Leben erfahren hat. Es fühlt sich von den Menschen betrogen und gekränkt, sein Gefühl wurde belogen und es wurde kein Asyl, also kein Schutz oder Rückzugsort, gefunden.

Sprachlich ist das Gedicht gekennzeichnet durch eine sehr bildhafte und poetische Sprache. Metaphern und Vergleiche werden genutzt, um die tiefe seelische Not des lyrischen Ichs zu verdeutlichen und seinen Wunsch nach Frieden und Erlösung im Tod zu betonen. Es ist eine sprachliche Virtuosität in dem Gedicht erkennbar, die wohl auch Ausdruck der persönlichen Empfindungen und der literarischen Fähigkeiten von Bandemers ist.

Zusammenfassend kann man sagen, dass dieses Gedicht eine tief bewegende lyrische Auseinandersetzung mit den Themen Tod, Trauer und Erlösung darstellt. Es reflektiert die Hoffnungslosigkeit und Resignation, aber auch den Wunsch nach Frieden und Ruhe, den das lyrische Ich im Tod zu finden hofft.

Weitere Informationen

Susanne von Bandemer ist die Autorin des Gedichtes „An den Kirchhof zu Y * * *“. Im Jahr 1751 wurde Bandemer in Berlin geboren. 1802 ist das Gedicht entstanden. In Berlin ist der Text erschienen. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her kann der Text den Epochen Klassik oder Romantik zugeordnet werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das Gedicht besteht aus 78 Versen mit insgesamt 15 Strophen und umfasst dabei 382 Worte. Susanne von Bandemer ist auch die Autorin für das Gedicht „An Karl Hadermann“, „An Madame Karschin bey Übersendung eines Blumenstrausses am 1. Dezember 1789“ und „An Madame Unzelmann“. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „An den Kirchhof zu Y * * *“ weitere 86 Gedichte vor.

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